26.1. Konoedie der Norte Zyklus box 32/2
Von unseren Bühnen.
Das künstlerische Ereignis dieser Woche war
die erste Aufführung von Schnitzlers neuer Ein¬
aktertrilogie „Komödie der Worte“. Ein neues
Kunstwerk von Bedeutung hat auf der Bühne des
„Neuen Theaters“ seine deutsche Uraufführung er¬
lebt, und die Art, wie das dichterische Schaffen
des Wiener Pocten den Weg zu Herz, Verstand
und Sinnen des Publikums fand, das zeugte wie¬
derum von dem Ernst und der liebevollen, be¬
geisterten Hingabe an die idealen Aufgaben des
Theaters, durch die sich die künstlerische Tätig¬
keit des Neuen Theaters in hohem Maße aus¬
zeichnet. Ueber den neuen Schnitzler mag man
urteilen wie man will, das Problematische und zu¬
gleich Literarische bei Schnitzler überwuchert immer
mehr die abstrakte Definition des dichterischen Vor¬
wurfs und beeinträchtigt die kraftvolle Unmit¬
telbarkeit seines künstlerischen Schaffens, dessen
markante Höhepunkte „Liebelei" und „Professor
Bernardi“ sind, — dem starken, sinnfälligen Ein¬
druck der Reproduktion, welche die „Komödie der
Worte“ fand und die in der theatralischen Erschei¬
nungen Flucht wie ein Erlebnis wirkte, konnte sich
das Publikum nicht entziehen. Und das ist das
Verdienst des Neuen Theaters und des Regis¬
seurs Hellmer. Schnitzler spielt sich nicht leicht.
Selbst der Schlager — hier „Die große Szene —
erfordert ein sicheres Gefühl für die Modulation
jedes Worts; ein falscher Ton, eine mißverstandene
Geste und in dem feinen Geästel des psychologischen
Organismus entsteht eine Störung, die stimmungs¬
mordend sein kann. Das Neue Theater hat seinen
Ruf als feinfühlige Pflegerin Schnitzlers haupt¬
sächlich durch die über das Intellektuelle hinaus¬
ragende Sicherheit des Stils erworben, durch die
feinen Linien, in denen sein Ensemble den interes¬
fantesten und seelenvollsten aller österreichischen
Autoren spielt, auch die Komödie der Worte recht¬
fertigen diesen Ruf.
Der Wert der drei Stücke ist ungleich. Die
Stunde des Erkennens ist ein von verhaltenen
Gefühlen durchzittertes Kapitel vom freiwilligen
Entsagen der Frau, die das Opfer männlicher
Brualität wird. Eigentlich nichts als ein Dialog,
eine Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen,
die endlich aus Unfreiheit durch die Macht der
Worte den Weg zur Freiheit finden. Es sind Worte,
nichts als Worte; aber wenn der Strom des Lebens
in bedächtigeren Bahnen verläuft und die Tem¬
„Frankfurter Bürger=Zeitung Sonne“.
Seite 3
peramente der Jugend verglimmen, dann gewinnt, das schwächste der drei Stücke, weil es einen un= klugen Klöpfer, der zu künstlerischer Reife rasch
das seelische Leben im Wort seinen tieferen Aus¬
sympathischen Einzelfall zum Demonstrations¬
heranwachsenden Maria Leiko, neben der per¬
druck und dann können Worte Tragödien wer¬
objekt eiger baroken künstlerischen Logik macht.
sönlich fesselnden und liebenswürdigen Poldi San¬
den, ohne daß es stürmischer Affekte, äußerer Ur¬
Die Reparatur einer demolierten Ehe mit Worten,
gora und dem auf heiterem Gebiet famos charak¬
sachen bedarf. Worte können aber auch bezwingende
das ist unsittlich. Das Publikum empfindet
terisierenden Aloys Großmann, zu denen sich
Lebensmacht sein, sie können Leben gestalten und
das ethische Moment nicht unmittelbar, aber
noch Olga Fuchs und Herr von Möllendorff
vernichten, sie können Wahrheit zur Lüge und Be¬
der Kontakt versagt auf einmal und das kommt
gesellen, hat das Neue Theater an diesem Abend
trug zur Treue stempeln. Das zeigt der Dichter
von der Fehlkonstruktion her, die Schnitzlers Ver¬
auch in Herrn Schröder eine Persönlichkeit her¬
in dem zweiten Kapitel seines dramatischen Essays:
schulden ist. Trotzdem führte die Darstellung auch
ausgestellt, von der Art, wie sie die moderne
Große Szene. Wie hier der schauspielernde Schau¬
hier ihre schwierige Aufgabe erfolgreich durch. Herr
Bühne braucht, um nachhaltige Wirkungen er¬
spieler und Schaumschläger sein Frauchen mit Wor¬
Schröder, ein neues Mitglied von hervorragender
reichen und das Publikum an das Theater fesseln
ten in den goldenen Käfig zurückführt, das ist
Begabung und erstaunlicher Wandlungsfähigkeit,
zu können.
keine Variation auf das alte Thema von der
verkörperte den moralischen Libertiner mit der
Unfreiheit verliebter Frauen oder vom Ewig=Männ¬
gräßlichen Suada ebenso gewandt, wie er in dem
lichen, das ist glatter Betrug, schlimmste seelische
Schauspieler in der Großen Szene eine glänzende
Hochstaplerei in einem glänzenden, auch darstelle¬
Leistung bot und die Brutalität des Gatten in
(Die Fortsetzung des Romans erfolgt in
risch brillanten Gewande, reich garniert mit humo¬
dem ersten Stück mit meisterlicher Feinheit und
ristisch=satirischem Besatz. „Das Bacchusfest“ ist
Zurückhaltung zeichnete. Neben dem gemütvoll= nächster Nummer.)
Von unseren Bühnen.
Das künstlerische Ereignis dieser Woche war
die erste Aufführung von Schnitzlers neuer Ein¬
aktertrilogie „Komödie der Worte“. Ein neues
Kunstwerk von Bedeutung hat auf der Bühne des
„Neuen Theaters“ seine deutsche Uraufführung er¬
lebt, und die Art, wie das dichterische Schaffen
des Wiener Pocten den Weg zu Herz, Verstand
und Sinnen des Publikums fand, das zeugte wie¬
derum von dem Ernst und der liebevollen, be¬
geisterten Hingabe an die idealen Aufgaben des
Theaters, durch die sich die künstlerische Tätig¬
keit des Neuen Theaters in hohem Maße aus¬
zeichnet. Ueber den neuen Schnitzler mag man
urteilen wie man will, das Problematische und zu¬
gleich Literarische bei Schnitzler überwuchert immer
mehr die abstrakte Definition des dichterischen Vor¬
wurfs und beeinträchtigt die kraftvolle Unmit¬
telbarkeit seines künstlerischen Schaffens, dessen
markante Höhepunkte „Liebelei" und „Professor
Bernardi“ sind, — dem starken, sinnfälligen Ein¬
druck der Reproduktion, welche die „Komödie der
Worte“ fand und die in der theatralischen Erschei¬
nungen Flucht wie ein Erlebnis wirkte, konnte sich
das Publikum nicht entziehen. Und das ist das
Verdienst des Neuen Theaters und des Regis¬
seurs Hellmer. Schnitzler spielt sich nicht leicht.
Selbst der Schlager — hier „Die große Szene —
erfordert ein sicheres Gefühl für die Modulation
jedes Worts; ein falscher Ton, eine mißverstandene
Geste und in dem feinen Geästel des psychologischen
Organismus entsteht eine Störung, die stimmungs¬
mordend sein kann. Das Neue Theater hat seinen
Ruf als feinfühlige Pflegerin Schnitzlers haupt¬
sächlich durch die über das Intellektuelle hinaus¬
ragende Sicherheit des Stils erworben, durch die
feinen Linien, in denen sein Ensemble den interes¬
fantesten und seelenvollsten aller österreichischen
Autoren spielt, auch die Komödie der Worte recht¬
fertigen diesen Ruf.
Der Wert der drei Stücke ist ungleich. Die
Stunde des Erkennens ist ein von verhaltenen
Gefühlen durchzittertes Kapitel vom freiwilligen
Entsagen der Frau, die das Opfer männlicher
Brualität wird. Eigentlich nichts als ein Dialog,
eine Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen,
die endlich aus Unfreiheit durch die Macht der
Worte den Weg zur Freiheit finden. Es sind Worte,
nichts als Worte; aber wenn der Strom des Lebens
in bedächtigeren Bahnen verläuft und die Tem¬
„Frankfurter Bürger=Zeitung Sonne“.
Seite 3
peramente der Jugend verglimmen, dann gewinnt, das schwächste der drei Stücke, weil es einen un= klugen Klöpfer, der zu künstlerischer Reife rasch
das seelische Leben im Wort seinen tieferen Aus¬
sympathischen Einzelfall zum Demonstrations¬
heranwachsenden Maria Leiko, neben der per¬
druck und dann können Worte Tragödien wer¬
objekt eiger baroken künstlerischen Logik macht.
sönlich fesselnden und liebenswürdigen Poldi San¬
den, ohne daß es stürmischer Affekte, äußerer Ur¬
Die Reparatur einer demolierten Ehe mit Worten,
gora und dem auf heiterem Gebiet famos charak¬
sachen bedarf. Worte können aber auch bezwingende
das ist unsittlich. Das Publikum empfindet
terisierenden Aloys Großmann, zu denen sich
Lebensmacht sein, sie können Leben gestalten und
das ethische Moment nicht unmittelbar, aber
noch Olga Fuchs und Herr von Möllendorff
vernichten, sie können Wahrheit zur Lüge und Be¬
der Kontakt versagt auf einmal und das kommt
gesellen, hat das Neue Theater an diesem Abend
trug zur Treue stempeln. Das zeigt der Dichter
von der Fehlkonstruktion her, die Schnitzlers Ver¬
auch in Herrn Schröder eine Persönlichkeit her¬
in dem zweiten Kapitel seines dramatischen Essays:
schulden ist. Trotzdem führte die Darstellung auch
ausgestellt, von der Art, wie sie die moderne
Große Szene. Wie hier der schauspielernde Schau¬
hier ihre schwierige Aufgabe erfolgreich durch. Herr
Bühne braucht, um nachhaltige Wirkungen er¬
spieler und Schaumschläger sein Frauchen mit Wor¬
Schröder, ein neues Mitglied von hervorragender
reichen und das Publikum an das Theater fesseln
ten in den goldenen Käfig zurückführt, das ist
Begabung und erstaunlicher Wandlungsfähigkeit,
zu können.
keine Variation auf das alte Thema von der
verkörperte den moralischen Libertiner mit der
Unfreiheit verliebter Frauen oder vom Ewig=Männ¬
gräßlichen Suada ebenso gewandt, wie er in dem
lichen, das ist glatter Betrug, schlimmste seelische
Schauspieler in der Großen Szene eine glänzende
Hochstaplerei in einem glänzenden, auch darstelle¬
Leistung bot und die Brutalität des Gatten in
(Die Fortsetzung des Romans erfolgt in
risch brillanten Gewande, reich garniert mit humo¬
dem ersten Stück mit meisterlicher Feinheit und
ristisch=satirischem Besatz. „Das Bacchusfest“ ist
Zurückhaltung zeichnete. Neben dem gemütvoll= nächster Nummer.)