27.
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Fink und Fliederbusch
Einige Tage später trat Schnitzler
des Tages Sorge und Arbeit nicht bloß um
mit einem neuen Werke vor das Publikum.
die Lebensfreude, sondern auch um die Zeit
Während Schönherr, wie früher erwähnt,
zur Erfüllung der heiligsten Weibesaufgabe,
sich der Einschachtelung in ein bestimmtes
der Mutterpflicht, gekommen ist, wie sie,
Genre aus Eigenem gefügt hatte, weil in
die ihrem Manne an Jahren und Verstand
dem Boden des Tirolerlandes die Wurzeln
überlegen, spürt, daß sie ihn und sich um
seiner Kraft ruhen, hat Schnitzler die ihm
das höchste Lebensglück betrogen hat, wie
von der Mitwelt gesetzten Schranken der
sie schließlich in reuiger Erkenntnis in den
dramatischen Eleganz schon wiederholt durch¬
Tod geht, um so ihre tragische Schuld zu
brochen und beispielsweise im „Grünen
sühnen, das ist in den sechs Aufzügen mit
Kakadu“, im „Ruf des Lebens“ oder im
unerhörter dichterischer Kraft geschaut, ge¬
„Jungen Medardus“ gezeigt, daß in ihm mehr
schildert und zum Abschlusse gebracht. Aus
steckt als der bloße „Erotiker“. Vollends in
zahlreichen kleinen Bildern und poetischen
seiner neuen Komödie „Fink und Flie.
Vergleichen, die aus tiefgründiger Betrach¬
derbusch“ sagt er sich von seiner bis¬
tung der Natur und ihrem ewigen Wechsel
herigen. Welt interessanter Gestalten, von
fließen, formt Schönherr mit ehernen Strichen
dem crotischen Milieu völlig los, um ein
das Kolossalgemälde der Unfruchtbarkeit,
für in neues Problem mit all dem Tempe¬
die erschütternde Tragodie der Kinderlosig¬
raniente, das ihm eigen, mit der scharfen
keit. An ihrem granitenen Bau zerschellt
Beobachtungsgabe, über die er gebietet,
armseliger Feuilletonwitz, der das erhabenste
anzuschneiden und zu lösen. Um nicht
menschliche Problem bespötteln möchte.
weniger geht es hier, als um die Reinigung
Gewiß: Trotzdem Schönherr populät ge¬
des Lebens von Vorurteilen und morsch¬
worden, trotzdem er sogar in Mode gekommen,
gewordenen Anschauungen, um das Nieder¬
ist er doch ein Dichter von Gettes Gnaden'
reißen des Kastengeistes, vor allem aber
einer der wenigen großen Künstler, auf die
um dis Befreiung der öffentlichen Meinung
Oesterreich stolz zu sein alle Ursache hat.
von „Beziehungen“, denen zuliebe die Wahr¬
„Frau Suitner“ hat dies aufs neue und ein¬
heit gefälscht, die eigene Ueberzeugung
dringlicher denn je bewiesen. Mit der Auf¬
unterdrückt, echtes Gefühl zur Lüge umge¬
führung seines Werkes dürfte auch Schön¬
bogen wird. Daß Schnitzler zur Abwandlung
herr sehr zufrieden gewesen sein. Das
seines dichterischen Vorwurfes sich diesmal
Burgtheater stellte dem Dichter seine
die Journalistenwelt erkoren hat, dürften ihm
besten Kräfte zur Verfügung. Allen voran die
gerade die Journalisten, die beruflich über
Bleibtreu, die in der Titelrolle eine Ge¬
alle Welt zu urteilen haben, am wenigsten
stalt von wundervoller Eindringlichkeit und
verübeln. Nach der Schilderung militärischer
erschütternder Größe schuf. Der Kaspar des
Mißstände („Leutnant Gustl“), ärztlicher
Herrn Paulsen war durchaus boden¬
Scheelsucht und Mißgunst („Professor Ber¬
ständig, erhielt durch die gelungene Mischung
nardi*), Theaterintriguen („Freiwild“), aristo¬
von Gutmütigkeit und jähzorn die vom
kratischer Unmoral („Komtesse Mizzi“),
Dichter gewünschte Natürlichkeit. Voll Saft
lüftet er mit kühner Hand den Vorhang vor
und Kraft auch die Gretl der Medelsky,
gewissen Zeitungsredaktionen, in denen die
und eine schauspielerische Leistung aller¬
öffentliche Meinung sogenannten Beziehungen
ersten Ranges die Zipfl-Moidl des Fräulein
zu Liebe auf politischem und künstlerischem
Mayer, eine verbissene alte Jjungfer, wie
Gebiete gefälscht und in ihr Gegenteil ver¬
sie im Büchl steht. In der Wiedergabe aller
kehrt wird. Nur kuzsichtiges Standesbewußt¬
übrigen Rollen war vollstes Verstehen der
sein kann leugnen, daß solcher Mißbrauch
Absichten des Dichters zu erkennen, die
mit der den journalisten eingeräumten Gewalt
ganze Vorstellung von Treßler meisterhaft
leider wirklich getrieben wird und geeignet
inszeniert, auf einen wunderbar einheitlichen
ist, den ehrenwerten Stand anständiger und
Ton gestimmt. Der Sieg Schönherrs wurde
rechtlich denkender Journalisten in schlechten
so auch zum Triumph des Burgtheaters.
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Fink und Fliederbusch
Einige Tage später trat Schnitzler
des Tages Sorge und Arbeit nicht bloß um
mit einem neuen Werke vor das Publikum.
die Lebensfreude, sondern auch um die Zeit
Während Schönherr, wie früher erwähnt,
zur Erfüllung der heiligsten Weibesaufgabe,
sich der Einschachtelung in ein bestimmtes
der Mutterpflicht, gekommen ist, wie sie,
Genre aus Eigenem gefügt hatte, weil in
die ihrem Manne an Jahren und Verstand
dem Boden des Tirolerlandes die Wurzeln
überlegen, spürt, daß sie ihn und sich um
seiner Kraft ruhen, hat Schnitzler die ihm
das höchste Lebensglück betrogen hat, wie
von der Mitwelt gesetzten Schranken der
sie schließlich in reuiger Erkenntnis in den
dramatischen Eleganz schon wiederholt durch¬
Tod geht, um so ihre tragische Schuld zu
brochen und beispielsweise im „Grünen
sühnen, das ist in den sechs Aufzügen mit
Kakadu“, im „Ruf des Lebens“ oder im
unerhörter dichterischer Kraft geschaut, ge¬
„Jungen Medardus“ gezeigt, daß in ihm mehr
schildert und zum Abschlusse gebracht. Aus
steckt als der bloße „Erotiker“. Vollends in
zahlreichen kleinen Bildern und poetischen
seiner neuen Komödie „Fink und Flie.
Vergleichen, die aus tiefgründiger Betrach¬
derbusch“ sagt er sich von seiner bis¬
tung der Natur und ihrem ewigen Wechsel
herigen. Welt interessanter Gestalten, von
fließen, formt Schönherr mit ehernen Strichen
dem crotischen Milieu völlig los, um ein
das Kolossalgemälde der Unfruchtbarkeit,
für in neues Problem mit all dem Tempe¬
die erschütternde Tragodie der Kinderlosig¬
raniente, das ihm eigen, mit der scharfen
keit. An ihrem granitenen Bau zerschellt
Beobachtungsgabe, über die er gebietet,
armseliger Feuilletonwitz, der das erhabenste
anzuschneiden und zu lösen. Um nicht
menschliche Problem bespötteln möchte.
weniger geht es hier, als um die Reinigung
Gewiß: Trotzdem Schönherr populät ge¬
des Lebens von Vorurteilen und morsch¬
worden, trotzdem er sogar in Mode gekommen,
gewordenen Anschauungen, um das Nieder¬
ist er doch ein Dichter von Gettes Gnaden'
reißen des Kastengeistes, vor allem aber
einer der wenigen großen Künstler, auf die
um dis Befreiung der öffentlichen Meinung
Oesterreich stolz zu sein alle Ursache hat.
von „Beziehungen“, denen zuliebe die Wahr¬
„Frau Suitner“ hat dies aufs neue und ein¬
heit gefälscht, die eigene Ueberzeugung
dringlicher denn je bewiesen. Mit der Auf¬
unterdrückt, echtes Gefühl zur Lüge umge¬
führung seines Werkes dürfte auch Schön¬
bogen wird. Daß Schnitzler zur Abwandlung
herr sehr zufrieden gewesen sein. Das
seines dichterischen Vorwurfes sich diesmal
Burgtheater stellte dem Dichter seine
die Journalistenwelt erkoren hat, dürften ihm
besten Kräfte zur Verfügung. Allen voran die
gerade die Journalisten, die beruflich über
Bleibtreu, die in der Titelrolle eine Ge¬
alle Welt zu urteilen haben, am wenigsten
stalt von wundervoller Eindringlichkeit und
verübeln. Nach der Schilderung militärischer
erschütternder Größe schuf. Der Kaspar des
Mißstände („Leutnant Gustl“), ärztlicher
Herrn Paulsen war durchaus boden¬
Scheelsucht und Mißgunst („Professor Ber¬
ständig, erhielt durch die gelungene Mischung
nardi*), Theaterintriguen („Freiwild“), aristo¬
von Gutmütigkeit und jähzorn die vom
kratischer Unmoral („Komtesse Mizzi“),
Dichter gewünschte Natürlichkeit. Voll Saft
lüftet er mit kühner Hand den Vorhang vor
und Kraft auch die Gretl der Medelsky,
gewissen Zeitungsredaktionen, in denen die
und eine schauspielerische Leistung aller¬
öffentliche Meinung sogenannten Beziehungen
ersten Ranges die Zipfl-Moidl des Fräulein
zu Liebe auf politischem und künstlerischem
Mayer, eine verbissene alte Jjungfer, wie
Gebiete gefälscht und in ihr Gegenteil ver¬
sie im Büchl steht. In der Wiedergabe aller
kehrt wird. Nur kuzsichtiges Standesbewußt¬
übrigen Rollen war vollstes Verstehen der
sein kann leugnen, daß solcher Mißbrauch
Absichten des Dichters zu erkennen, die
mit der den journalisten eingeräumten Gewalt
ganze Vorstellung von Treßler meisterhaft
leider wirklich getrieben wird und geeignet
inszeniert, auf einen wunderbar einheitlichen
ist, den ehrenwerten Stand anständiger und
Ton gestimmt. Der Sieg Schönherrs wurde
rechtlich denkender Journalisten in schlechten
so auch zum Triumph des Burgtheaters.
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