II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 110

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26.1. Kongedie der Nortezyklus
Rundschau.
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behalten. Im „Bacchusfest“, dem dritten
ihrem Manne zurück, daß er sie nicht mehr
Stücke, erzählt ein Schriftsteller den Inhalt
belügt und betrügt. Da kommt der hinter¬
seines neuen Bühnenwerkes und erobert
gangene Bräutigam und fordert Rechenschaft
damit seine junge Frau zurück, die eben im
und Gewißheit. Nur einmal noch erbittet
Begriffe war, mit einem jungen Chemiker
sich der Schauspieler von seiner Frau das
durchzugehen. Das Stück, von dem erzählt
Recht, lügen zu dürfen. Und er spielt dem
wird, spielt auf den religiösen Brauch der
jungen Manne, um ihn zu beschwichtigen,
alten Griechen an, der allen Liebenden eine
eine Szene des Edelmutes mit solcher Meister¬
Nacht frei gab, nach der die Paare aus¬
schaft vor, daß der horchenden Frau vor
einander mußten und nie wieder von dem
dem Lügengewebe der Schauspielkunst graut
Erlebnis sprechen durften, und man gewinnt
und sie auf und davon will. Allein der
fast den Eindruck, als habe der Schrift¬
Kömödiant spielt auch ihr eine Szene vor,
steller mit ethisch wohlüberlegter Absicht eine
die sie in seinen Bann zwingt, und mit
Liebesnacht mit dem jungen Chemiker ge¬
schmerzlich lächelndem Verzeihen bleibt die
währt. Es wird wohl nur wenige Ehe¬
Frau, wiewohl sie weiß, daß sie vielleicht
männer geben, die solche Umwege wählen,
schon in der nächsten Stunde wieder von ihm
um ihre Frau desto fester an sich zu binden.
betrogen wird. Hier, wo das Leben zum
Herr Walden spielt auch in diesen beiden
Theater und das Theater zum Leben wird,
Stücken die männliche Hauptrolle. Als
kann Schnitzler seinen artistischen Witz in
Rächer des verjährten Ehebruches umgürtet
allen Lichtern der Ironie spielen lassen, und
er sich mit einer elegischen Kälte, die bei¬
man folgt ihm willig in seine kleine Welt
nahe wie Charakterstärke anmutet, und als
halber, heimlicher Empfindungen, Lügen und
alles verstehender und alles verzeihender
Wahrheiten, zumal Herr Walden das
Schriftsteller spricht er die Fabel vom
Komödiantische im Schauspieler so trefflich
„Bacchusfest“ mit einer lauernden, mahnen¬
bringt, daß man die bestrickende Wirkung
den und nur ganz nebenbei drohenden An¬
versteht, die er selbst auf eine so kluge, ver¬
züglichkeit, in der sich Strenge mit Milde
ständige und herzensgute Frau ausübt, wie
glücklich paart. Ihn unterstützen im ersten
Lotte Medelsky sie darstellt, und zumal auch
Stück Frau Bleibtreu und Herr Devrient
Herr Tiedtke und Fräulein Kutschera zwei
mit der feinsten Konversationskunst des
lebensechte Bühnengestalten zu dem ver¬
alten Burgtheaters und im letzten Fräulein
gnüglichen, nur etwas zu länglich geratenen
Wohlgemuth und Herr Romberg mit dem
Stündchen der Täuschung beisteuern.
löblichen Eifer gelehriger Schüler, sich ihrer
Um so gequälter und quälender wirkt das
Vorfahren würdig zu erweisen. Schöpft
erste, um so leerer und unbehaglicher das
Schnitzler aus der Aufnahme und Wirkung,“
dritte der drei Stücke. In der „Stunde der
seiner neuen Einakter im Burgtheater die
Erkenntnis“ wird ein Ehebruch verspätet ge¬
Erkenntnis, daß der von ihm seit dem
rächt. Zehn Jahre hat der Gatte — ein
„Zwischenspiel“ und dem „Weiten Länd“
Arzt — gewartet, bis die Tochter aus dem
eingeschlagene Weg nicht ins Freieführt,
Hause ist und er seiner Frau die Wahrheit
sondern nur immer tiefer in das Dunkel er¬
sagen kann. Aber er hat nur die halbe
künstelter und verkünstelter Abspaktionen,
Wahrheit. Er glaubt, seine Frau habe ihn
dann ist von ihnen eine günstigy Wendung
mit einem befreundeten Berufskollegen be¬
zu erhoffen. Dann wurden sie weder umsonst
trogen. Den hat sie indes nur platonisch ge¬
geschrieben, noch hat ihnen das Burgtheater
liebt, weil sie fürchtete, er könnte ihr
umsonst die zärtliche Liebe Fesorgter Eltern
Schicksal werden. Wirklich betrogen hat sie
für schwächlich geratene, bleichsüchtige Kinder
den Gatten mit einem Dritten, der ihrem
angedeihen lassen.
Herzen weniger nahe stand. Und sie läßt in
Theater im Theater bot auch die Re¬
der Stunde der Abrechnung und des Aus¬
sidenzbühne in einem Lustspiel von
einanderseins ihren Gatten bei der halben
H. Vosberg. Das konnte man schon aus
Wahrheit, weil er ihr gesteht, daß sie in den
dem Titel „Generalprobe zu Ein kostbares
zehn Jahren geschlechtlichen Verkehres nach
Leben“ erraten und man war, auf das
dem Ehebruch ihm weder Gattin, noch Ge¬
Schlimmste gefaßt, ins Theater gekommen.
liebte war, sondern... das häßliche Wort
Doch die Entzauberung des Kulissenzaubers
wird nicht ausgesprochen. Man kann sich
geschieht hier mit einem sachlichen Witz, der
vorstellen, daß eine Dirne dem Manne in
selbst den grundsätzlichen Verächter des sich
dem Augenblick, wo er in ihren Armen
auf eigene Kosten lustig machenden Theaters
Weltvergessen sucht, zur Geliebten wird. Im
entwaffnet. Ein ausgewachsener Schwank,
Liebesleben den umgekehrten Fall zu eroti¬
dessen Lustigkeit wohl nicht hinreißend wirkt,
schen Nachezwecken zu entdecken, das blieb
aber doch allein für sich bestehen könnte,
dem psychologischen Spürsinn Schnitzlers vor¬