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27. Einkund—Tiederbusch
Osterreichische Rundschau, Wien
1512191)
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— U.
Wiener Bühnen.
Arthur SchnitzlerDramen beruhen
eniger auf Tatsachen als auf Empfindun¬
gen und Stücke rein psychologischer Gattung
kud seine Besonderheit. In ihnen hat
Schnitzler eine Meisterschaft erlangt, die ihn
nur zu oft verleitet, mit feelischen Dingen
zu spielen, und zumeist sind es erotische
Fragen, die seinen Spieltrieb befördern.
Wie um sich nicht ganz im weiten Land der
Seele zu verlieren und wieder festen Boden
unter den Füßen zu gewinnen, wendet er
sich von Zeit zu Zeit gesellschaftlichen und
politischen Problemen zu. „Professor Ver¬
nardi“ war eine bewußte Abkehr von allen
erotischen Spielereien und nach seinem Rück¬
fall in die „Komödie der Worte“ in die
Komödie der halben Empfindungen und
halben Wahrheiten, die hinter und zwischen
den Worten liegen, mochte Schnitzler wieder
das Bedürfnis empfunden haben, sich von
der Welt der Tatsachen neu befruchten zu
lassen. Daß es gerade die Journalisten, die
Diener am Worte sind, in deren Berufs¬
leben er mit seiner jüngsten Komödie „Fink
und Fliederbusch“ hineinzuleuchten versucht,
begreift sich leicht. Wie wenig er von den
Zeitungsschreibern halten mag, so fühlt er
sich insgeheim doch irgendwie mit ihnen
verwandt, und er glaubte, das spielerische
Doppelleben, zu dem der Journalismus
naturnotwendig führen müsse, am besten aus
dem Doppelwesen seines eigenen literarischen
Schaffens ergründen und ausdeuten zu
können.
Gewiß, die Anekdote von dem talent¬
vollen Jüngling, der unter verschiedenen
Decknamen für zwei politisch gegnerische
Blätter schreibt, also in dem einen gut¬
heißen muß, was er in dem andern be¬
kämpft, und dadurch schließlich in die
Zwangslage gerät, sich mit sich selber zu
schlagen, wäre als dramulische Voraus¬
setzung für eine satirische Groteske so übel
nicht. Schnitzler jedoch fühlte sich zu Höherem
verpflichtet. Er wollte aus der schwankhaften
Voraussetzung ein vornehmes Lustspiel ge¬
winnen, das mit leicht ironisierender Über¬
legenheit vom untersten Zeitungsgetriebe bis
hinauf in die höchsten Gesellschaftsschichten
greift, und er wollte ihm zugleich den Reiz ndschau.
eines Schlüsselstückes anschminken, das den
235
schadenfrohen Zuschauer anregt, nach Vor¬
bildern zu fahnden. Auch glaubte Schnitzler,
nicht hindert, das Heil der neuen dramati¬
sich auf eine höhere Warte stellen zu sollen,
schen Kunst im Kino zu suchen. In seinem
zu der weder Haß noch Liebe, weder Gunst
Schauspiel „Marc“ dünkt sich der Titelheld
noch Ungunst der Parteien hinanreichen. So
erhaben wie Zarathustra, zu dessen mystischen
stellt er seinem betriebsamen Helden, der
Höhen kein Lachen, kein Weinen, weder
nach rechts und links schreibt, einen abge¬
Freude und Lust, noch Wehrufe und
klärten Grafen gegenüber, dessen christlich¬
Klagen lebendiger Herzen hinaufdringen.
konservative Gesinnung ihn nicht hindert,
Als er aber von seiner erschwindelten Höhe
sich zu der Moral zu bekennen: man dürfe
herabstürzt, winselt er bei allen Kreaturen,
sich nicht auf eine Überzeugung festlegen,
die er als selbstherrlicher Leiter einer Heil¬
sondern müsse sich das Recht wahren, jeden
anstalt zur Erhöhung seiner Spezies ver¬
Tag eine andere haben zu können.
gewaltigt, geschändet, belogen und betrogen
Wie klug und weltweise sich solche
hat, um Mitleid, wie ein frierender Bettler
Moralsätze anhören mögen, so merkt man
um einen warmen Lössel Suppe. Zudem
doch bald den doppelten Boden, der ins
sprechen Fontanas aktive und passive Hel¬
Bodenlose führt, merkt schließlich die Ab¬
den zu den wahllos zusammengerafften
sicht und wird verstimmt. Es geht nicht an,
Kindessekten der Handlung ausnahmelos
in einer Sache Ankläger und Verteidiger
eine hysterisch verzückte Sprache, die mit
zugleich sein zu wollen, und eine Satire, die
allen überhitzten und überspitzten Phrasen
nicht den Mut hat, den Stier bei den Hör¬
der literarischen „Neutöner“ gesalzen und
nern zu packen, begibt sich von vornherein
geschmalzen ist. „Es ist furchtbar, im Meere
ihrer besten Wirkungsmöglichkeiten. Gerade
vor Durst zu sterben. Müßt ihr denn,“ so
weil Schnitzler sich es mit niemanden ver¬
warnt Nietzsche ahnungsvoll die Vollstrecker
derben wollte, hat er sich's mit allen ver¬
seiner Lehren, „eure Wahrheit so salzen, daß
dorben, am meisten aber mit der
sie nicht einmal meh
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27. Einkund—Tiederbusch
Osterreichische Rundschau, Wien
1512191)
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— U.
Wiener Bühnen.
Arthur SchnitzlerDramen beruhen
eniger auf Tatsachen als auf Empfindun¬
gen und Stücke rein psychologischer Gattung
kud seine Besonderheit. In ihnen hat
Schnitzler eine Meisterschaft erlangt, die ihn
nur zu oft verleitet, mit feelischen Dingen
zu spielen, und zumeist sind es erotische
Fragen, die seinen Spieltrieb befördern.
Wie um sich nicht ganz im weiten Land der
Seele zu verlieren und wieder festen Boden
unter den Füßen zu gewinnen, wendet er
sich von Zeit zu Zeit gesellschaftlichen und
politischen Problemen zu. „Professor Ver¬
nardi“ war eine bewußte Abkehr von allen
erotischen Spielereien und nach seinem Rück¬
fall in die „Komödie der Worte“ in die
Komödie der halben Empfindungen und
halben Wahrheiten, die hinter und zwischen
den Worten liegen, mochte Schnitzler wieder
das Bedürfnis empfunden haben, sich von
der Welt der Tatsachen neu befruchten zu
lassen. Daß es gerade die Journalisten, die
Diener am Worte sind, in deren Berufs¬
leben er mit seiner jüngsten Komödie „Fink
und Fliederbusch“ hineinzuleuchten versucht,
begreift sich leicht. Wie wenig er von den
Zeitungsschreibern halten mag, so fühlt er
sich insgeheim doch irgendwie mit ihnen
verwandt, und er glaubte, das spielerische
Doppelleben, zu dem der Journalismus
naturnotwendig führen müsse, am besten aus
dem Doppelwesen seines eigenen literarischen
Schaffens ergründen und ausdeuten zu
können.
Gewiß, die Anekdote von dem talent¬
vollen Jüngling, der unter verschiedenen
Decknamen für zwei politisch gegnerische
Blätter schreibt, also in dem einen gut¬
heißen muß, was er in dem andern be¬
kämpft, und dadurch schließlich in die
Zwangslage gerät, sich mit sich selber zu
schlagen, wäre als dramulische Voraus¬
setzung für eine satirische Groteske so übel
nicht. Schnitzler jedoch fühlte sich zu Höherem
verpflichtet. Er wollte aus der schwankhaften
Voraussetzung ein vornehmes Lustspiel ge¬
winnen, das mit leicht ironisierender Über¬
legenheit vom untersten Zeitungsgetriebe bis
hinauf in die höchsten Gesellschaftsschichten
greift, und er wollte ihm zugleich den Reiz ndschau.
eines Schlüsselstückes anschminken, das den
235
schadenfrohen Zuschauer anregt, nach Vor¬
bildern zu fahnden. Auch glaubte Schnitzler,
nicht hindert, das Heil der neuen dramati¬
sich auf eine höhere Warte stellen zu sollen,
schen Kunst im Kino zu suchen. In seinem
zu der weder Haß noch Liebe, weder Gunst
Schauspiel „Marc“ dünkt sich der Titelheld
noch Ungunst der Parteien hinanreichen. So
erhaben wie Zarathustra, zu dessen mystischen
stellt er seinem betriebsamen Helden, der
Höhen kein Lachen, kein Weinen, weder
nach rechts und links schreibt, einen abge¬
Freude und Lust, noch Wehrufe und
klärten Grafen gegenüber, dessen christlich¬
Klagen lebendiger Herzen hinaufdringen.
konservative Gesinnung ihn nicht hindert,
Als er aber von seiner erschwindelten Höhe
sich zu der Moral zu bekennen: man dürfe
herabstürzt, winselt er bei allen Kreaturen,
sich nicht auf eine Überzeugung festlegen,
die er als selbstherrlicher Leiter einer Heil¬
sondern müsse sich das Recht wahren, jeden
anstalt zur Erhöhung seiner Spezies ver¬
Tag eine andere haben zu können.
gewaltigt, geschändet, belogen und betrogen
Wie klug und weltweise sich solche
hat, um Mitleid, wie ein frierender Bettler
Moralsätze anhören mögen, so merkt man
um einen warmen Lössel Suppe. Zudem
doch bald den doppelten Boden, der ins
sprechen Fontanas aktive und passive Hel¬
Bodenlose führt, merkt schließlich die Ab¬
den zu den wahllos zusammengerafften
sicht und wird verstimmt. Es geht nicht an,
Kindessekten der Handlung ausnahmelos
in einer Sache Ankläger und Verteidiger
eine hysterisch verzückte Sprache, die mit
zugleich sein zu wollen, und eine Satire, die
allen überhitzten und überspitzten Phrasen
nicht den Mut hat, den Stier bei den Hör¬
der literarischen „Neutöner“ gesalzen und
nern zu packen, begibt sich von vornherein
geschmalzen ist. „Es ist furchtbar, im Meere
ihrer besten Wirkungsmöglichkeiten. Gerade
vor Durst zu sterben. Müßt ihr denn,“ so
weil Schnitzler sich es mit niemanden ver¬
warnt Nietzsche ahnungsvoll die Vollstrecker
derben wollte, hat er sich's mit allen ver¬
seiner Lehren, „eure Wahrheit so salzen, daß
dorben, am meisten aber mit der
sie nicht einmal meh
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