II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 97

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26.1. Konoedie der worte zuklus
Das Blut singt in diesem merkwürdigen Drama.
den toten Vater an ihm zu rächen, jagt sie ihr eigen
Das Nachtleben der Seele wird aufgedeckt: wir sehen
Kind im Hemd mit bloßen Füßen in den Schnee der
die schlummernde nackt vor uns wie ein neugeborenes
Winternacht hinaus. Gerade wie sie nachher nur,
Kind, das uns plötzlich das Geheimnis der Zeugung
um den Geliebten vor dem tötlichen Stoße des Knaben
zu lallen beginnt. Zwei heiße Frauenaugen zaubern
zu schützen, dem eigenen Sohn den Degen in den Leib
Gatten= und Kindesmord, und zwei unschuldige
rennt. So wird sie, wider Willen und doch getrieben
Kinderaugen, aus denen uns ein Toter anstarrt, sind
von dem Blute, das in ihr singt, zur Gatten= und
die Nächer. Die verzehrende Glut, die der vergiftende
Kindesmörderin und zwingt schließlich, um ihr grauses
Kuß der limusiner Dirne entzündet hat, wird von
Werk zu krönen, den Geliebten, um dessentwillen sie
dem blutschänderischen Eishauch auf des Kindes Lippe
dies alles tun mußte, angesichts der beiden Kinder¬
ausgelöscht. Aber das alles nur, damit das Ver¬
leichen, den sicheren Tod im Auge, mit ihr das Braut¬
hängnis gegen den bewußten Willen aller Beteiligten
bett zu besteigen.
seinen Lauf nehme. Denn der blinde Wille, der
Ich glaube kaum, daß dies Nachtstück aus dem
im Blute singt und seine geheimen Fäden von einem
Wunderreiche der Menschenseele vom Publikum des
Geschlecht zum andern fortspinnt, ist mächtiger als die
münchener Hoftheaters verstanden wurde. Wohl spürte
armselige Klügelei der denkenden Menschen, die sich
jeder beim Anhören dieser markigen Verse, daß hier
gegen ihn aufbäumen. Während sie ihn klug in
ein Dichter zu ihm rede. Ist doch jedes Wort hier Bild
andere Bahnen zu lenken meinen, erfüllen sie gerade
und dabei ganz in Licht und Luft getaucht, strotzend
ihr vorausbestimmtes Geschick. Wer denkt dabei nicht
vor Farbe und doch flackernd im Wechsel der Stim¬
an Oedipus, der, von Apollos Orakel vor dem be¬
mung. Aber die wundersamen Fäden, die sich in diesen
vorstehenden Vatermorde gewarnt, Korinth den
kunstvollen Seelengeweben zwischen Eltern und Kindern
Rücken wendet, um im Engpasse an der böotischen
hin= und herüberspinnen, konnte das Publikum beim
Grenze in dem unbekannten Manne den Vater zu
ersten Anhören der Dichterworte kaum entwirren. Und
erschlagen? Also endlich wieder einmal eine Tra¬
der Traumwirklichkeit der dramatischen Vorgänge stand
gödie, in der das unerbittliche Schicksal den mensch¬
es zunächst befremdet gegenüber. Das zeigte be¬
lichen Willen höhnt. Aber nicht als verhängnisvolles
sonders die erlahmende Anteilnahme bei der großen
Messer oder als 24. Februar oder sonstiger Wahr¬
Somnambulenszene des zweiten Aktes, wo Mutter¬
sager=Hokuspokus, mit dem Zacharias Werner und
liebe, Eifersucht und Angst um den Geliehten solange
Müllner die Orakelsprüche der griechischen Tragödie
an der gepeinigten Frauenseele zerren, bis der voll¬
nachäfften, sondern als der blinde Wille, der in
endete Kindermord unsern Atem stocken lassen sollte.
unserem Blute singt — eine geheimnisvolle Macht,
Freilich hatte auch die ganz unzulängliche Darstellung,
die uns wie ein fremder Wille lenkt und die wir doch
vor allem hio nasm um Cend,
wieder selber sind. So stellt sich uns denn Dül'
Ausschnittraust
Seelenbeschwörung als ein von innen geschauter
Das Litterarische Echo, Berim
winismus dar, der dem Geheimnis des Lebens 1
den Kulissen der Erscheinung nachspürt, und
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11.
vom: 15.
Dichtung als eine Wiedergeburt der Romantil
dem Geiste moderner Psychophysik.
Noch einmal: Das Blut singt in dieser Dich
Dem kühlen nordländischen Gatten graut es vor
gierigen Kusse der eben vom Kindbett erstan!
Südländerin, die die Mutter seiner Kinder ist
will sie verstoßen und als Dirne auf die S
jagen, damit sie sich austobe und nicht seiner K
Herz vergifte. Aber sie bleibt bei ihm, wiewohle
ihr für immer versagt. Und nun springt die zur
staute Sinnlichkeit nächtlich auf wie ein Tier.
Nachtmahr fliegt die heiße Seele, den starren Ki¬
auf liebeleerem Ehelager zurücklassend, ins Dunkel
aus und sucht ihr Opfer. Und wie sie es geful
lenken ihre Augen beim Turnier von ferner Trivune
die Lanze des jungen Ritters, den sie erkoren, gegen
die wehrlose Brust des Gatten und zwingen den Un¬
schuldigen zu feigem Mord. Aber wohlverstanden:
ihr Wille war nicht dieser Mord, sondern das rote
Leben des andern. Gerade wie sie später blutenden
schö der Bahnen
Herzens auf den andern, den ihr Gatte zum Vormund
seiner Kinder bestellt hat, verzichten und ihre Tochter
Wien
mit dem Geliebten vermählen will, um dem Toten
den freiwillig geleisteten Treuschwur zu halten. Aber
„Komödie der Worte.“ Drei Einakter von Arthur
Schnitzler. (Uraufführung im Hofburgtheater am 12. Ok¬
etwas in ihr, das mächtiger ist als ihr bewußter
Buchausgabe: S. Fischer.)
Wille, zwingt sie, die traumwandelnde Unschuld, der
der sterbende Vater den Vampirkuß der Rache auf
J orte lügen!“ sagt klipp und klar die Heldin des
„4 ersten Stückes. Das einzige Mittel, das dem
die Lippen gedrückt hat, um ihr Geheimnis zu be¬
Menschen zur Offenbarung seiner Ideen und
fragen, und als sie schaudernd erfährt, daß die Braut
Empfindungen gegeben, es verbirgt sie, es verdunkelt
den Bräutigam in der Brautnacht morden will, um
Tatsachen, es verwischt Persönlichkeiten; wenn Grillparzer,
Stoff der Welt, kein Genügen gibt, wenn es vom Ewigen
losgerissen ist, ist bisher nicht nur unerfüllt gebliebe