II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 12

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27. Eink und Fliederbusch
Conrad Ferdinand Meyer und Julius Rodenberg
Dichter seine Menschen kleidet. Ob er von der Existenz Schützes gewußt hat oder
nicht, ist eine Kuriositätsfrage; daß er, kulturhistorisch=literarisch gewertet, die Ent¬
wicklung nicht fortgeführt hat, seine Dichtung also nach einem halben Jahrhundert
keine wesentlich andere Perspektive erschließt als die Freytags, bedeutet eine schwere
Anterlassungssünde. Schnitzler hat alte Dekorationen bloß zeitgemäß aufgestellt —
eine schöpferische Neuinszenierung konnte da nicht gelingen. Das eigentliche Problem
endet im toten Winkel, weil seiner Satire die Schwungkraft fehlt, die über die
Hindernisse der Zeit trägt. So bleibt auch dem Stoff als literarischem Motiv ein
Zuströmen neuer Lebenskraft versagt. Statt dessen zeigt die Dichtung nunmehr
innerhalb eines ganzen Jahrhunderts einen betrüblichen Schematismus eine Er¬
starrung drohende pessimistische Verallgemeinerung, die vor dem wirklichen Leben
keineswegs standhält. Da stehen am Eingang des neunzehnten Jahrhunderts die
weitausgreifenden Pläne Napoleons, die darauf abzielten, an der Dresse einen
ausdauernden Mitarbeiter an seinem Riesenwerk zu gewinnen!), und unserem Zeit¬
alter will ein kultureller Journalismus größter Geste, wie ihn Hofmannsthal — man
lese das im zweiten Band seiner prosaischen Schriften nach — heraufdämmern
sieht, die Tore öffnen. Arthur Schnitzler hat sie mit seiner letzten Komödie eher
wieder geschlossen; er hat sich zu dem Glauben an eine Höherentwicklung da nicht
bekennen mögen, wo ihm die Atmosphäre der Gegenwart sich als Geist der Zer¬
setzung zu analysieren schien. So blieb das Lustspiel ungeschrieben, dessen Kenn¬
wort hätte lauten sollen: „Der Weg ist begonnen, vollende die Reise.
Walter Heynen.
Conrad Ferdinand Meyer und Julius Rodenberg.
Eine Berichtigung.
In dem hier besprochenen Werke?) heißt es (S. 227) in einem Briefe
C. F. Meyers: „... Es wird in der Literatur gegenwärtig etwas viel gestorben
(Kompert, den ich sehr mochte, Scherer, Rambert) ...“
Darauf antwortet Rodenberg (S. 228): „... Für Scherer habe ich niemals
weder Teilnahme noch Interesse gehabt; er war mir ganz fremd, und jede Möglich¬
keit einer Annäherung vermied ich ...
Der Literarhistoriker durfte, wie unser Rezensent, mit verhaltenem Erstaunen
auf dieses sonderbare Bekenntnis hinweisen. Wer den Familien Scherer und
Rodenberg näher steht, mußte betroffen davor inne halten. Wie? Für Wilhelm
Scherer, seinen vertrauten jüngeren Freund, soll Rodenberg nichts übrig gehabt
Des Rätsels Lösung ist leicht gefunden: Gemeint ist Johannes Scherr
(1817 bis 1886), für dessen draufgängerische Natur sich der feingeistige Rodenberg
schlechterdings nicht begeistern konnte. Es muß also auf beiden Seiten, auch in
der Fußnote S. 227, Scherr statt Scherer heißen.
Bei der Gelegenheit sei auf einen Druckfehler (S. 141) aufmerksam gemacht,
wo Jugenheim für Ingenheim stehen muß.
Die Schriftleitung.
1) Vgl. M. A. Périvier, Napoléon journaliste, Paris 1918, und dazu den Aufsatz
André Beauniers über das gleiche Thema in der Revue des deux mondes, 1. August 1918.
2) Augustheft 1918.
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