II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 244

27. Einkund Fliederbusch
Bühne und Kunst.
Peter Altenberg.
AN
Heute begehen seine Freunde die Totenfeier, und
auch an dieser Stelle sei dieses einzigartigen Lyrikers
### #. # gedacht.
Die wahre Kunst ruht in der besonderen
J Menschennatur und kann an jedem Stoff geübt
werden. PeterAltenberg übte sie nicht an
Dramen, Romanen oder Essays, sondern an winzigen,
das darf man
köstlichen, oft ergreifenden, ja
sagen — mitunter erlösenden Gesprächen und
Betrachtungen. Daß er schrullenhaft war und sehr
auffallend? Auch Gustav Mahler mußte man belächeln,
wenn er am Ning über sich selbst stolperte oder mit
ingrimmiger Gebärde das Publikum der Oper zur Ruhe
ebefahl. Und er ist doch nach seinem Tode riesenhaft¬
gewachsen. Auch Altenberg wird noch viel, viel größer
werden (wenn man auch den Enthusiasten ernstlich
böse sein muß, die ihn mit Beethoven vergleichen).
Wäre er der Kquseur und parfümierte Troubadour
und bekadente Nachtkafseebummler, als den ihn manche
Unverständige bezeichnet — wahrlich man hätte sein
Kunst in den verflossenen furchtbaren Jahren nicht
genießen können. Und doch hat er sich gerade während
des Krieges alle Herzen geworben, die entsetzt von
der Blutschande — bei den harmlosen und weisen
„Künstlern Erquickung suchten. Altenberg gehört zu
diesen Unbestechlichen, sich selbst Treuen, Naiven
und Weisen. Von ihm gilt das Wort Schillers:
„Was kein Verstand der Verständigen sieht, das findet
in Einfalt ein kindlich Gemüt.“ Er war jüdischen
Blutes. Warum sollen wir es nicht sagen, daß in der
Stadt, da die Literaturbörsen von Juden wimmeln
und über Nacht aus einem „Fliederbusch“ ein „Fink“
wird, gerade die Besten, Feinsten und Echtesten
unseres Stammes sind! Der gewaltige Gustar
Mahler, der untadelige, hochstehende Artur Schnitzler,
der alle Feuilletonspalten meidende Richard Beer
Hoffmann, der vornehme, von Konjunkturen unbe¬
rührte Jakob Wassermann, der verehrungswürdige Greis
Josef Poppelinkeus und Peter Altenberg, der reine
O. A.
Tor.
In memoriam Peter Altenberg. Die Totenfeier für
Peter Altenberg findet heute um 11 Uhr vormittags
#F00.
box 33/4
in
Fink und Fliederbusch.
Schnitzien zelchnet in seinem Lustspiel „Fink und

Fliederbusch“ einen Journalisten, der als Fink rechts
schreibt, als Fliederbusch links, der als Fink Flieder¬
busch, als Fliederbusch seinen Kollegen Fink in den
Boden verreißt, beleidigt, beschimpft, bis der eine den
andern, bis Fink Fliederbusch, bis der Doppelseitige
sich selbst, vor seine eigene Pistole fordern muß...
Aber dies ist kein Lustspiel, keine Operette; ist +
Tatsache, nachweisbare Begebenheit, geschehen im Ok¬ ###
tober 1919. In der Schriftleitung eines Berliner T.
Blattes erscheint ein Mann: „Baron La Roche ...!“
— „Sehr angenehm.“ — „Ich möchte Ihnen einen 2
Aufsatz schreiben über den berüchtigten Spitzel
Moschell, den Betrüger, den Lügner. Ich habe aus¬
gezeichnetes Material . . .“ — Und er schreibt: er hat □
wirklich ausgezeichnetes Material. An Herrn Moschell
bleibt kein ehrliches Haar. Der Aufsatz erscheint. Dann
erscheint ein Freund des Blattes in der Schriftleitung,
teilt mit, daß Herr Baron La Roche kein anderer als
Herr Moschell selbst ist! Fink und Fliederbusch ...!
Aber Herr La Roche spricht noch einmal vor; ob
er nicht noch einen Artikel schreiben solle, er habe
neues Material.
Das ist zuviel der Frechheit.
*
Herr La Roche wird verhaftet; das Reichswehrgrup¬
penkommando sucht ihn seit langem.
Denn Herr Moschell war schon immer sehr viel¬
seitig: seit der Revolution bespitzelte er alle Parteien,
einmal die U. S. P. D., dann die Deutsch=Natoinalen.
Je nachdem, wer ihm mehr bof Dem General Biskupski,
Vertreter einer „Westrussis## Regierung“ in Berlin,
hat er sich als Abgesandter des amerikanischen Bank¬
hauses Morgan vorgestellt; einen Vertrag mit ihm ab¬
geschlossen. Man weiß nicht einmal, ob sein Name
Moschell echt ist, oder nur ein Pseudonym für seine
erstaunliche Vielseitigkeit. Vielleicht enthüllt das ein¬
geleitete Verfahren noch mehr seiner Talentstücke.
Aber sein Gastspiel in dem Berliner konservativen
Blati dürfte er selbst nicht zu überbieten ver¬
mägen

4
7