II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 10

box 33/1
27. Einkund Ffjederbusen
Journalistenkomödien
Schnitzlers Stück baut sich, wie erinnerlich, auf dem kecken Bluff eines armen
jüdischen Darlamentsberichterstatters auf, der, so viel Brillanes er schreiben mag,
die Artikel, wie sein älterer Leidensgefährte Schmock, auf die Brillanten“ zu¬
sammengestrichen bekommt und daher rücksichtslos die Gelegenheit, seine Lage zu ver¬
bessern, beim Schopf packt. Möglichkeit dazu bietet die Interpretation und eine per¬
sönliche Stellungnahme der Dresse förmlich herausfordernde Rede eines gräflichen
Abgeordneten, die der junge Mann zeilenschnell und gewandt von zwei politisch scharf
entgegengesetzten Lagern aus beleuchtet und bekrittelt, in den Himmel hebt und ver¬
dammt, mit Geschick und Ausdauer Welf und Waiblingen zu gleicher Zeit agierend,
bis sich herausstellt, daß er sich für die nächste Zukunft am vorteilhaftesten einer
dritten Partei wird anschließen müssen. Der Weg zu der Erkenntnis geht über
die originell eingefädelte und dialektisch glücklich, aber etwas breit durchgeführte
Idee eines Duells, das der demokratisch=jüdische Fliederbusch mit seinem sich kon¬
servativ gebärdenden besseren Selbst, Fink, ausfechten soll. Annötig die Erwähnung,
daß Schnitzler dies dem Stück zugrunde gelegte Motiv durch eine episodisch ge¬
schickte Verbreiterung der Handlung auszurunden gewußt hat. Es ist ein „kurz¬
weilig Lesen“ vom Journalistenleben, über dessen Eitelkeit und Feilheit, dessen
Klatsch, Intrigen und Nöte eine Reihe eigenwilliger und verschrobener Käuze unter¬
haltsame Auskunft geben. Daß nur ganz wenige Männer mit geradem Lebens¬
weg die verschlungenen Pfade Fink=Fliederbuschs kreuzen, geschieht nur zum Vor¬
teil des Stückes; ein jeder Ressortredakteur und Mitarbeiter der einen wie der
anderen Zeitung — der Tageszeitung „Die Gegenwart“ steht diesmal ein Wochen¬
blatt „Die elegante Welt“ gegenüber — hat da seine Mucken und Schrullen, wie
es alter Brauch vom Lustspiel zu verlangen scheint. Aber gerade über solcher Be¬
trachtung will sich der Gedanke an Schützesche Erbtradition nicht ganz unterdrücken
lassen. Schon daß in den „Journalisten“ von 1806 der eine Dichter Flieder¬
busch heißt, mag Beachtung verdienen, wenn wir hören, daß seine erbitterte Pre߬
fehde gegen den Leiter des Konkurrenzblattes, Birkenstock, nur ein pekuniär wert¬
voller Geschäftskniff ist, dem die klare Einsicht zugrunde liegt: „Wer heutzutage
keinen Freund hat, der gegen ihn schreibt, der wird wahrhaftig
übersehen.“ Nach dieser Weisheit handelt auch der Schnitzlersche Fliederbusch,
nur daß er, da sich sonst niemand findet, der sich mit dem unbeachteten Reporter
einlassen wollte, selbst der „Freund“ sein muß, der gegen ihn schreibt. Bei¬
läufig spielt auch bei Schütze ein Duell herein: der Sohn des dem Major von
Rosendorn befreundeten Herrn von Wildeck ist seit einem Ehrenhandel verschollen;
wie sich am Schluß herausstellt, hat er sich als Journalist Fliederbusch erfolgreich
allen Nachforschungen entziehen können, während freilich der jüngere Namensvetter
die gleiche Tätigkeit dazu benutzen wird, die breiteste Aufmerksamkeit auf seine Person
zu lenken. — Und noch einen letzten, allerdings flüchtigeren Verwandtschaftszug, der
frappieren könnte. Die feindlichen Zeilungsbrüder der deutschen Kleinstadt vor
hundert Jahren bekämpfen einander mit den abträglichsten Einfällen. Wenn Flieder¬
busch dem Herausgeber des „Strickbeutels“ nur eine „Tendenz zum Leben“ zu¬
gestehen möchte, erklärt Birkenstock den Gegner bereits für tot und hält ihm eine
Leichenrede in der Zeitung. In Schnitzlers Stück begegnet nun ein dramen¬
schreibender Schöngeist, Kajetan des Namens, der in seiner weltmännisch=vielseitigen
Art die Gewohnheit, Nekrologe auf Vorrat zu liefern, zur Spezialität erhoben hat.
Zum Duell Fink=Fliederbusch erscheint er pünktlich mit zwei Nachrufen, obschon
ihm nur der kleine Kollege Fliederbusch bekannt gewesen war. Die Ahnlichkeit
braucht nicht zu überzeugen, wenngleich die Möglichkeit eines Keimmotivs in der
Literatur wohl beheimatet ist. Sicherlich würde, alles in allem betrachtet, nach
161
11 Deutsche Rundschau. XLV, 1.
echee