II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 20

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Journalisten. Fliederbusch greift in einem liberalen Blatt
den konservativen Grafen Niederhof wegen einer Parla¬
mentsrede heftig an. Fink repliziert in einem konservativen
Blatt erbittert. Nur wir Zuschauer wissen vom zweiten
Bild an, daß Fink und Fliederbusch beide gar niemand
anderer sind, als ein einziger Fliederbusch, dessen Wiege
in der Leopoldstadt geschaukelt wurde. Ein „tüchtiger“
Journalist. Nachmittags befetzt er als richtiger Fliederbusch
den Grafen Nioderhof, am nächsten Vormittage verteidigt
er ihn als verkappter Fink. Aber lange geht ihm das nicht
hin. Die konservativen Redaktionsgenossen verlangen von
Fink, daß er sich mit Fliederbusch duelliere. Fink fordert
Fliederbusch. Fliederbusch nimmt an. Duell im Prater. Es
erscheint für beide Duellanten nur ein einziger Flieder¬
busch. Die Sekundanten sind empört. Aber die Chefs der
beiden feindlichen Blätter mßen sich jetzt um den findigen

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Fliederbusch und lizitieren sich in der Gage hinauf. Auch
der Graf Niederhof ist entzückt von Fliederbusch und läßt
ihn gar nicht mehr aus. Das ist sein Mann, das ist der
Journalist, den er braucht, um ein neues Blatt zu grün¬
den. Denn man muß wissen, daß es dem Herrn Grafen
eigentlich ziemlich gleichgültig ist, ob er ein jüdisches oder
christliches Blatt herausgibt, gleichwie auch hinter seinen
Parlamentsreden Gott behüte keine Gesinnung oder Welt¬
anschauung steckt. Solche Dinge, Gesinnung und Welt¬
anschauung, erklärt er ruhig für öden, heuchlerischen
Quatsch. Die Politik ist jetzt eben sein Sport. Früher
waren es die Weiber oder die Pferde. Und darum impo¬
niert ihm dieser Fliederbusch so, weil er auch so gar nicht
von Prinzipien verseucht ist, weil er auch ebensogut so kann,
wie anders.
Viel mehr, als wir hier erzählt haben, vermag der
ganze Theaterabend nicht herzugeben. Rund um diese
Grundgedanken natürlich viel Gewitzel über Zeitungen im
allgemeinen, jüdische und christliche im besonderen, über
Redaktionen, über Politik, über Weiber und Pferde. Wenn
wenigstens hier, in dem kleinen Bühnenbeiwerk Witz und
Geist spürbar würde. Aber wenn Schnitzler das nächtliche
Treiben in einer Redaktion skizzieren will, wie ledern das
ausfällt, wie weitab vom letzten Schimmer der Wirklichkeit!
Wäre diese traurige Komödie einer ernsthaften Ab¬
wehr wert, so müßten wir gegen den frech witzelnden Ton
Stellung nehmen, in dem hier von Religion gesprochen
wird, wir müßten uns darüber empören, wie unflätig hier
der Adel beschimpft wird. (Außer dem sauberen Grafen
Niederhof bringt Schnitzler noch eine arg verluderte Für¬
stin Wendelin auf die Bühne.) Aber alle diese Aufregun¬
gen ist ein Machwerk von so bedauernswürdiger Armut
wohl nicht wert. Wenn alle Komödien, in denen Gesin¬
nungslosigkeit verherrlicht und jede positive Weltanschau¬
ung verspottet wird, so geistlos und untalentiert gemacht
wären, sich so sehr von selber richten würden, so wären sie
alle miteinander ungefährlich und wir hätten geringere
Mühe, auf ihre Abwehr bedacht zu sein. Im übrigen
wischt hier Schnitzler abwechselnd beiden „Richtungen“ eins
aus, bald bekommen die jüdischen, bald die christlichen
Journalisten eins ab. Er strebt damit wieder einmal (wie
schon im „Professor Bernardi“) nach dem Schein, in weifer
Einsicht über den Parteien und ihrem Gezänk“ zu stehen.
Er hat, wenn wir aus dem Geschwätz überhaupt klug wur¬
den, mit heiter=großtuerischer Miene „das“ Journalisten¬
stück schreiben wollen, doch ist ihm das kleine Mißgeschick
unterlaufen, daß er vom wahren Wesen des journalisti¬
schen Berufes auch nicht das letzte Rockzipfelchen erfassen
konnte. Vielleicht hat auch ein liberaler Kritiker die Be¬
herztheit, Herrn Schnitzler dies zu sagen.
Die Doppelrolle Fink-Fliederbusch spielt Herr Edt¬
hofer schlecht, nämlich ganz und gar unjüdisch. Hier hätte
die Regie tapfer Farbe bekennen müssen. Hier hätte unver¬
fälschte Leopoldstadt auf die Bühne gehört. Ebenso der
Kritiker Abendstern des Herrn Millmann. Heraus mit
dem Abendstern! Wenn die christlichen Journalisten des
Herrn Schnitzler heuchlerisch die Augen zum Himmel auf¬
schlagen müssen, darf uns die Geiernase seiner jüdischen
gerechterweise nicht vorenthalten werden! Auch Herr
Thaller spielt in dem Stück die klägliche Rolle, die er
hat. Erfreulich eigentlich nur: Herr Forest als unge¬
mein gefinkelter, mit allen Salben geschmierter, auf alle
Möglichkeiten vorbereiteter, mit sämtlichen Nekrologen aus¬
gestatteter Journalist Kajetan, welcher auch Stücke schreibt,
die von wegen der Kollegialität gut rezensiert werden
müssen. Herr Kramer sucht dem Grafen Niederhof vor¬
nehme Haltung zu geben. Dr. Schulbaurs Regie sucht
allerlei Ecken abzuhobeln, woran sie nicht ganz wohl tut,
denn diese Ecken wurden dem Stück eingebaut, damit man
sich daran stoße. — Im großen und ganzen sicher einer der
verlorensten und langweiligsten Bühnenabende, die seit
langem über uns verhängt waren.
*-WattiaxueK.W
Zeitung: Berliner Tageblatt¬
Abend-Ausgabe
Adresse: Berlin
1 S. NoV. /917
Datum:
„Fuh und Fliederbusch.
O'Aks Wien telegraphiert uns F##as
Deutsche Volkstheater brachte gestern die Urauffährung
von Arthur Schnitzlers neuer Komödie „Fink und Klieders
busch“. Schnipler gibt hier ein Journalistenstück, wori jedoch der
Journalismus nur obenhin gestreift wird. Ein jüngerer Mensch
schreibt für zwei Zeitungen, die einander politisch békämpfen. Er
polemtsiert als „Fliederbusch“ in dem demokratischen Blatt aufs
hestigte gegen die konservativen Artikel, die er als „Fink“ für das
Organ der jeudalen Partei verfaßt hat. Schließlich wird er als Fink
gezwingen, den Fliederbusch zum Duell zu fordern, wobei sich dann
auf dem Kampfplatz das Doppelspiel des jungen Mannes enthüllt.
Diese Hauptfigur ist
natürlich weder sympathisch, noch
besondors anziehend. Gleichwohl bemüht sich der Dichter
hier um eine Art Charakterproblem. Der junge Mann begeht#
nämlich in keinem seiner Artikel eine Gesinnungslosigkeit, er verrät
seine Ueberzeugung nicht als konservativer Fink und nicht als demo¬
kratischer Fliederbusch, weil er eben überhaupt keine Ueberzeugung
besitzt und völlig naiv selber darauf gespannt ist, zu welcher eigent¬
lichen Meinung er sich zuletzt entwickeln wird. Daß ihm sein Doppel¬
spiel als eine vielversprechende Talentprobe ausgelegt wird, daß er
den Platz, auf welchen er sich, mit sich selbst hätte
Ent¬
nicht
sollen,
schimpflich
etwa als
duellieren
im Gegenteil mit der Aussicht auf
larvter, sondern
eine glänzende Karriere verläßt, mag wohl als Satire gelten. Man
merkt jedoch bloß die Absicht und die Richtung einer satirischen
Feinheit, und es wirkt nur der anekdotische Einzelfall, der freilich
sehr gerstvoll bohandelt ist. ohne daß von ihm hellere Ausstrahlungen
ausgingen, die etwa eig=scharfes Licht über das hier beschrittene Ge¬
biet wersen konnten. L. Schnitzler hat wahrscheinlich gar nicht be¬
absichtigt, das Problem des Journalismus in seiner Breite auf¬
zuroklen oder an seine tieferen Wesenswurzeln zu greifen. Er hat
eine figurenreiche, geistvolle Komödte geschrieben, deren Höhe¬
punkt die gedanklich schöne Auseinandersetzung zwischen dem jungen
Mann und einem politischen Sportgrafen ist, — ein Männerstück wie
sein „Professor Bernhardi“
Die Darstellung war im ganzen gut. Die Haupt¬
rolle spielte Edthofer mit wirklicher Naivität, Kramer,
Homma, Götz und namentlich Forest ergötzten durch sehr leben¬
dig gestaltete Epzoden. [.Es wurde viel gelacht, besonders im ersten
Akt, und der starke Besfall nötigte Schuchler noch allen Aktschlüssen
an die Rampe.] (Erchur Schnitzlers „Fink und Fliederbusche
ist in Buchförm im Verlag S. Fischer, Berlin, erschienen.)