II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 98

Liebenden“ an sich hat, wie Ormin behaupten will, sich
der schon in der „Ahnfrau“ gesagt hatte: „was ist wahr,
einem andern hinzugeben, wili mir nicht einleuchten; noch
was ist es nicht?“ und das Problem von Wahrheit und
weniger aber ihr Festhalten an dem Heim; ihr Gatte
Lüge in den Mittelpunkt seines einzigen großen Lustspiels
hat vollkommen recht, wenn ei dies eine Auffassung von
stellte, in „Traum ein Leben“ Worte, Wünsche, Taten
außerordentlicher Bequemlichkeit nennt. Nur ein größeres
als Schatten kennzeichnete und nur die Gedanken als wahr
Werk, vielleicht eher in erzählender Form, könnte uns
gelten ließ, fallen auch diese für Schnitzler in jenes Dämmer¬
die Prämissen entwickeln, denen wir hier ratlos gegen¬
reich von Leben und Vergehen, Traum und Wirklichkeit, das
überstehen.
er schon so oft aufgesucht. Wieder ist es auch das Liebes¬
Auch „Das Bacchusfest“, weit einfacher und vor
leben, das er hier kritisch mustert in drei Beispielen, die
aliem durch jenen hübschen Humor belebt, der Schnitzler¬
alle von einem prägnanten Augenblick ausgehen: der Aus¬
so gern versteckte Stärke ist, bietet des Wunderlichen noch
sprache der Ehegatten über eine Verirrung, die im ersten
genug. Ein hübscher szenischer Einfall stellt die Ausein¬
Stücke der Mann, im zweiten die Frau, im dritten beide
andersetzung zwischen dem Schriftsteller Felir Staufner.
begangen, wo aber auch dem minder schuldigen Teile
seiner Frau Agnes und dem Sportsmann Dr. Wernig in
wenigstens eine Versuchung oder ein vergeltender Fehltritt
die Halle eines Bahnhofs, zwischen zwei Schnellzüge. Die
begegnet. „Stunde des Erkennens“ wie das erste Stück
Frau, die der Mann literarischer Arbeit wegen allein ge¬
heißt, könnten eigentlich alle drei überschrieben sein. Was
lassen, hat in den sechs Wochen der Einsamkeit ihr Herz
wir bei Ibsen gelernt, hinter den Sinn der Worte auf
an den jungen Menschen verloren und will ihn heiraten;
stumme Untertöne zu lauschen, sollen wir hier in aus¬
Hand in Hand denken sie dem rückkehrenden Gatten mit
gedehntestem Maße erweisen. Der Zuhörer wird genötigt,
offener Aufklärung entgegenzutreten. Aber Staufner, der
einen komplizierten Denkprozeß im Theater durchzumachen,
die Situation gleich durchschaut, siegt über das untreue,
jenseits aller Vorgänge, die er sieht, aller Reden, die an
auch in seiner Empfindung recht unsichere Paar, indem er
sein Ohr schlagen. Das ist mehr, viel mehr verlangt, als
es gar nicht zu Worte kommen läßt und ihm im Symbole,
das Theater seinem Besucher zumuten darf. Künstlerischer
der Geschichte von dem antiken Dyonysosfest, das Liebende
Genuß wird zur harten Arbeit, und gerade in unseren
ein einziges Mal vereinte, aber dann trennte, es sei denn,
Tagen wird man geneigt sein, diese Forderung als unge¬
daß sie noch eine zweite für ewig bindende Nacht frei¬
bührlich zu empfinden, namentlich bei Menschen und
willig miteinander verbrachten, sein Schicksal vor Augen
Situationen, die wir schon oft, jedoch natürlicher und
stellt. Der dumme Junge wird verabschiedet, Frau Agnes,
durchsichtiger geschaut. Alle Kunst, die der Dichter auf¬
die durch einen ländlichen Flirt ihres Gatten zu heftiger
geboten, ersetzt uns das naive, freudige Behagen nicht,
Eifersucht gereizt wird, fällt ihm in die Arme, während
das eine echte, ursprüngliche Schöpfung geben muß. Und
er ihr ein „Ich hasse dich!“ ins Gesicht schleudert, das sie
Schnitzlers neuestes Werk ist zum größten Teile ein Produkt
zärtlich mit: „Ich dich noch tausendmal mehr“ erwidert.
geistreichster, beschwerlichster Kombination, ersonnen und
Eine recht simple Sache unter recht unbedeutenden Men¬
konstruiert, erklügelt und verklügelt.
schen, wird mit tiefsinnig tuenden Sentenzen und psycho¬
Das gilt von dem ersten, bereits genannten Stücke,
logischem Krimskrams zugerichtet. Wie recht hat doch
wie von dem dritten „Das Bacchusfest“. Der erste
Felir Staufner mit seinem Ausruf: „Statt das Natürliche
Einakter leidet schon einmal dadurch, daß er, wie die
natürlich zu erleben, trüben sie es durch ihre gottver¬
kurze Form es fordern würde, nicht eine Hauptszene, sondern
dammte Psychologie!“
deren zwei hat. Das wie die Überfülle kaum ange¬
Zwischen diesen beiden — ich kann nicht anders sagen
deuteter und wenig verwerteter Motive deutet nur mit
Verirrungen der schnitzlerschen Muse steht aber die
Sicherheit darauf hin, daß ein ursprünglich breit angelegtes
„Große Szene“, so ein echtes und rechtes Theaterstück, voll
Drama hier mitleidlos kondensiert worden. Mit großer
Verve und Leben, reich an wirksamem Humor. Wie oft
analytischer Kunst, die aber nicht zu voller Klärung führt,
ist schon der Bühnenheros in seinen irdischen Schwächen und
werden eine ganze Unzahl von Voraussetzungen rekapituliert.
mit dem Konrad Herbot
Sünden abkonterfeit worden —
Es spielt in dem bürgerlichen Heim des Arztes Dr. Eckold,
hat Schnitzler selbst den vielgerühmten Kammersänger weit
den geringe Erfolge zum schwer verbitterten Menschen ge¬
übertroffen. Wie natürlich entwickelt sich hier die Hand¬
macht haben. Er lebt in zweiundzwanzigjähriger Ehe mit
lung: der berühmte Schauspieler hat seine Frau Sophie
Klara, eben ist ihr einziges Kind einem Gatten in seine
auf das empfindlichste verletzt durch eines seiner ja nicht
ferne Häuslichkeit gefolgt, und ein treuer Hausfreund,
ungewöhnlichen Liebesabenteuer, das aber diesmal sich
Professor Ormin, verabschiedet sich, um als Arzt eine Reise
mit einer jungen Braut, unmittelbar vor deren Hochzeit,
nach dem fernen Kriegsschauplatze anzutreten, von der er,
abgespielt. Sie hat ihn in ihrer Entrüstung verlassen, ist
wurmstichig wie Schnitzlers Herr von Sala, nicht mehr zu¬
aber doch wieder nach Haus zurückgekehrt, wo sie der be¬
rückkehren wird. In solchem Augenblick öffnen sich längst
strickende Gatte mit offenen Armen empfängt, als ob gar
geschlossene oder nie eröffnete Pforten, die ins Innere
nichts geschehen wäre. Da tritt der Bräutigam des Mäd¬
dieser drei Menschen führen. In Auseinandersetzung mit
chens bei ihm ein, Klarheit und Wahrheit fordernd; der
der Frau muß erst der Freund erfahren, daß sie seine
Schauspieler spielt ihm nun eine größere Szene vor, die
schüchterne Werbung vor zehn Jahren deshalb nicht erhörte,
echt und falsch durcheinander mischt, im Grunde aber nichts¬
weil sie ihn zu sehr geliebt, dagegen aber einem andern
würdige Lüge ist, an die der Vortragende, an seinen eigenen
Bewerber sich nicht versagt, der nichts als ein Abenteuer
Kohlen hinschmelzend, selbst zu glauben anfängt. Dies ist
von ihr gefordert. Und der Gatte tritt ihr entgegen, mit
die wahre Komödie der Worte. Beruhigt geht der junge
dem sie verblüffenden Wunsche, den gemeinsamen Haus¬
Mann zum Traualtar, der ungemein mit sich selbst zu¬
halt jetzt aufzulösen, da die Tochter nicht mehr zwischen
friedene Künstler rüstet sich zum Hamlet, während seine
ihnen stehe. Es ist ein Akt der Rache, den er hier vollzieht
Frau, aufs tiefste angeekelt durch diese Szene, zu der ihr
an der Frau, deren Untreue er seit diesem Dezennium kennt,
noch aus dem Munde ihres Gatten die Aufklärung wird,
die er auf das tiefste demütigt, wenn er das eheliche
alles Detail, selbst ein im Datum gefälschter Brief, sei
Zusammenleben, das er nach diesem Momente wieder mit
zwischen ihm und dem Liebchen im Voraus verabredet
ihr aufgenommen, nun als niedrigsten Geschlechtsverkehr
gewesen. Sie ist entschlossen, diesen „tollgewordenen Hans¬
hinstellt. Aber auch sie kann ihre Nache nehmen: er hält
wurst“ zu verlassen; da erscheint er, der sie im Theater
Ormin, den er neidisch aufs tiefste haßt, für den Ver¬
vermißt, mit Gewalt zieht er sie fort, sie folgt wider¬
führer, und sie läßt ihn bei diesem Glauben. Völlig ent¬
bis auf
strebend, willenlos. Sie bleiben beisammen
wurzelt in ihrer Eristenz geht sie, wie es den Anschein hat,
weiteres. Denn solche Episoden wird es in diesem Ehe¬
in den Tod. Nicht nur Tatsachen bleiben dunkel, auch
leben auch fürderhin geben, da es dem Mann an jeder
psychische Motive. Daß diese Frau den Bewerber, gerade
Fähigkeit fehlt, gut und böse zu unterscheiden und er nur
weil sie etwas zu ihm führte, zurückwies, ist verständlich
aber was sie trieb, die wahrlich nichts von einer „großet in Irrsalen des Moments denkt und fühlt. Diese Gestalt!
nach allen Seiten, sogar noch, bevor sie die Bühne be¬
tritt, zu erschöpfen, ist dem Dichter außerordentlich ge¬
lungen; ein wirkliches Kind, freilich ein recht verzogenes,
böses steht da, dem man nicht gram sein kann in seiner
hinreißend liebenswürdigen Niederträchtigkeit. Und mit
großer Feinheit ist die Frau behandelt, die tatsächlich eine
andere Sprache des Fühlens und Denkens besitzt als ihr
Eheherr, prächtige Aperaus und Theaterscherze zieren die
Figur des Direktors, in dem Berlin wohl noch sicherer
als Wien das unvergessene Urbild erkennen wird. Es ist,
in seiner engen Sphäre, ein kleines Kunstwerk, das Schnitzler
hier gegeben.
Der hier verfochtenen literarischen Würdigung der
Stücke entsprach auch der äußere Erfolg des Abends.
Das erste und dritte Werk wurde mit kühler Freund¬
lichkeit, das zweite mit Enthusiasmus ausgenommen; nicht
zum geringsten ein Verdienst des Hauptdarstellers Harry
Walden, der nach des Dichters vielleicht nicht ganz be¬
rechtigtem Wunsche, die drei männlichen Hauptrollen gab,
und den Arzt und Schriftsteller mit vornehmer Sicherheit,
aber ohne den Nachdruck einer starken Persönlichkeit, den
Schauspieler mit liebenswürdiger mitreißender Brg#bur
durchführte.
Alerander voy Milen
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