—
vom:
Theater und Konzerte.
& Kölner Schauspielhaus. Gestern war im Schauspielhaus
großer Wäschetag. Drei Parteien wuschen coram populo — am
Waschtrog stand Hr. Arthur Schnitzler — ihre schmutzige
Wäsche: ein Arzt nebst Frau GennSchauspieler=Ehepaar
und ein Schriftsteller mit Frau und zugehörigem Lebhaber. Sie
alle laufen, mit Ibsen zu sprechen, mit der Lebenslüge einher,
alle haben, wieder modern zu reden, die Ehefessel durchbrochen,
in einem Falle schon vor zehn Jahren. „Unser Liebesleben,“ sagt
der einzig gesunde Mann, der Schriftsteller, „ist getrübt, ja ver¬
giftet von Lüge und Selbstbetrug, von Eifersucht und Angst, von
Frechheit und Reue.“ Auch das ist ibsensch, daß wir nur die
letzten Szenen, gleichsam die Bilanzabrechnungen erleben und das
vor der Gegenwart Geschehene nur erzählt bekom nen. Es sind ge¬
wissermaßen Novellen, die von hinten anfangen. Seien wir froh
dieserhalb, denn Erfreuliches und Erhebendes ist es nicht, was uns
sonst auf der Bühne gezeigt würde. „Aber Schnitzler hat uns doch
immer etwas zu sagen!“ Hat er? Ist es wirklich so interessant zu
wissen, mit wem Frau Dr. med. Karl Eckold vor zehn Jahren
ihren Gatten betrog, ob es der Prof. Ormin war oder der Schriftsteller
Flöding? Zumal wo dem armen Publikum von dem Lügengeschwätz
so dumm im Kopf wird, daß es am Schlusse die Frage selbst kaum
beantworten kann? „Aber spannend sind diese Sachen!“ Auch ein
Kolportageroman kann spannend sein; allerdings ist zuzugeben,
daß es Schnitzler versteht, einen Dialog zu bauen, daß er alles
sagen kann, ohne direkt unanständig zu werden, daß er oft amüsant,
mitunter geistreich sein kann, und er könnte in diesem Falle darauf
hindeuten, daß er in den drei Einaktern doch nur eine Komödie
der Worte habe schreiben wollen. Das alles zugegeben; aber ist
das die Aufgabe der Bühne, und gerade in jetziger Zeit, in der
gesunde kräftige Kost statt der Krankensuppen verabreicht
werden sollte. Und das Denken all dieser Personen ist doch patho¬
logisch oder nur so, wie es Hr. Schnitzler zu seinen 1
Wortkomödien gerade gebrauchen konnte, um zu blüffen.
Das Goethesche Rezept für den Dichter, die Menschen
zu verwirren, hat er getreulich befolgt. Frau Eckold gesteht dem
sich verabschiedenden Professor Ormin, daß sie ehemals die Seine
nicht habe werden können, weil sie ihn geliebt habe; sie war also
nach ihrer Logik in die Notwendigkeit versetzt, ihren Gatten mit
einem anderen zu betrügen! Dr. Eckold sah alles kommen, und
sein einziges Streben in dieser Sachlage war, ihr in dem Ehe¬
bruch zuvorzukommen!! Und noch heute, nach zehn Jahren, freut
er sich dessen! Sind das noch normale Menschen? Jetzt, nach der
Verheiratung ihrer Bettiue, hält er es für unumganglich, sich
mitten in seiner konventionellen Lebensführung von der vor einem
Jahrzehnt Ungetreuen zu scheiden. Die Sache wäre reichlich
banal, wenn Schnitzler nicht das schon angedeutete Spiel mit der
Person des Zerstörers des ehelichen Glückes ausführte. Dieser
Stunde des Erkennens — auch nur ein Wort — folgt die
Große Szene, die zwischen dem Schauspieler Konrad Herbot,
Edgar Gley, (dessen Braut jener verführt hat), Frau Herbot
und dem Theaterdirektor sich abspielt. Frau Sophie ist ver¬
zeihend zu Herbot zurückgekehrt; nur einmal noch soll er lügen
und Komödie spielen, als Edgar Gley ihm seinen Verdacht vortragt.
Aber diesen Augenblick hat Herbot vorausgesehen und sein Verhalten
mit der Berführten besprochen, worüber Frau Sophie so sehr in
Aufregung gerät, daß sie von neuem fort will. Das ist ziemlich
unbegreiflich, aber Schnitzler braucht das Verhalten zu weiteren
Effekten. So macht sich überall etwas Unnatürlich=Gekünsteltes
bemerkbar. Ist diese dankbare Charakteristik des aufgeblasenen
Schauspielers auch nicht neu, so ist sie doch dank des witzigen
Dialogs am fesselndsten unter diesen Skizzen; am schwächsten
wirkte die letzte, Das Bacchusfest, in dem die Frau des Schrift¬
stellers Staufer mit ihrem Geliebten Dr. Wernig ihren Mann auf
dem Bahnhof zurückerwartet, um ihm zu sagen, daß das Schicksal
sie fürder für den Dr. Wernig bestimmt habe! Aber Staufer, der
die Sachlage im voraus durchschaut, läßt die beiden gar nicht zu
Wort kommen und zieht seine Frau wieder zu sich zurück. Er
erzählt ihnen von den Bacchanalien, die er in einem neuen Werk
symbolisch verwerterhabe, Auch hier sind es Worte, mit denen
sich in der Lebenswirttich## wohl kaum eine Wirkung erzielen
ließe.
Die Aufführung hielt sich unter der Zeitung des Herrn Kiesau
auf anerkennenswerter Höhe. Herr Dysingest der kalt ehrgeizigen
und eitlen Arzt plansibel, der Prof. Ormin deb
#
war nicht zu aufdringlich; Frau Feeys Klara Eckold##n, Senden
großenteils unter schwerer Verständlichkeit. In anderen Theälder
wurden die drei männlichen Hauptpersonen von einem Darsteller“
gegeben. Bei uns hatten Herr Gode den Schauspieler und Herr
Aßmann den Schriftsteller übernommen. Der erstere blieb der
genialen Fahrigkeit des Komödianten etwas schuldig; er müßte
jede Spur von Nüchternheit abstreifen. Frl. Baumbach schattierte
die Rolle seiner Frau Sophie mit Glück ein wenig ins Wienerische.
Herr Würthenberger umgab den Edgar Gley mit steif konventio¬
neller Korrektheit und Herr Korth war ein unterhaltsamer Theater¬
direktor. Im letzten Einakter stand dem gesunden, so gar nicht
nach Wiener Kaffeehaus; riechenden Schrifteller Staufer des
Herrn Aßmann Frl. Klinder als Frau gegenüber, während Herr #
Kiesau den Dr. Weing reichlich jungesmntt zeichnete. Wo dieser
Naivling den Doktortitel herhatte, michte Gott wissen. Die Auf¬
nahme des ersten Stückes war ziemlich küht, das zweite entfesselte
vielen Beifall, und das dritte, deshen relte#e Länge nicht übersehen;
werden konnte, ließ das Publiinm beinahe kalt. Belacht wurde;
auch eine drastische Bemerkung des Schauspielers über das Theater¬
publikum, das auf alles hineinfalle; sie ist gar nicht so übel!
Ah..
WEL AAV L
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Deutsches Volksbiss
sschnitt aus:
Wien
27 10. 1815
n:
Die Aufführung von Schnitzlers Einakterfolge
(Komödie der Worte“ in Köln. Wir lesen in der „Kölni¬
(schen Zeitung“ über die Erstaufführung der türzlich im
Wiener Hofburgtheater gegebenen drei Schnitzlerschen
Einakter in der Kritik des dem Autor sichtlich wohlgesinnten
Referenten unter anderem folgendes: „Der Ernst der Zeit
legt die Frage nahe, ob nicht derartige Spitzfindigkeiten
aus dem Seelenleben eines engen Kreises fauliger Gro߬
stadtmenschen einen gar zu breiten Raum auf der deutschen
Bühne eingenommen und andere, für die Gesamtheit viel
wichtigere gesellschaftliche Probleme zurückgedrängt haben.
Ein gewisses Mißbehagen rief Schnitzlers Art auch früher
zuweilen hervor, das in Limonade verrührte Läster, das
weichliche Ineinandermalen von skrupelloser Sinnengier und
müder Empfindsamkeit, von neurasthenischer Brutalität und
welker Grazie blasierter Schwächlinge; es stieg da ein
Duft auf wie von zart parfümierter, aber nicht mehr ganz
sauberer Spitzenwäsche — ein unappetitlicher Vergleich, der
stehen bleiben mag, weil die Ueber=Kreuz=Liebelei dem
natürlichen Empfinden manchmal beinahe unappetitlich war.“
Ueber den dritten Einakter, „Das Bacchusfest“, sagt das
rheinische Blatt: „Die Moral des Stückes hält die goldene
Mitte zwischen der Ethik eines Zuhälters und der eines
anständigen Mannes.“
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vom:
Theater und Konzerte.
& Kölner Schauspielhaus. Gestern war im Schauspielhaus
großer Wäschetag. Drei Parteien wuschen coram populo — am
Waschtrog stand Hr. Arthur Schnitzler — ihre schmutzige
Wäsche: ein Arzt nebst Frau GennSchauspieler=Ehepaar
und ein Schriftsteller mit Frau und zugehörigem Lebhaber. Sie
alle laufen, mit Ibsen zu sprechen, mit der Lebenslüge einher,
alle haben, wieder modern zu reden, die Ehefessel durchbrochen,
in einem Falle schon vor zehn Jahren. „Unser Liebesleben,“ sagt
der einzig gesunde Mann, der Schriftsteller, „ist getrübt, ja ver¬
giftet von Lüge und Selbstbetrug, von Eifersucht und Angst, von
Frechheit und Reue.“ Auch das ist ibsensch, daß wir nur die
letzten Szenen, gleichsam die Bilanzabrechnungen erleben und das
vor der Gegenwart Geschehene nur erzählt bekom nen. Es sind ge¬
wissermaßen Novellen, die von hinten anfangen. Seien wir froh
dieserhalb, denn Erfreuliches und Erhebendes ist es nicht, was uns
sonst auf der Bühne gezeigt würde. „Aber Schnitzler hat uns doch
immer etwas zu sagen!“ Hat er? Ist es wirklich so interessant zu
wissen, mit wem Frau Dr. med. Karl Eckold vor zehn Jahren
ihren Gatten betrog, ob es der Prof. Ormin war oder der Schriftsteller
Flöding? Zumal wo dem armen Publikum von dem Lügengeschwätz
so dumm im Kopf wird, daß es am Schlusse die Frage selbst kaum
beantworten kann? „Aber spannend sind diese Sachen!“ Auch ein
Kolportageroman kann spannend sein; allerdings ist zuzugeben,
daß es Schnitzler versteht, einen Dialog zu bauen, daß er alles
sagen kann, ohne direkt unanständig zu werden, daß er oft amüsant,
mitunter geistreich sein kann, und er könnte in diesem Falle darauf
hindeuten, daß er in den drei Einaktern doch nur eine Komödie
der Worte habe schreiben wollen. Das alles zugegeben; aber ist
das die Aufgabe der Bühne, und gerade in jetziger Zeit, in der
gesunde kräftige Kost statt der Krankensuppen verabreicht
werden sollte. Und das Denken all dieser Personen ist doch patho¬
logisch oder nur so, wie es Hr. Schnitzler zu seinen 1
Wortkomödien gerade gebrauchen konnte, um zu blüffen.
Das Goethesche Rezept für den Dichter, die Menschen
zu verwirren, hat er getreulich befolgt. Frau Eckold gesteht dem
sich verabschiedenden Professor Ormin, daß sie ehemals die Seine
nicht habe werden können, weil sie ihn geliebt habe; sie war also
nach ihrer Logik in die Notwendigkeit versetzt, ihren Gatten mit
einem anderen zu betrügen! Dr. Eckold sah alles kommen, und
sein einziges Streben in dieser Sachlage war, ihr in dem Ehe¬
bruch zuvorzukommen!! Und noch heute, nach zehn Jahren, freut
er sich dessen! Sind das noch normale Menschen? Jetzt, nach der
Verheiratung ihrer Bettiue, hält er es für unumganglich, sich
mitten in seiner konventionellen Lebensführung von der vor einem
Jahrzehnt Ungetreuen zu scheiden. Die Sache wäre reichlich
banal, wenn Schnitzler nicht das schon angedeutete Spiel mit der
Person des Zerstörers des ehelichen Glückes ausführte. Dieser
Stunde des Erkennens — auch nur ein Wort — folgt die
Große Szene, die zwischen dem Schauspieler Konrad Herbot,
Edgar Gley, (dessen Braut jener verführt hat), Frau Herbot
und dem Theaterdirektor sich abspielt. Frau Sophie ist ver¬
zeihend zu Herbot zurückgekehrt; nur einmal noch soll er lügen
und Komödie spielen, als Edgar Gley ihm seinen Verdacht vortragt.
Aber diesen Augenblick hat Herbot vorausgesehen und sein Verhalten
mit der Berführten besprochen, worüber Frau Sophie so sehr in
Aufregung gerät, daß sie von neuem fort will. Das ist ziemlich
unbegreiflich, aber Schnitzler braucht das Verhalten zu weiteren
Effekten. So macht sich überall etwas Unnatürlich=Gekünsteltes
bemerkbar. Ist diese dankbare Charakteristik des aufgeblasenen
Schauspielers auch nicht neu, so ist sie doch dank des witzigen
Dialogs am fesselndsten unter diesen Skizzen; am schwächsten
wirkte die letzte, Das Bacchusfest, in dem die Frau des Schrift¬
stellers Staufer mit ihrem Geliebten Dr. Wernig ihren Mann auf
dem Bahnhof zurückerwartet, um ihm zu sagen, daß das Schicksal
sie fürder für den Dr. Wernig bestimmt habe! Aber Staufer, der
die Sachlage im voraus durchschaut, läßt die beiden gar nicht zu
Wort kommen und zieht seine Frau wieder zu sich zurück. Er
erzählt ihnen von den Bacchanalien, die er in einem neuen Werk
symbolisch verwerterhabe, Auch hier sind es Worte, mit denen
sich in der Lebenswirttich## wohl kaum eine Wirkung erzielen
ließe.
Die Aufführung hielt sich unter der Zeitung des Herrn Kiesau
auf anerkennenswerter Höhe. Herr Dysingest der kalt ehrgeizigen
und eitlen Arzt plansibel, der Prof. Ormin deb
#
war nicht zu aufdringlich; Frau Feeys Klara Eckold##n, Senden
großenteils unter schwerer Verständlichkeit. In anderen Theälder
wurden die drei männlichen Hauptpersonen von einem Darsteller“
gegeben. Bei uns hatten Herr Gode den Schauspieler und Herr
Aßmann den Schriftsteller übernommen. Der erstere blieb der
genialen Fahrigkeit des Komödianten etwas schuldig; er müßte
jede Spur von Nüchternheit abstreifen. Frl. Baumbach schattierte
die Rolle seiner Frau Sophie mit Glück ein wenig ins Wienerische.
Herr Würthenberger umgab den Edgar Gley mit steif konventio¬
neller Korrektheit und Herr Korth war ein unterhaltsamer Theater¬
direktor. Im letzten Einakter stand dem gesunden, so gar nicht
nach Wiener Kaffeehaus; riechenden Schrifteller Staufer des
Herrn Aßmann Frl. Klinder als Frau gegenüber, während Herr #
Kiesau den Dr. Weing reichlich jungesmntt zeichnete. Wo dieser
Naivling den Doktortitel herhatte, michte Gott wissen. Die Auf¬
nahme des ersten Stückes war ziemlich küht, das zweite entfesselte
vielen Beifall, und das dritte, deshen relte#e Länge nicht übersehen;
werden konnte, ließ das Publiinm beinahe kalt. Belacht wurde;
auch eine drastische Bemerkung des Schauspielers über das Theater¬
publikum, das auf alles hineinfalle; sie ist gar nicht so übel!
Ah..
WEL AAV L
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Deutsches Volksbiss
sschnitt aus:
Wien
27 10. 1815
n:
Die Aufführung von Schnitzlers Einakterfolge
(Komödie der Worte“ in Köln. Wir lesen in der „Kölni¬
(schen Zeitung“ über die Erstaufführung der türzlich im
Wiener Hofburgtheater gegebenen drei Schnitzlerschen
Einakter in der Kritik des dem Autor sichtlich wohlgesinnten
Referenten unter anderem folgendes: „Der Ernst der Zeit
legt die Frage nahe, ob nicht derartige Spitzfindigkeiten
aus dem Seelenleben eines engen Kreises fauliger Gro߬
stadtmenschen einen gar zu breiten Raum auf der deutschen
Bühne eingenommen und andere, für die Gesamtheit viel
wichtigere gesellschaftliche Probleme zurückgedrängt haben.
Ein gewisses Mißbehagen rief Schnitzlers Art auch früher
zuweilen hervor, das in Limonade verrührte Läster, das
weichliche Ineinandermalen von skrupelloser Sinnengier und
müder Empfindsamkeit, von neurasthenischer Brutalität und
welker Grazie blasierter Schwächlinge; es stieg da ein
Duft auf wie von zart parfümierter, aber nicht mehr ganz
sauberer Spitzenwäsche — ein unappetitlicher Vergleich, der
stehen bleiben mag, weil die Ueber=Kreuz=Liebelei dem
natürlichen Empfinden manchmal beinahe unappetitlich war.“
Ueber den dritten Einakter, „Das Bacchusfest“, sagt das
rheinische Blatt: „Die Moral des Stückes hält die goldene
Mitte zwischen der Ethik eines Zuhälters und der eines
anständigen Mannes.“
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