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27. Eink und Fliederbusch
Literarische Rundschau
hundert Jahren ein Doktorand nur ein einwertiges Resultat zulassen, unzweifelhaft
sein Spruch auf Beeinflussung des österreichischen Dichters durch den Weimarer
Hofrat lauten. Der Mitlebende urteilt vorsichtiger. Er konstatiert wohl die Tat¬
sachen, aber er wird sich nicht wundern, wenn der Schein ihn getrogen hätte und
wie einst Gustav Freytag, so jetzt Arthur Schnitzler sein poetisches Alibi erbrächte.
Sollten aber tatsächlich sich die Abereinstimmungen aus einer Lektüre des Stückes
erklären, die Beurteilung der neuen Schöpfung würde darum nicht anders aus¬
fallen: Schnitzlers „Fink und Fliederbusch“ ist technisch wie künstlerisch der Schütze¬
schen Posse so außerordentlich überlegen, daß ernstlich ein Vergleich gar nicht auf¬
kommen kann.
Was dennoch unsere Gedanken zwischen beiden Dramen schweifen läßt, liegt
anderswo, findet seinen tieferen Grund in der Anbeweglichkeit einer gemeinsamen
Einschätzung und Anschauung. Freytag hatte in seiner Antwort an Hirzel ge¬
meint, so embryonisch die belletristische Tagespresse bei Schütze anmute, nicht anders
werde man in fünfzig Jahren in seinem eigenen Stück ein Abbild kindlicher Pre߬
und Bildungszustände sehen können. Schnitzlers Komödie trägt sich um ebenso viele
Jahre später zu, aber das Wien zu Anfang unseres Jahrhunderts bildet keinen
eigentlichen Wendepunkt, es ist das Österreich vor dem Weltkriege, das von den
inzwischen furchtbar erwachten Kämpfen um das Nationalitätenproblem nichts zu
ahnen scheint, in dem sich trotz blutigen Ausschreitungen selbst sozialistische und
feudale Staatsauffassung mehr dialektisch=theoretisch gegenübersteht und ein sport¬
treibender Graf im Zentrum politischer Aufmerksamkeit sonnt. Die Dresse selbst
ist an solchen Aufgaben nicht gewachsen; sie hat wenigstens im Nampenlicht seit
hundert Jahren und darüber keine ernsthafte Wandlung erfahren: nach den Szenen¬
bildern Schützes wie Schnitzlers herrschen auf der Bühne noch immer die von
Goethe gescholtenen „schlechten Tage kritisierender und zersplitternder Journale".
Allerorten stößt das gleiche beabsichtigte oder unüberlegte Herumspielen mit dem
Dublikum auf, man nimmt auch bei besserem Willen die Aufgabe auf die leichte
Achsel, und wo dem Ernst nicht auszuweichen ist, wird der Kampf mit Gesinnungs¬
losigkeit und Heuchelei geführt. Ehrgeiz und Strebertum sind dann noch die edelsten
Beweggründe. Ibsens Redakteur Hovstad (aus dem „Volksfeind“) erklärt mit
überzeugter Gutmütigkeit: „Wir Zeitungsschreiber taugen nicht viel“, aber bereits
Jahrzehnte vorher war in Augiers „Effrontés“ das bittere Wort gefallen, daß das
passer à l’opposition zum A2C des Handwerks gehöre. Diese Grundanschauung
hat im Wandel der Zeiten granitenen Boden gehabt. Seitdem anno 1734 Christian
Ludwig Liscow „die Vortrefflichkeit und Notwendigkeit der Elenden Seribenten
gründlich erwiesen“, will sich die Melodie nicht mehr verlieren. Mauthner stimmt
seine Satire ganz auf denselben Ton, wenn er in dem armen Schmock, der bis
dahin nur als eine unliebsame Nebenerscheinung gegolten hatte, den Inbegriff des
verpönten Journalistenberufs sieht; Flake, der in „Horns Ring“, seinem unserer
Gegenwart vorgehaltenen Kulturspiegel, wenigstens einen Ausschnitt dieses Treibens
einfängt, wittert nur die Fäulnis dahinter, und Schnitzler liefert nicht viel mehr
als eine dramatisch wirksame Paraphrase der tötenden Worte Nietzsches auf die
ihm verächtlichen Narren der modernen Kultur, die Journalisten. „Es ist dieselbe
Gattung Menschen, halbvernünftig, witzig, übertrieben, albern, mitunter nur dazu
da, das Pathos der Stimmung durch Einfälle, durch Geschwätz zu mildern und
den allzu schweren, feierlichen Glockenklang großer Ereignisse durch Geschrei zu
übertäuben.“ Hätte nicht dieser Ausspruch als Motto über dem Lustspiel gut seinen
Platz gehabt? Die Fragestellung allein berührt das Antiquierende in diesem Stück,
zeichnet die verweslichen Elemente der sonst luftigen und bunten Hülle, in die dieser
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27. Eink und Fliederbusch
Literarische Rundschau
hundert Jahren ein Doktorand nur ein einwertiges Resultat zulassen, unzweifelhaft
sein Spruch auf Beeinflussung des österreichischen Dichters durch den Weimarer
Hofrat lauten. Der Mitlebende urteilt vorsichtiger. Er konstatiert wohl die Tat¬
sachen, aber er wird sich nicht wundern, wenn der Schein ihn getrogen hätte und
wie einst Gustav Freytag, so jetzt Arthur Schnitzler sein poetisches Alibi erbrächte.
Sollten aber tatsächlich sich die Abereinstimmungen aus einer Lektüre des Stückes
erklären, die Beurteilung der neuen Schöpfung würde darum nicht anders aus¬
fallen: Schnitzlers „Fink und Fliederbusch“ ist technisch wie künstlerisch der Schütze¬
schen Posse so außerordentlich überlegen, daß ernstlich ein Vergleich gar nicht auf¬
kommen kann.
Was dennoch unsere Gedanken zwischen beiden Dramen schweifen läßt, liegt
anderswo, findet seinen tieferen Grund in der Anbeweglichkeit einer gemeinsamen
Einschätzung und Anschauung. Freytag hatte in seiner Antwort an Hirzel ge¬
meint, so embryonisch die belletristische Tagespresse bei Schütze anmute, nicht anders
werde man in fünfzig Jahren in seinem eigenen Stück ein Abbild kindlicher Pre߬
und Bildungszustände sehen können. Schnitzlers Komödie trägt sich um ebenso viele
Jahre später zu, aber das Wien zu Anfang unseres Jahrhunderts bildet keinen
eigentlichen Wendepunkt, es ist das Österreich vor dem Weltkriege, das von den
inzwischen furchtbar erwachten Kämpfen um das Nationalitätenproblem nichts zu
ahnen scheint, in dem sich trotz blutigen Ausschreitungen selbst sozialistische und
feudale Staatsauffassung mehr dialektisch=theoretisch gegenübersteht und ein sport¬
treibender Graf im Zentrum politischer Aufmerksamkeit sonnt. Die Dresse selbst
ist an solchen Aufgaben nicht gewachsen; sie hat wenigstens im Nampenlicht seit
hundert Jahren und darüber keine ernsthafte Wandlung erfahren: nach den Szenen¬
bildern Schützes wie Schnitzlers herrschen auf der Bühne noch immer die von
Goethe gescholtenen „schlechten Tage kritisierender und zersplitternder Journale".
Allerorten stößt das gleiche beabsichtigte oder unüberlegte Herumspielen mit dem
Dublikum auf, man nimmt auch bei besserem Willen die Aufgabe auf die leichte
Achsel, und wo dem Ernst nicht auszuweichen ist, wird der Kampf mit Gesinnungs¬
losigkeit und Heuchelei geführt. Ehrgeiz und Strebertum sind dann noch die edelsten
Beweggründe. Ibsens Redakteur Hovstad (aus dem „Volksfeind“) erklärt mit
überzeugter Gutmütigkeit: „Wir Zeitungsschreiber taugen nicht viel“, aber bereits
Jahrzehnte vorher war in Augiers „Effrontés“ das bittere Wort gefallen, daß das
passer à l’opposition zum A2C des Handwerks gehöre. Diese Grundanschauung
hat im Wandel der Zeiten granitenen Boden gehabt. Seitdem anno 1734 Christian
Ludwig Liscow „die Vortrefflichkeit und Notwendigkeit der Elenden Seribenten
gründlich erwiesen“, will sich die Melodie nicht mehr verlieren. Mauthner stimmt
seine Satire ganz auf denselben Ton, wenn er in dem armen Schmock, der bis
dahin nur als eine unliebsame Nebenerscheinung gegolten hatte, den Inbegriff des
verpönten Journalistenberufs sieht; Flake, der in „Horns Ring“, seinem unserer
Gegenwart vorgehaltenen Kulturspiegel, wenigstens einen Ausschnitt dieses Treibens
einfängt, wittert nur die Fäulnis dahinter, und Schnitzler liefert nicht viel mehr
als eine dramatisch wirksame Paraphrase der tötenden Worte Nietzsches auf die
ihm verächtlichen Narren der modernen Kultur, die Journalisten. „Es ist dieselbe
Gattung Menschen, halbvernünftig, witzig, übertrieben, albern, mitunter nur dazu
da, das Pathos der Stimmung durch Einfälle, durch Geschwätz zu mildern und
den allzu schweren, feierlichen Glockenklang großer Ereignisse durch Geschrei zu
übertäuben.“ Hätte nicht dieser Ausspruch als Motto über dem Lustspiel gut seinen
Platz gehabt? Die Fragestellung allein berührt das Antiquierende in diesem Stück,
zeichnet die verweslichen Elemente der sonst luftigen und bunten Hülle, in die dieser
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