II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 205

Schnitzler hat wieder einmal ins volle Menschenleben
gegriffen, wo es am dünnsten ist. Er hai als Seelenarzt.
wie das Berliner Tageblatt solche Beschäftigung nennt.
die Journalisten unter seine Lupe genommen. Die
Journalisten sind die Herren, die beschreiben. Leben und
Kunst wird durch einen Strich getrennt, nur die Be¬
schreibung bleibt die gleiche. Nach allgemeiner fach¬
männischer Ansicht haben Journalisten keine Ueber¬
zeugung. Hat man eine, so ist man bereits Kritiker.
Und da man für Kunst keine braucht, hat der Kritiker
eigentlich die anständigste Beschäftigung dieser Erde.
Der Kritiker darf alle möglichen Leute für Dichter
halten, ohne daß der Verlag, die Abteilung für Anzeigen
oder eine Partei Einspruch erhebt. Es ist daher leicht
für einen Theaterkritiker, einem Journalistenstück gerecht
zu werden. Namentlich, da alle Kritiker nur festzu¬
stellen haben, ob die geliebte Kunst richtig und wahr ist.
Das Publikum wird leicht glauben, daß ein Journalist
über Journalisten Bescheid weiß. Ein Journalist weiß
aber überhaupt Bescheid. Er kennt das Leben schlecht¬
hin. Wird es ihm doch in jeder Minute telegraphisch
und telephonisch übermittelt. Und wo es das Leben nicht
sc eilig hat, trifft es immerhin mit Rohrpost ein. Dieses
Leben, auf Draht gezogen, wird beschrieben. Alles ist
in Ordnung. Spielt es sich auf der Bühne ab, ist es
Kunst. Diese intime Gemeinschaft mit dem Leben macht
überlegen. Das Leben erscheint zweimal, morgens und
abends und wiederholt sich, morgens und abends. An
manchen Tagen ist es sogar illustriert, das Leben. Dieses
Leben hat nun der Doktor Arthur Schnitzler eingesan¬
gen. mit Handschuhen: „Wir sahen nur Spuren seiner
samtenen Grazie und seine Florettkunst mühte sich, so
dankbar der Stoff war, nicht durchweg mit Glück“.
Herr Fritz Engel fühlt sich also nicht geschlagen, er
bleibt wohlwollend: „Es bleiben Einzelheiten und Einzel¬
wirkungen übrig, darunter Ausgezeichnete. Sie heften
sich mit satirischen Pfeilen an das Zeitungsmetier!“
Die satirischen Pfeile sind poctische Umschreibungen
für Büroklammern, mit denen die Einzelgestalten an das
Zeitungsmetier geheftet sind. „Der Wetteifer und
Uebereifer der Journalistik wird gezeigt, die innere
Kälte der Temperamente, die Geneigtheit, Opfer des
Intellekts zu bringen, um nicht aus einem behaglichen
Nest zu fallen.“ Die Opfer des Intellekts dieser Vögel
sind die bekannten Kuckukseier: „Dies alles wird be¬
spöttelt und bestichelt. Wir blicken in den Spiegel und
sagen, wie sehr er auch mancherlei verzerrt: vieles ist
wahr“. Damit nicht alles wahr ist, sient der Herr
Kritiker lieber in einen Zerrspiegel.
So wahr dichtet der Doktor Schnitzler. Diese
Furchtlosigkeit vor der Entente der Presse bringt ihm
ein besonderes Lob des preußischen Berliner Tageblatts
ein: „Achtung vor dem Dichter und vor dem Theater.
wenn sie eine Schicht darstellen, von der die Leute der
Bühne immer fürchten, sie könne ihnen schaden und
laure nur darauf, es zu tun“, Für diesen Mut wird dem
Dichter von der Schicht das papierene Kreuz verliehn.
Aber der Herr Doktor Schnitzler meint es gar nicht so
schlimm. Sein Mut ist flüssig: „Der Saft seiner Ironic.
soweit sie sich auf das Ganze des Stoffes bezicht.
träufelt schwer und langsam. Er erreicht nicht einmal
eine geschlossene und gesteigerte Bühnenwirkung.“
Das ist auch zu viel vom Saft verlangt, daß er ge¬
schlossen wirken soll, wo er sich doch schon auf den
ganzen Stoff bezicht. Der Doktor Schnitzler hätte nach
dem Geschmack des Herrn Engel dem Saft mehr Zucker
zusetzen sollen: „Gustav Freytag, mit seiner alten lieben
Dramentechnik, hat schon gewußt, warum er von seiner
Adelheid und seiner Ida den Zucker der Liebe auf das
trockene politische Brot der Männer streuen läßt“. Ja.
der Herr Engel hat seine Butter auf dem Kopf. Er
sollte uns zu Weihnachten das Journalistenstück be¬
scheren. Dann braucht der Herr Doktor Schnitzler
wenigstens nicht mehr durch fremde Federn geschmückt
#werden.
H. W.