26. 1
Kongedie der Norte—Zuklus
Ausschnitt aus:
Kölnischs Zeitung
180K1. 1975
vom:
Xx Wien. Wohl nie hat man so deutlich empfunden, daß Arthur
(Schpitzler der Dichter der Dekadenz ist, als bei Aufführung seines letzten
Werk#heater am 12 Oktober. Komödie der Worte
hat er sie betitelt, und diese Komödie setzt sich aus drei Emaktern
zusammen, die alle drei höchst wurmstichige Ehebruchsverhältnisse
behandeln. Als Spiegelbilder der verkommenen, bis ins Mark ver¬
dorbenen Sittlichkeit gewisser Gesellschaftskreise, die aber keineswegs
als für Wien oder Österreich typisch gehalten werden dürfen, mögen
sie ihren Wert haben, zumal da sie unzweifelhaft mit großer technischer
Gewandtheit entworfen und mit allen Vorzügen der Schnitzlerschen
Dialektik ausgestattet sind. Aber in dieser großen Zeit der sittlichen—
Erhebung und Läuterung, die der Weltkrieg bedeutet, wirken sie wie
ein Schlag ins Gesicht. Die vollzählig anwesende Schnitzlergemeinde?
des Burgtheaters spendete allen drei Stücken freilich lebhaften Beifall
für den sich der Verfasser allerdings auch bei den Darställern#
bedanken hat, die geradezu Vollendetes leisteten.
Arthur Schnitzlers drei Einakter unter dem Titel Komödie der
Worte, deren Aufführung auch in Köln vor sich geht, konnten bei ihrer
Uraufführung im Darmstädter Hoftheater trotz flotter Spielleitung
und eines im ganzen fein abgedämpften Spieles nur einen mäßigen
Achtungserfolg erzielen, der vielleicht auch mehr den Darstellern, in
erster Linie dem temperamentvollen Vertreter der drei männlichen
Hauptrollen Bruno Harprecht, als den Szenen des Wiener Dichters
galt. Diese selbst sind im guten und schlechten Sinne kaum mehr als
Literatur, Wiener Kaffeehaus=Literatur, die nirgend zu künstlerisch
machtvoller Vertiefung gelangt und bei allen Ansätzen psychologischer
Durchdringung im Letzten immer banal bleibt,
box 32/1
Ausschnitt aus: KEICHSPOST, WIEN
voma# 0K1.197
unpuv.
Der Arier fühlt und schreibt anders. Die gewisse
Wiener Presse ist natürlich vor Entzücken über Schnitzlers
„Komödie der Worte“ völlig aus dem Iiaer
geraten und jeglicher Schmock hat seine prunkvollsten Worte
zusammengesucht, um das Ereignis nach Gebühr zu feiern. So
lasen wir in der „Wiener Mittags=Zeilung“: Keine gewichtigen
Probleme, nur ein paar leichte, ein wenig nachdenklich beschwerte
Asorgfältig fassettierte Stimmungsbilder, abrupte, mehr
auf dialogische Wirkung gestellte Szenen von jener halb lustigen,
halb melancholischen Schnitzlerschen Art . . .. ein hastiger Wurf
von dramatischen Explosionen ein Sprudel von Sentiments —
und Ironismen ..... groteske Bahnhofsszene.
frappantes Finale, bravouröses Tempo.
(Arme deutsche Sprache!) ... Besonders üppig gebärdet sich
die Berta Zuckerkandl in der „Wiener
Allgemeinen Zeitung“. Hören wir ein paar Sätze:
„Der Rückblick ist hier Handlung; das Gewesene, die
Krisis und die Liquidierung verklungenen Lebens
treibt zur katastrophalen Lösung.“ Oder: „So ist der innerste
Rhythmus des „Bachusfestes' eigentlich der eines Marionetten¬
spieles, dessen behende Drastik, dessen lautlos einschnappende
Dramatik die knappe Artikulation einer brutalen
Schicksalswendung zeigt ..... Eine Szene kompli=
zierter Seelenakrobatik. Eine aufflammende
Katastrophe wird durch Worte erftickt. Ein elementares
Erlebnis wird durch Worte zivilisierte Konvention. — Wie auss
der erstarten Feuermasse die Hand des Künf'ers Kameen
modelt, so prägt das Wort hier aus Urgebilden der Seele
elegant gefaßte Schmucksteine.“ Was aber soll
man zu diesem Satz sagen, den sich gleichfalls die nun völlig
entfesselte Zuckerkandl leistet: „In dem flatternden, leiden=
schaftlich geschwellten, geistesabwesend irrenden, nervös hastigen,
bald zurückgestauten, bald auftollenden Dialog, der scheinbar##
inkohärent, dennnoch starr und unerbittlich sein Ziel verfolgt
und erreicht, ist der Reiz der tollen Situation und der grotesken##
Charakterentwicklung eingeschlossen.“: Oder zu diesem: Der
rhythmische Sang des mild verklingenden Endes bleibt
doch nur ein Gedanke, der neben dem menschlichen
Erleben einhergeht, und außerhalb des dramatischen Ereignissesn
stehend, in dieses nicht zwingend eingreift, sondern es nur
glitzernd überziert.“ (Arme, arme deutsche Sprache!)
Der Referent des „Neuen Wiener Journals“ erklärt
uns, was ihm an Schnitzler „so lieb und wert“ sei: „Die
soignierte Form, die Melancholie der Gedanken“, nachdem
er uns versichert hat, daß „von jedem neuen Stück Artur
Schnitzlers ein Duft von Erwartung ausgehe". Dann erfahren
wir, daß „Mann und Frau Produkt von Realitäten
des Lebens“ sind. Und was das Spiel anbelangt, so ist zu
sagen, daß Frau Bleibtreu „verglimmen deLeidenschaften zu
decken“ hat, während Frau Medelsky „solid fundierte
innere Anständigkeit, sozusagen die gesunde Natur“ dar¬
mub. Was den Herrn Walden anbelangt:
„Die drei Rollen glücklich auseinanderhaltend, zeigen
Herrn Walden von seinen sympathischesten Seiten“.
Unser Berichterstatter, dem seine sehr verständlich deu'schen
Worte über die Burgtheaterneuheit neben vielen begeiste##en
Zustimmungskundgebungen auch einen in der anständigen
Publizistik nicht üblichen persönlichen Zeitungsangriff ein¬
getragen haben, steht mit seiner Ansicht durchaus nicht allein
da. So lasen wir in der „Ostdeutschen Rundschau“:
„Man mag dies frei, kühn und geistreich finden, es gab
aber Leute, die sich davon nur angewidert
fühlten.“ Das „Deuische Volksblett“ meinte: „Der
Geist, den diese drei Stücke almen, ist nicht der Geist, der
skünftighin die deutsche Bühne erfüllen darf. Ein Bolk, das sich in
hundert Schlachten mit starkem Arm und kühnem Sinn
den Sieg erkämpft, hat mit der Dekadenz und der Perversität,
die aus jeder Szene, ja aus jedem Satz zu uns sprechen, nichts
gemein .... Unser Geschmack lehnt sich gegen
jenes Spiel mit der Erotikauf, das bei Schnitzler“
Kongedie der Norte—Zuklus
Ausschnitt aus:
Kölnischs Zeitung
180K1. 1975
vom:
Xx Wien. Wohl nie hat man so deutlich empfunden, daß Arthur
(Schpitzler der Dichter der Dekadenz ist, als bei Aufführung seines letzten
Werk#heater am 12 Oktober. Komödie der Worte
hat er sie betitelt, und diese Komödie setzt sich aus drei Emaktern
zusammen, die alle drei höchst wurmstichige Ehebruchsverhältnisse
behandeln. Als Spiegelbilder der verkommenen, bis ins Mark ver¬
dorbenen Sittlichkeit gewisser Gesellschaftskreise, die aber keineswegs
als für Wien oder Österreich typisch gehalten werden dürfen, mögen
sie ihren Wert haben, zumal da sie unzweifelhaft mit großer technischer
Gewandtheit entworfen und mit allen Vorzügen der Schnitzlerschen
Dialektik ausgestattet sind. Aber in dieser großen Zeit der sittlichen—
Erhebung und Läuterung, die der Weltkrieg bedeutet, wirken sie wie
ein Schlag ins Gesicht. Die vollzählig anwesende Schnitzlergemeinde?
des Burgtheaters spendete allen drei Stücken freilich lebhaften Beifall
für den sich der Verfasser allerdings auch bei den Darställern#
bedanken hat, die geradezu Vollendetes leisteten.
Arthur Schnitzlers drei Einakter unter dem Titel Komödie der
Worte, deren Aufführung auch in Köln vor sich geht, konnten bei ihrer
Uraufführung im Darmstädter Hoftheater trotz flotter Spielleitung
und eines im ganzen fein abgedämpften Spieles nur einen mäßigen
Achtungserfolg erzielen, der vielleicht auch mehr den Darstellern, in
erster Linie dem temperamentvollen Vertreter der drei männlichen
Hauptrollen Bruno Harprecht, als den Szenen des Wiener Dichters
galt. Diese selbst sind im guten und schlechten Sinne kaum mehr als
Literatur, Wiener Kaffeehaus=Literatur, die nirgend zu künstlerisch
machtvoller Vertiefung gelangt und bei allen Ansätzen psychologischer
Durchdringung im Letzten immer banal bleibt,
box 32/1
Ausschnitt aus: KEICHSPOST, WIEN
voma# 0K1.197
unpuv.
Der Arier fühlt und schreibt anders. Die gewisse
Wiener Presse ist natürlich vor Entzücken über Schnitzlers
„Komödie der Worte“ völlig aus dem Iiaer
geraten und jeglicher Schmock hat seine prunkvollsten Worte
zusammengesucht, um das Ereignis nach Gebühr zu feiern. So
lasen wir in der „Wiener Mittags=Zeilung“: Keine gewichtigen
Probleme, nur ein paar leichte, ein wenig nachdenklich beschwerte
Asorgfältig fassettierte Stimmungsbilder, abrupte, mehr
auf dialogische Wirkung gestellte Szenen von jener halb lustigen,
halb melancholischen Schnitzlerschen Art . . .. ein hastiger Wurf
von dramatischen Explosionen ein Sprudel von Sentiments —
und Ironismen ..... groteske Bahnhofsszene.
frappantes Finale, bravouröses Tempo.
(Arme deutsche Sprache!) ... Besonders üppig gebärdet sich
die Berta Zuckerkandl in der „Wiener
Allgemeinen Zeitung“. Hören wir ein paar Sätze:
„Der Rückblick ist hier Handlung; das Gewesene, die
Krisis und die Liquidierung verklungenen Lebens
treibt zur katastrophalen Lösung.“ Oder: „So ist der innerste
Rhythmus des „Bachusfestes' eigentlich der eines Marionetten¬
spieles, dessen behende Drastik, dessen lautlos einschnappende
Dramatik die knappe Artikulation einer brutalen
Schicksalswendung zeigt ..... Eine Szene kompli=
zierter Seelenakrobatik. Eine aufflammende
Katastrophe wird durch Worte erftickt. Ein elementares
Erlebnis wird durch Worte zivilisierte Konvention. — Wie auss
der erstarten Feuermasse die Hand des Künf'ers Kameen
modelt, so prägt das Wort hier aus Urgebilden der Seele
elegant gefaßte Schmucksteine.“ Was aber soll
man zu diesem Satz sagen, den sich gleichfalls die nun völlig
entfesselte Zuckerkandl leistet: „In dem flatternden, leiden=
schaftlich geschwellten, geistesabwesend irrenden, nervös hastigen,
bald zurückgestauten, bald auftollenden Dialog, der scheinbar##
inkohärent, dennnoch starr und unerbittlich sein Ziel verfolgt
und erreicht, ist der Reiz der tollen Situation und der grotesken##
Charakterentwicklung eingeschlossen.“: Oder zu diesem: Der
rhythmische Sang des mild verklingenden Endes bleibt
doch nur ein Gedanke, der neben dem menschlichen
Erleben einhergeht, und außerhalb des dramatischen Ereignissesn
stehend, in dieses nicht zwingend eingreift, sondern es nur
glitzernd überziert.“ (Arme, arme deutsche Sprache!)
Der Referent des „Neuen Wiener Journals“ erklärt
uns, was ihm an Schnitzler „so lieb und wert“ sei: „Die
soignierte Form, die Melancholie der Gedanken“, nachdem
er uns versichert hat, daß „von jedem neuen Stück Artur
Schnitzlers ein Duft von Erwartung ausgehe". Dann erfahren
wir, daß „Mann und Frau Produkt von Realitäten
des Lebens“ sind. Und was das Spiel anbelangt, so ist zu
sagen, daß Frau Bleibtreu „verglimmen deLeidenschaften zu
decken“ hat, während Frau Medelsky „solid fundierte
innere Anständigkeit, sozusagen die gesunde Natur“ dar¬
mub. Was den Herrn Walden anbelangt:
„Die drei Rollen glücklich auseinanderhaltend, zeigen
Herrn Walden von seinen sympathischesten Seiten“.
Unser Berichterstatter, dem seine sehr verständlich deu'schen
Worte über die Burgtheaterneuheit neben vielen begeiste##en
Zustimmungskundgebungen auch einen in der anständigen
Publizistik nicht üblichen persönlichen Zeitungsangriff ein¬
getragen haben, steht mit seiner Ansicht durchaus nicht allein
da. So lasen wir in der „Ostdeutschen Rundschau“:
„Man mag dies frei, kühn und geistreich finden, es gab
aber Leute, die sich davon nur angewidert
fühlten.“ Das „Deuische Volksblett“ meinte: „Der
Geist, den diese drei Stücke almen, ist nicht der Geist, der
skünftighin die deutsche Bühne erfüllen darf. Ein Bolk, das sich in
hundert Schlachten mit starkem Arm und kühnem Sinn
den Sieg erkämpft, hat mit der Dekadenz und der Perversität,
die aus jeder Szene, ja aus jedem Satz zu uns sprechen, nichts
gemein .... Unser Geschmack lehnt sich gegen
jenes Spiel mit der Erotikauf, das bei Schnitzler“