II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 170

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26.1. Kondedi der orte Zyklus
Unterhaltungs=2
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Freitag, den 15. Oktober 1915
2. Belage — Seite 9—12
Oberlehrer von Zivilberuf, mit einem köstlichen, urwüchsi¬
gen Humor. Des Abends begleitete er sie, eine Kerze in
Der neue Schutzl—
jeder Hand, in feierlicher Weise zu Bett, und ein reizvolles
0 „Komödie der Worte“ ##%
Stilleben baute sich da in der Kammer auf. Da entbot
dem Arm in Arm mit ihr eintretenden lustigen Feld¬
Berlin, den 13. Oktober 1915.
grauen ein von unseren Speiseüberresten gefüttertes, be¬
In diesem Werke, das bereits in Wien und
haglich grunzendes Schwein den Willkommengruß und
Darmstadt aufgeführt worden ist und demnächst bei
wurde ob dieses Wagemutes von der hinter ihm blöde
Barnowsky anderswo erscheinen wird, hat Arthur
dreinschauenden Ziege lebhaft bestannt, während inmitten
Schnitzler wieder einmal, wie schon öfter, mehrere
einer schlafenden Hühnerschar halblinks neben dem Ruhe¬
Einakter zu einem Theaterabend zusammengestellt und für
lager der Haushahn, der den anbrechenden Tag schon nahe
eine gute Mischung gesorgt. Denn die drei Stücke sind
in ihrer Stimmung recht verschieden, trotzdem sie alle drei
glaubte, sein munteres „Kikeriki“ erschallen ließ, wodurch denselben Titel — etwa „Nach der Eheirrung“ — führen
sich drei Kater durchaus nicht stören ließen, die sich am
Fußende des Beties warm eingebuddelt hatten und sich ge¬
könnten. Auch dieses Thema ist ja eine alte Schnitzlersche
rade die lustigsten Schnurren zu erzählen schienen. Diese
Vorliebe. Man wird nun freilich nicht behaupten können,
seltsame Gemeinde versammelte sich jeden Morgen um
daß anderwärts gerade heut eine besondere Vorliebe da¬
die treu besorgte Pflegemutter, wenn sie das Feuer im
für vorhanden sei. Allein, man beginnt zu lesen*) und
Kamin anlegte. Kamen wir dann von unserem Lager
man hört nicht wieder auf. Der Dichter hat wohl doch
herab, so hatte sie nach einem herzlichen „Bon jour,
gewußt, weshalb er sich getraute, schon diesen Winter mit
messieurs!“ für jeden ihrer zwei= und vierbeinigen Lieb¬
der neuen Gabe herauszukommen. Es gibt in allen dreien
linge ein Kosewort, mit dem sie die Tiere auf ihre Plätze
Stücken Dinge, die, noch abgesehen von der meisterhaften.
Form, den Vorwurf vertiefen.
verwies. Aber auch für ihre Feldgrauen hatte die alte
Schmugglerin, die Ende der sechziger Jahre mit ihren
In dem ersten Teil, der „Stunde des Erkennens“
Eltern in dunklen Neumondnächten manches Liter Schnaps

lebt ein Arzt seit 22 Jahren mit seiner Frau, nach deren
####r die Grenze gebracht, ein Herz. Das haben wir er¬
zuverlässigen Aeußerungen, harmonisch zusammen. Frei¬
m#sen ir in Muh# und
lich hat sich vor 10 Jahren ein „Zwischenspiel“ im Leben
dieser Frau ereignet, das indessen durch seine besondere
Motivierung und den Charakter der Frau wenigstens dem
Verdacht der Frivolität entrückt ist. Jetzt nun ist die
Tochter des Hauses auf der Hochzeitsreise, und als man
glaubt, daß sich die beiden Alleingebliebenen in der Ab¬
schiedsstimmung noch enger zusammenschließen werden,
kommt eine harte und unerbittliche Abrechnung des Man¬
nes, der alles, bis auf die Person des Nebenbuhlers, ge¬
wußt und seit 10 Jahren nur gewartet hat, daß die Ver¬
heiratung der Tochter ihm erlauben würde, das Zusam¬
menleben mit der Frau auszugeben. Er hat zwar da¬
mals alle Beziehungen zu ihr wieder ausgenommen, die
schon vor der Abschweifung der Gattin von ihm aus in
einer Zeit aufreibender Berufskämpfe gelockert waren;
aber er läßt ihr jetzt, am letzten Tage, keinen Zweifel, daß
sie seit damals weder seine Frau noch seine Geliebte
gewesen sei, „höchstens.
Das heißt, er trennte sich
innerlich längst vollständig von ihr. Man hält so etwas
vielleicht nicht für möglich. Ich glaube, daß es möglich
ist. Es verfallen so viele Ehen nach einem solchen Be¬
gebnis der Schlamperei, warum sollte nicht ein Mann
einmal sich dieser selben Schlamperei äußerlich überlassen,
innerlich aber sich draßen halten, drüberstehen, so daß
die Schlamperei ihn nicht beschädigte und er zugleich
innerlich Rache nähme? Dennoch läßt der Dichter selber
kaum einen Zweifel, daß etwas Unnatur dabei im
Spiele war und verhängnisvoll wurde. Denn durch sein
Schweigen blieb der Mann im Irrtum über die Person
des Nebenbuhlers und bildete sich einen falschen ein, den
schlimmsten, der ihm hätte vorkommen können, während
er den wirklich Begünstigten, wenn er ihn gewußt hätte,
vielleicht — er sagt es selbst
— hätte verzeihen können.
Darin liegt eine gewisse Tragik. Nach der Enthüllung
scheidet sich die Frau, die ihn bis dahin klug und gütig
auf die seither verflossenen 10 Jahre und ihr Glück hin¬
wies, entsetzt von ihm: „Du hast das Recht gehabt —
vielleicht — mich fortzujagen, am Ende sogar mich zu
töten. Aber ein Recht, mir die Strafe zu verschweigen,
die es dir beliebte, über mich zu verhängen, das Recht
hattest du nicht. Du hast mich schlimmer betrogen und
tausendfach feiger als ich dich. Du hast mich tiefer er¬
niedrigt, als ein Mensch irgend einen anderen erniedrigen
darf!“ — Natürlich ist ein Künstler wie Schnitzler weit
) Das Buch ist im Verlage S. Fischer in Berlin soeben
erschienen.
(Fortsetzung des redaltionellen Teils nächste Seite.)