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27. Einkund Fliederbusch
Das Literarische Echo, Berh V/7. 5.
10
Hans Teßmer, Der Redakteur in der modernen Literatur 5011321
Literatur gescholten, steht achtlos neben dem Treiben
102
Gestalten
GRN
unserer Tage. Warum?
XIX
Dem deutschen Dichter fehlt der Mut zur Gegen¬
wart. Weil Büchner, Heine, Börne ihr Streben,
Der Redakteur in der modernen Literatur
trotzdem es für das Seelenheil eines Volkes stritt,
Von Hans Teßmer (Berlin)
gebüßt haben, wie nur der Exilierte, Liebe zur
Heimat im Herzen, das Unglück des Landes aus der
ie sogenannt „freien Berufe“ in Künsten und
Ferne bekrauern kann, deshalb zittert das politische
Wissenschaften sind in der Literatur stets
Ethos der Dichter von heute, ihr Sinn könnte durch
—
Gegenstand einer Darstellung gewesen, die
die Zukunft desavouiert werden. Was nützt es, daß
in jenen Berufszweigen gern Angriffsflächen
Büchner, daß Börne noch immer als Säulen gelten,
für ironisierende und karikaturistische Schilderungen
um die sich das Buschwerk politischdeutschen Poeten¬
sah. Der Bühnenkünstler, der reisende Virtuose, der
tums kümmerlich rankt? Ihre Epigonen scheinen
Dichter, — das sind stets mehr oder weniger fest¬
Schwächlingen gleich, denen der Mut zur Wahrheit
stehende „Typen“ gewesen, die man als solche heraus¬
fehlt. Puschkin und Dostojewski haben einmal am
stellte, um zu zeigen: so sind sie alle! Doch es spricht
Gebäude der Menschheit gerüttelt. Würden auch sie
aus solcher Darstellung gewöhnlich auch eine heimliche
heute nicht mehr als ein Parteipamphlet als Banner
Verbeugung vor den Kreisen und Geistern, denen
schwenken? Der Typus Dichter, so wie er seine
nach Ansicht der Verfasser Spott und Karikatur
politische Aufgabe erfüllt, muß Anführer sein, Ideen¬
gebührt. Während die etwa aus dem Mittelalter
verkünder. Wozu liegt die Macht des Wortes in seiner
herstammenden Berufszweige der Kunstvaganten jeder
Hund? Politik ist mehr als die Schule des Geistzs,
Art mit jenem Hohn abgetan werden, der vom
sie ist die erhöhte Potenz menschlichen Denkens, ei
Mitleid zehrt. Zu diesen Zweigen zählte — und
ernstes Spiel mit Völkerschicksal und Staatenzukunft.
zählt ja noch heute in einer weitverbreiteten Meinung
Sind die Deutschen wirklich ein unpolitisches Volk,
das Journalistentum. Der Journalist war (— und
in dessen Adern sich höchstens ein wildes Sehnen
ist —) eine so untergeordnete Persönlichkeit, daß man
staut, das den Willen zur Tat niemals gebäten
ihn nur über die Schulter ansehen kann. Auch er
kann? Sie mögen Talente haben, die noch keiner
ist eine „Type“, deren Typisches eben belächelt und
durchschaute. Wenn Rousseau seine Glaubenssätze ver¬
allzu bequem — bespöttelt wird. (Wie die Klasse
kündete, so folgte ihm allerdings ein literarisch bis in
von Schülern den Lehrer verspottet, den sie täglich
die letzten Instinkte begabtes Volk, dem die Synthese
in seinen guten und bösen Eigenschaften vor Augen
Europas als vertraute Kleinigkeit erschien. In
hat.) Das Journalistentum ist überhaupt kein „Be¬
Deutschland aber steht das Genie hinter dem letzten
ruf“, es ist Scharlatanerie, „Theater“ ein aufge¬
Reporter, und die öffentliche Meinung bleibt ein
blasenes, charakterloses Nichts, eine Posse, die von
Spielball einiger weniger Zeitungsbesitzer, die das
geschäftstüchtigen Leuten der großen Masse vorge¬
Volk verdummen machen, statt es zur Höhe einer
spielt wird. Ist anders die Spottfigur des Schmock
Idee zu führen. Die Sachlichkeit des deutschen Bür¬
denkbar, als von diesem Standpunkt aus? Und ist
gers ist entmannend, wirkt entnervend. Und Gründe
anders als unter diesen Voraussetzungen der un¬
heißen ihm mehr als Leidenschaft des Individuunss.
erhörte Erfolg der „Journalisten“ von Freytag er¬
Einer hat das Ziel gepredigt, ein anderer Mensh¬
klärlich? (Denn daß sie im literarischen, modernen:
lichkeit. Wer predigt Geist, der hier ist und auf
Sinne ein Geniewerk seien, wird ernstlich nicht mehr
seine Erweckung wartet? Das Unglück eines Volkes
behauptet werden können.)
hat bisher immer seine geistige Erstarkung zur Folge
Doch es werden Unterschiede gemacht. Unter¬
gehabt. Noch keine Reaktion vermochte den Flug
schiede des Standes und der Aufgabe innerhalb des
der Ideen zu behindern. Auch Deutschland wird
Journalistenreiches. Der Redakteur, speziell der
die Politik seiner Zukunft mit dem Temperament
Chefredakteur, wird irgendwie doch stets hervorge¬
seines Geistes vollenden, ohne Vernunftsrechner und
hoben vor dem Mitarbeiter, dem Rezensenten, dem
kritische Zweifler als Kombattanten zu dulden.
Reporter. Der Redakteur steht über ihnen, denn er
Dem deutschen Dichter aber scheine das Heil seines
soll sie ja leiten, ihnen ihre Aufgaben zuweisen, ihre
Volkes ein politisches Lied. Auch möge es Jour¬
Arbeit ordnen, in Beziehungen setzen zu dem Vorher
nalisten geben, deren Seele spricht, während die Feder
und Nachher des Tagesbetriebes; soll Anregungen
schreibt. Geist und Tat gelten als Wahrzeichen der
geben, das Niveau bestimmen, Meinungen leiten, —
Befreiung!
soll eben redigieren in der vielfältigsten Bedeutung
des Wortes. Die primitivsten Umrisse solcher Redak¬
tionstätigkeit, solch aufspürender und zusammenfassen¬
der Arbeit zeigt einmal Gottfried Keller in der
Novelle „Hadlaub“ die die Entstehung der berühm¬
ten manesseschen Liederhandschrift zum Gegenstande
hat. Handelt es sich hierbei auch wesentlich um kultur¬
wissenschaftliche Arbeit, so ist doch der junge Hadlaub,
HA
27. Einkund Fliederbusch
Das Literarische Echo, Berh V/7. 5.
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Hans Teßmer, Der Redakteur in der modernen Literatur 5011321
Literatur gescholten, steht achtlos neben dem Treiben
102
Gestalten
GRN
unserer Tage. Warum?
XIX
Dem deutschen Dichter fehlt der Mut zur Gegen¬
wart. Weil Büchner, Heine, Börne ihr Streben,
Der Redakteur in der modernen Literatur
trotzdem es für das Seelenheil eines Volkes stritt,
Von Hans Teßmer (Berlin)
gebüßt haben, wie nur der Exilierte, Liebe zur
Heimat im Herzen, das Unglück des Landes aus der
ie sogenannt „freien Berufe“ in Künsten und
Ferne bekrauern kann, deshalb zittert das politische
Wissenschaften sind in der Literatur stets
Ethos der Dichter von heute, ihr Sinn könnte durch
—
Gegenstand einer Darstellung gewesen, die
die Zukunft desavouiert werden. Was nützt es, daß
in jenen Berufszweigen gern Angriffsflächen
Büchner, daß Börne noch immer als Säulen gelten,
für ironisierende und karikaturistische Schilderungen
um die sich das Buschwerk politischdeutschen Poeten¬
sah. Der Bühnenkünstler, der reisende Virtuose, der
tums kümmerlich rankt? Ihre Epigonen scheinen
Dichter, — das sind stets mehr oder weniger fest¬
Schwächlingen gleich, denen der Mut zur Wahrheit
stehende „Typen“ gewesen, die man als solche heraus¬
fehlt. Puschkin und Dostojewski haben einmal am
stellte, um zu zeigen: so sind sie alle! Doch es spricht
Gebäude der Menschheit gerüttelt. Würden auch sie
aus solcher Darstellung gewöhnlich auch eine heimliche
heute nicht mehr als ein Parteipamphlet als Banner
Verbeugung vor den Kreisen und Geistern, denen
schwenken? Der Typus Dichter, so wie er seine
nach Ansicht der Verfasser Spott und Karikatur
politische Aufgabe erfüllt, muß Anführer sein, Ideen¬
gebührt. Während die etwa aus dem Mittelalter
verkünder. Wozu liegt die Macht des Wortes in seiner
herstammenden Berufszweige der Kunstvaganten jeder
Hund? Politik ist mehr als die Schule des Geistzs,
Art mit jenem Hohn abgetan werden, der vom
sie ist die erhöhte Potenz menschlichen Denkens, ei
Mitleid zehrt. Zu diesen Zweigen zählte — und
ernstes Spiel mit Völkerschicksal und Staatenzukunft.
zählt ja noch heute in einer weitverbreiteten Meinung
Sind die Deutschen wirklich ein unpolitisches Volk,
das Journalistentum. Der Journalist war (— und
in dessen Adern sich höchstens ein wildes Sehnen
ist —) eine so untergeordnete Persönlichkeit, daß man
staut, das den Willen zur Tat niemals gebäten
ihn nur über die Schulter ansehen kann. Auch er
kann? Sie mögen Talente haben, die noch keiner
ist eine „Type“, deren Typisches eben belächelt und
durchschaute. Wenn Rousseau seine Glaubenssätze ver¬
allzu bequem — bespöttelt wird. (Wie die Klasse
kündete, so folgte ihm allerdings ein literarisch bis in
von Schülern den Lehrer verspottet, den sie täglich
die letzten Instinkte begabtes Volk, dem die Synthese
in seinen guten und bösen Eigenschaften vor Augen
Europas als vertraute Kleinigkeit erschien. In
hat.) Das Journalistentum ist überhaupt kein „Be¬
Deutschland aber steht das Genie hinter dem letzten
ruf“, es ist Scharlatanerie, „Theater“ ein aufge¬
Reporter, und die öffentliche Meinung bleibt ein
blasenes, charakterloses Nichts, eine Posse, die von
Spielball einiger weniger Zeitungsbesitzer, die das
geschäftstüchtigen Leuten der großen Masse vorge¬
Volk verdummen machen, statt es zur Höhe einer
spielt wird. Ist anders die Spottfigur des Schmock
Idee zu führen. Die Sachlichkeit des deutschen Bür¬
denkbar, als von diesem Standpunkt aus? Und ist
gers ist entmannend, wirkt entnervend. Und Gründe
anders als unter diesen Voraussetzungen der un¬
heißen ihm mehr als Leidenschaft des Individuunss.
erhörte Erfolg der „Journalisten“ von Freytag er¬
Einer hat das Ziel gepredigt, ein anderer Mensh¬
klärlich? (Denn daß sie im literarischen, modernen:
lichkeit. Wer predigt Geist, der hier ist und auf
Sinne ein Geniewerk seien, wird ernstlich nicht mehr
seine Erweckung wartet? Das Unglück eines Volkes
behauptet werden können.)
hat bisher immer seine geistige Erstarkung zur Folge
Doch es werden Unterschiede gemacht. Unter¬
gehabt. Noch keine Reaktion vermochte den Flug
schiede des Standes und der Aufgabe innerhalb des
der Ideen zu behindern. Auch Deutschland wird
Journalistenreiches. Der Redakteur, speziell der
die Politik seiner Zukunft mit dem Temperament
Chefredakteur, wird irgendwie doch stets hervorge¬
seines Geistes vollenden, ohne Vernunftsrechner und
hoben vor dem Mitarbeiter, dem Rezensenten, dem
kritische Zweifler als Kombattanten zu dulden.
Reporter. Der Redakteur steht über ihnen, denn er
Dem deutschen Dichter aber scheine das Heil seines
soll sie ja leiten, ihnen ihre Aufgaben zuweisen, ihre
Volkes ein politisches Lied. Auch möge es Jour¬
Arbeit ordnen, in Beziehungen setzen zu dem Vorher
nalisten geben, deren Seele spricht, während die Feder
und Nachher des Tagesbetriebes; soll Anregungen
schreibt. Geist und Tat gelten als Wahrzeichen der
geben, das Niveau bestimmen, Meinungen leiten, —
Befreiung!
soll eben redigieren in der vielfältigsten Bedeutung
des Wortes. Die primitivsten Umrisse solcher Redak¬
tionstätigkeit, solch aufspürender und zusammenfassen¬
der Arbeit zeigt einmal Gottfried Keller in der
Novelle „Hadlaub“ die die Entstehung der berühm¬
ten manesseschen Liederhandschrift zum Gegenstande
hat. Handelt es sich hierbei auch wesentlich um kultur¬
wissenschaftliche Arbeit, so ist doch der junge Hadlaub,
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