27. Einkund Fliederbuse.
Zeitung: General-Anzeiger
Adresse: Mannheim
19. J00. 1917
Datum:
2
Eine Journalistenkomödie Artur Schnitzlers.
Aus Wien, 15. ds., wird uns geschrieben: Gerade die treuesten
Verehrer Artur Schnitzlers werden von seiner neuen Komödie „Fink
+
und Fliederbusgh“, die gestern am Deutschen Volkstheater zür
nrayfführung kam, ai meisten enttäuscht sein. Denn siegenhält fast
nichts von den künstlerischen Qualitäten und den im Pesten Sinne
wienerischen Zügen, um derentwillen wir alle Schnitzlr als unseren
Bestenschätzen und lieben. Hier ist weder seine tiefblickende Menschen¬
gestaltung zu finden, noch seine elegante und geistreiche Art, das
moderne Wien zu zeichnen; man hat es vielmehr mit einem sonder¬
bar schief und verworren gewachsenen Werk zu tun, das absolut nicht
zum literarischen Charakterbilde Artur Schnitzlers passen will. Es
ist nicht recht zu erkennen, was der Dichter mit dieser Komödie eigent¬
lich will. Der erste Akt, der in der Redaktion der liberalen Tages¬
zeitung „Die Gegenwart“ spielt, sieht scheinbar nach grimmiger Jour¬
nalistensatire aus. Aber um eine Sache satirisch darzustellen, muß
man sie vor allem gründlich kennen und darf keine solche rührend
naive Ahnungslosigkeit bekunden, wie sie Schnitzler hier in der Schil¬
derung des Redaktionsgetriebes eines großen Blattes zeigt. Oder
war es ihm nur um den lustigen Einfall zu tun? Aber der Einfall
ist trotz seiner Schwankmäßigkeit gar nicht so lustig und namentlich
eines Artur Schnitzler nicht recht würdig. In dieser Redaktion, die
sich durch die Bank aus Einfaltspinseln und Charakterschwächlingen
zusammensetzt, ist nämlich ein junger Mensch namens Fliederbusch,
der parlamentarische Berichterstatter, der den jugendlichen Ehrgeiz
hat, auf irgend eine Art die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und
rasch Karriere zu machen. Er schreibt also über denselben Gegen¬
stand im liberalen Blatt scharf demokratische Artikel und in einem
konservativ=klerikalen Aristokratenblättchen unter dem Namen Fink
das gerade Gegenteil, er tut sogar noch ein übriges und greift sich
selbst gehässig an. Ein Doppelspiel, das sich im Leben und auch auf
der Bühne schon öfters ereignet hat, zuletzt in Tristan Bernards Ko¬
mödie „Les deux canards“. Bis hierher ist Schnitzlers Stück immer¬
hin Komödie, aber was dann folgt, ist bedenklicher Schwank. Fink
wird genötigt, den Fliederbusch zu fordern, geht darauf vergnügt ein,
erregt dadurch das wohlwollende Interesse eines politischen Grafen
und einer galanten Fürstin, er erscheint zuversichtlich auf dem Duell¬
platz, gesteht den Schwindel vergnügt ein, die Chefredakteure lizitieren
um ihn, und jedenfalls ist seine Karriere gesichert. Schnitzler hatte
den Schwankeinfall, aber er hat, glücklicherweise, möchte man sagen,
doch nicht die Schwanktechnik, daher entwickelt sich das Doppelspiel
durchaus nicht fesch und übermütig, sondern schwerfällig und stockend
und mit einer ganz hilflosen Technik, die sich in den wichtigsten Mo¬
menten mit redseligen Monologen weiterhilft. Einzelne der Journa=1
box 33
1
listenkarikaturen sind witzig gesehen und gezeichnet, namentlich der
vielseiüge geschäftige Externist Kajetan und an manchem gehalt¬
volleren Wort erkennt man ab und zu: die Komödie ist ja doch von
Schnitzler .. . Sie enthält lauter Herrenrollen und nur eine einzige
winzige Damenrolle. Das Deutsche Volkstheater setzte seine Fülle
erster Darsteller ein und die wirklich gute Aufführung trug das Stück
über manche Klippe hinüber. Die Schnitzlergemeinde rief den Dichter
einigemale, aber je ermüdender und uninteressanter das Stück wurde,
desto mehr ließ auch der Beifall nach. In die gesammelten Werke
Artur Schnitzlers wird diese unerfreuliche Komödie kaum ausgenom¬
men werden ...
Ludwig Hirschfeld.
Adyesse: Berlin
2 9. N00. 191)
Datum:
Der neue Schnißzler.
„Zink und —Fliederhuschnhur
Schnihlers Kömlödie, die, wie wir berschteier, im
Volkstheater zür Uräufführung gelange,sist — fe¬
wird uns aus Wien geschrieben — ein heiteres
Stück, das sich in einer nicht völle realen Zei¬
tungswelt ahlpielt Es handelt sich ium einen
Tagesschriftsteller, der unter zwei verschiedenen
Namen seine Meinungen äußert: als Fink für
das eine, als Fliederbusch für das gegnerische
Blatt. In der einen Zeitung bekämpft Fink den
Fliederbusch in der anderen der Fliederbusch den
Fink. Der Witz Arthur Schnitzlers lenkt nun die
Geschichte so, daß Fink und Fliederbusch sich ge¬
genseitig in ihren Artikeln schwer „beleidigen.
Man verlangt von Fink, daß er sich mit Flieder¬
busch, von diesem, daß er sich mit Fini schlage.
Und die Forderung ergehtn Der Zwekkampf.—
kommt zustande. Der vielversprechende I
nalist müßte mit sich selbst das Duell ausfech
Auf dem Kampfplatz wird die Sache in
witziger Weise gelöst. Die Komödie endet mitsech¬
tem Lachen und ein paar Peitschenschlägen gegen
allerlei Leute, die dergleichen wohl verdienen.!
Die Wiener Kritik macht dem Dichter, der sich
schon sehr, sehr lange nicht in so guter Laune
gezeigt hat, zum Vorwurf, daß er die Welt, die
er schildert, nicht recht kenne. Das Merkwürdigste
aber ist: man hält das Lustspiel trotzdem für ein
Schlüsselstück. Ein Schauspieler soll auch die Ge¬
schmacklosigkeit gehabt haben, bei der Generalprobe
in der Maske eines kürzlich verstorbenen Wiener
Zeitungsmannes aufzutreten, was man sich ener¬
gisch verbat.
In Berliner Pressekreisen ist übrigens die
Anekdote von dem Journalisten, der in verschie¬
denen Blättern mit sich selbst polemisiert, seit
jeher bekannt. Wenn wir nicht irren, wurde sie
auch als lustiges Stücklein von einem bekannten
Publizisten literarisch zum besten gegeben, ohne
irgend jemandes Unwillen hervorgerufen zu
haben.
Auch bei der Frankfurter Aufführung hat, wie
uns ein eigener Drahtbericht meldet.
„Fink und Fliederbusch“ sehr freundlichen Beifall
gefunden.
Zeitung: General-Anzeiger
Adresse: Mannheim
19. J00. 1917
Datum:
2
Eine Journalistenkomödie Artur Schnitzlers.
Aus Wien, 15. ds., wird uns geschrieben: Gerade die treuesten
Verehrer Artur Schnitzlers werden von seiner neuen Komödie „Fink
+
und Fliederbusgh“, die gestern am Deutschen Volkstheater zür
nrayfführung kam, ai meisten enttäuscht sein. Denn siegenhält fast
nichts von den künstlerischen Qualitäten und den im Pesten Sinne
wienerischen Zügen, um derentwillen wir alle Schnitzlr als unseren
Bestenschätzen und lieben. Hier ist weder seine tiefblickende Menschen¬
gestaltung zu finden, noch seine elegante und geistreiche Art, das
moderne Wien zu zeichnen; man hat es vielmehr mit einem sonder¬
bar schief und verworren gewachsenen Werk zu tun, das absolut nicht
zum literarischen Charakterbilde Artur Schnitzlers passen will. Es
ist nicht recht zu erkennen, was der Dichter mit dieser Komödie eigent¬
lich will. Der erste Akt, der in der Redaktion der liberalen Tages¬
zeitung „Die Gegenwart“ spielt, sieht scheinbar nach grimmiger Jour¬
nalistensatire aus. Aber um eine Sache satirisch darzustellen, muß
man sie vor allem gründlich kennen und darf keine solche rührend
naive Ahnungslosigkeit bekunden, wie sie Schnitzler hier in der Schil¬
derung des Redaktionsgetriebes eines großen Blattes zeigt. Oder
war es ihm nur um den lustigen Einfall zu tun? Aber der Einfall
ist trotz seiner Schwankmäßigkeit gar nicht so lustig und namentlich
eines Artur Schnitzler nicht recht würdig. In dieser Redaktion, die
sich durch die Bank aus Einfaltspinseln und Charakterschwächlingen
zusammensetzt, ist nämlich ein junger Mensch namens Fliederbusch,
der parlamentarische Berichterstatter, der den jugendlichen Ehrgeiz
hat, auf irgend eine Art die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und
rasch Karriere zu machen. Er schreibt also über denselben Gegen¬
stand im liberalen Blatt scharf demokratische Artikel und in einem
konservativ=klerikalen Aristokratenblättchen unter dem Namen Fink
das gerade Gegenteil, er tut sogar noch ein übriges und greift sich
selbst gehässig an. Ein Doppelspiel, das sich im Leben und auch auf
der Bühne schon öfters ereignet hat, zuletzt in Tristan Bernards Ko¬
mödie „Les deux canards“. Bis hierher ist Schnitzlers Stück immer¬
hin Komödie, aber was dann folgt, ist bedenklicher Schwank. Fink
wird genötigt, den Fliederbusch zu fordern, geht darauf vergnügt ein,
erregt dadurch das wohlwollende Interesse eines politischen Grafen
und einer galanten Fürstin, er erscheint zuversichtlich auf dem Duell¬
platz, gesteht den Schwindel vergnügt ein, die Chefredakteure lizitieren
um ihn, und jedenfalls ist seine Karriere gesichert. Schnitzler hatte
den Schwankeinfall, aber er hat, glücklicherweise, möchte man sagen,
doch nicht die Schwanktechnik, daher entwickelt sich das Doppelspiel
durchaus nicht fesch und übermütig, sondern schwerfällig und stockend
und mit einer ganz hilflosen Technik, die sich in den wichtigsten Mo¬
menten mit redseligen Monologen weiterhilft. Einzelne der Journa=1
box 33
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listenkarikaturen sind witzig gesehen und gezeichnet, namentlich der
vielseiüge geschäftige Externist Kajetan und an manchem gehalt¬
volleren Wort erkennt man ab und zu: die Komödie ist ja doch von
Schnitzler .. . Sie enthält lauter Herrenrollen und nur eine einzige
winzige Damenrolle. Das Deutsche Volkstheater setzte seine Fülle
erster Darsteller ein und die wirklich gute Aufführung trug das Stück
über manche Klippe hinüber. Die Schnitzlergemeinde rief den Dichter
einigemale, aber je ermüdender und uninteressanter das Stück wurde,
desto mehr ließ auch der Beifall nach. In die gesammelten Werke
Artur Schnitzlers wird diese unerfreuliche Komödie kaum ausgenom¬
men werden ...
Ludwig Hirschfeld.
Adyesse: Berlin
2 9. N00. 191)
Datum:
Der neue Schnißzler.
„Zink und —Fliederhuschnhur
Schnihlers Kömlödie, die, wie wir berschteier, im
Volkstheater zür Uräufführung gelange,sist — fe¬
wird uns aus Wien geschrieben — ein heiteres
Stück, das sich in einer nicht völle realen Zei¬
tungswelt ahlpielt Es handelt sich ium einen
Tagesschriftsteller, der unter zwei verschiedenen
Namen seine Meinungen äußert: als Fink für
das eine, als Fliederbusch für das gegnerische
Blatt. In der einen Zeitung bekämpft Fink den
Fliederbusch in der anderen der Fliederbusch den
Fink. Der Witz Arthur Schnitzlers lenkt nun die
Geschichte so, daß Fink und Fliederbusch sich ge¬
genseitig in ihren Artikeln schwer „beleidigen.
Man verlangt von Fink, daß er sich mit Flieder¬
busch, von diesem, daß er sich mit Fini schlage.
Und die Forderung ergehtn Der Zwekkampf.—
kommt zustande. Der vielversprechende I
nalist müßte mit sich selbst das Duell ausfech
Auf dem Kampfplatz wird die Sache in
witziger Weise gelöst. Die Komödie endet mitsech¬
tem Lachen und ein paar Peitschenschlägen gegen
allerlei Leute, die dergleichen wohl verdienen.!
Die Wiener Kritik macht dem Dichter, der sich
schon sehr, sehr lange nicht in so guter Laune
gezeigt hat, zum Vorwurf, daß er die Welt, die
er schildert, nicht recht kenne. Das Merkwürdigste
aber ist: man hält das Lustspiel trotzdem für ein
Schlüsselstück. Ein Schauspieler soll auch die Ge¬
schmacklosigkeit gehabt haben, bei der Generalprobe
in der Maske eines kürzlich verstorbenen Wiener
Zeitungsmannes aufzutreten, was man sich ener¬
gisch verbat.
In Berliner Pressekreisen ist übrigens die
Anekdote von dem Journalisten, der in verschie¬
denen Blättern mit sich selbst polemisiert, seit
jeher bekannt. Wenn wir nicht irren, wurde sie
auch als lustiges Stücklein von einem bekannten
Publizisten literarisch zum besten gegeben, ohne
irgend jemandes Unwillen hervorgerufen zu
haben.
Auch bei der Frankfurter Aufführung hat, wie
uns ein eigener Drahtbericht meldet.
„Fink und Fliederbusch“ sehr freundlichen Beifall
gefunden.