II, Theaterstücke 27, Fink und Fliederbusch. Komödie in drei Akten (Journalisten, Der Unsichtbare und die zwei Schatten), Seite 248

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27. Einkund Fliederbusch
Hans Teßmer, Der Redakteur in der modernen Literatur
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weniger frisierten Zustände in der maßgebenden Gro߬
erscheint. Der Redakteur jener Presse hatte nicht
stadtpresse. — Einen ausgezeichneten Einblick in den
entfernt die ernsten Aufgaben seines heutigen Kol¬
Betrieb der modernen Zeitung und in die Psyche des
legen. Die Zeitungen waren nicht so sehr politisch
ernsten großzügigen Nedakteurs gewährt Hermann
im Sinne der Staats= als vielmehr der Gesellschafts¬
Kessers Roman „Die Stunde des Martin
politik. Und in dem schmucklosen Konversationszimmer
Jochner“. Die komprimierte Tätigkeit des gleich¬
im obersten Stock einer der maßgebenden Nedaktionen
zeitigen Aufsaugens und Vonsichgebens im redaktio¬
saßen die fünf, sechs Redakteure bei Likör und Zi¬
nellen Tagesbetrieb wird an Jochners Ringen mit den
garren nicht nur, um eine Schauspielerin durch ver¬
überwältigenden Stoffen, die kurz vor dem Kriege
abredete und teuer bezahlte Artikel zu lancieren,
Hirne und Herzen füllten, in seiner kleinen Zelle
sondern da. oben wurden auch die Geschicke von
ausführlich erläutert. Und Jochner wird als das
Ministern, hervorragenden Damen der Gesellschaft,
Ideal des politischen Redakteurs aufgestellt, der nicht
von Lebegreisen und Buchhändlern, von Mätressen
zwischen den Angeln schwebt, sondern ordnend in das
des Hofes und der Künstlerschaft entschieden. Polemik
Getriebe eingreift und Richtung gibt. „Er lief ab.
war der wesentliche Bestandteil dieser Zeitungen,
Eine unbeirrbar rotierende Denkmaschine.“ Breit
die abends um acht Uhr noch keinen Stoff für das
und ausführlich bis ins einzelne gibt Knnt Ham¬
Morgenblatt hatten, und deren Nedakteure und Mit¬
sun im „Nedakteur Lynge“ eine ungemein
arbeiter in wenigen Minuten oberflächlicher Plau¬
plastische Charakterstudie vom Aufstieg eines genialen
derei den Inhalt der nächsten Ausgabe festsetzten.
Nedakteurs, von seiner Machtfülle auf der Höhe,
Die Hauptsache war ihnen der Erfolg im Salon
von seinem jähen Sturz nach einem von den Ereig¬
und auf den Boulevards; danach richtete sich jede
Polemik. Aber nicht einmal diese Polemik war ehr¬
nissen des Tages und den Spaltungen in den Parteien
mehr als aus persönlichem Versagen geborenen jour¬
lich, sondern sie wurde nach rein geschäftlichen Ge¬
nalistischen Fehlschlag. Der Tag hebt den Nedakteur
sichtspunkten von den scheinbaren Gegnern verabredet
in den Sattel; der Tag verschlingt aber auch wieder
und geführt. „Wir schrecken vor nichts zurück,“ sagt
Roß und Reiter. Sein Wirken ist bestimmt von
ein Journalist zu dem jungen Dichter, der aus der
tausend Außerlichkeiten, Oberflächlichkeiten, Abhängig¬
Provinz kommt und nach Überwindung mancher
Hindernisse in eine Nedaktion eintritt. Mit aller
keiten. Und wie dem Mimen, flicht auch dem Jour¬
nalisten die Nachwelt keine Kränze. Weniger pro¬
Liebe zum Detail, die Balzacs Stil kennzeichnet,
blematisch als Hamsun faßt Strindberg die
entwirft er ein verwirrend buntes Bild von der pariser
Pressefrage gelegentlich auf, so im „Noten Zimmer“.
Presse seiner Zeit, geistvoll ihr Wesen analysierend,
Mit haarscharfer Satire wird die Umgestaltung der
sarkastisch die negativen Resultate seiner Forschung
und Beobachtung aneinanderreihend. Dabei ist es
liberalen Zeitungsgesellschaft Grauhäubchen“ in ein
konservatives Blatt behandelt, werden die Redak¬
ihm nicht wichtig (— und vielleicht, aus den Er¬
teure des umgeformten Unternehmens gezeichnet. Be¬
—), den
fahrungen seiner Zeit, auch nicht möglich
sonders der neue Chefredakteur gehört nach Strind¬
oder einen Typ des Journalisten und Redakteurs
zu geben, sondern das Ganze des widerlichen „Be¬
bergs Schilderung jener Art von Pressevertretern an,
triebs“ als welchen er die Journalistik in ihrer
die aus Versehen Journalisten werden, weil sie eben
nichts anderes mehr werden können. Die ganze
Anhäufung von niedrigsten Trieben und Handlungen
der sogenannten intellektuellen Welt sieht. — Außerst
Inferiorität, die dieser Beruf so leicht haben kann,
wird mit beißendem Spott dargestellt, und der Dich¬
zahm nimmt sich neben diesem einzigartigen Koloß
ter scheut vor keiner Ofsenherzigkeit zurück, wo es
des balzacschen Kulturbildes der immerhin flott und
ihm gilt, die Lügen und Intrigen, die hinter den
fesselnd geschriebene Noman „Die rasende No¬
Kulissen dieser Welt der Druckerschwärze so oft regie¬
tationsmaschine“ von Ludwig Winder aus,
ren, im Zerrbild des Grotesken zu zeigen. — Eine
dem es lediglich auf die Schilderung eines fast ameri¬
spezielle Darstellung des pariser Journalismus um
kanischen, neuen wiener Zeitungsbetriebes mit seinen
dem Laien phantastisch erscheinenden Voraussetzungen
1830 findet sich in Balzacs „Verlorenen Il¬
lusionen“. Napoleons Maxime: „Wer alles sagen
und Effekten ankommt.
Über unser Thema ließe sich bequem ein Buch,
darf, gelangt dazu, alles zu tun“ dient Balzac als
Grundlage zu seiner unerreichten, vielfältigen und
von allen möglichen Gesichtspunkten aus, schreiben.
Das tausendunderste zu den tausend, die man in
farbigen Psychologie des Journalismus, die ja mit
diesem Falle zu studieren hätte. Doch der Zweck dieser
geringen Variationen für die Presse aller Länder
gilt. Balzac schildert nicht nur Zustände, er deckt
Zeilen ist nicht statistische Vollzähligkeit, sondern ein
die verborgensten Gründe des Wesens der Presse
ungefährer Überblick über die Behandlung des inter¬
essanten Problems in der modernen Literatur. Für
auf. Vieles daran ist natürlich zeitlich bedingt. Die
Presse kannte damals noch keine Annoncen; anderer¬
Interessenten sei noch auf einige Werke und Autoren
seits war sie auf Einnahmequellen angewiesen, die
hingewiesen: Auguste Hauschner („Nudolf und
heute eben der Anzeigenteil öffnet; also mußten andere
Camilla“), Karl Strecker („Lebensstudenten"),
Mittel und Wege gefunden werden, um Geld herein¬
Hanns von Zobeltitz („Das Nedaktionskind“),
Manuel Schnitzer („Käthe und ich"), Jean Paul,
zubekommen. Daher blühten Korruption, Lüge und
Demhet (.Lettres de mon moulin“). Muraer
Intrige in einem Maße, das selbst heute phantastisch
Eugen Lerch,
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Ibsen („Nosmersholm“), Henrik
(„Bohôme“),
Pontoppidau („Haus im Glück“) und sehr viele
andere.