II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 185

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26.1. Konoadie der Norte—Zyklus
Dr. Max Goldschmidt
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Telefon: Norden 3051.
BERLIN N.4
Ausschnitt aus: Vossische Zeitung, Berlin
2 4. OkR 1975
sein ... Wenn die Grenzen meines Wesens mit den inneren Er¬
lebnissen und Resultaten jenes Werkes umschrieben wären, so täte
Schnitzlers „Romödie der Worte“.
mir das selber leid, aber ich hoffe, den Beweis weiterer Grenzen
erbringen zu können.“ (Sonnenthals Briefwechsel, pag. 113.) Es
Erstaufführung im Lessing=Theaker.
kann, es soll nicht untersucht werden, inwiefern Schnitzler mit
Zwei von den drei kleinen Komödien Schnitzlers hatten starken
seinem Anatol identisch geblieben ist. Aber es ist doch kein Zufall,
Erfolg. Alle drei stammen aus der abgeschlossenen Welt Schnitzlers,
daß diese drei reizenden neuen Komödien die Erinnerung an den
nichts= als= nur erotischen Anatol unwillkürlich heraufbeschwören.
und sie sind mit der unverstellten, halblauten Stimme Schnitzlers
Dieser Dichter, der in seinem Winkel ein Charakter ist, blieb fünf¬
vorgetragen. Es liegt ein gewisser Trotz darin, daß Schnitzler sich
undzwanzig Jahre seinen Themen treu! In seinem Herbst wie in
durch den Weltkrieg nicht weiter stören läßt — ein bißchen Trotz steht
auch dem Dichter der elegant=zerrissenen Seelen gut an — er bleibt
seinem Frühling, im männerfressenden Weltkrieg wie im Wiener
Liebeleienfrieden blieb Schnitzler in Anatolien wohnhaft.
seinem Wiener Salonbürgertum vor 1914 treu und dem, was sie
Der lustigste der Einakter ist das Schauspielerstück „Große
für ihr inneres Erleben halten.
Szene“. Bassermann hat den großen Komödianten zu geben,
Der gemeinsame Titel dieser drei Komödien ist schon das Feu¬
der so mühelos, so verwegen lügt, daß es selbst der lügegewohnten
illeton über die Einakter. Komödie der Worte? Irgendwo, im ver¬
Frau des Komödianten ein wenig unbehaglich zumute wird. Sie
dunkelten Gedächtnis, lebt auch die Erinnerung an dieses schon ge¬
will abreisen wie Nora, aber der Theaterdirektor hält sie zurück. Von
schriebene Feuilleton. Ja, es war damals, vor fünfundzwanzig
ihrer Verzeihung hängt die heutige „Hamlet“=Vorstellung ab! Sehr
Jahren, als Loris Hugo von Hofmannsthal Anatols Komödie der
amüsant zeichnet Schnitzler, wie der große Schauspieler
Worte mit den Versen begrüßte:
sich in jedem freien Moment Lebensszenen voll Spannung, dank¬
„Also spielen wir Theater,
baren Momenten und verwegenen Situationen schaffen muß,
Spielen unsere eigenen Stücke,
weil er eine theatralisch ausstaffierte Bürgerlichkeit braucht. Hier
Frühgereift und zart und traurig,
war Bassermann hinreißend, der ausgelassenste große Junge,
Die Komödie unserer Seele,
ein tanzender Notlügner, ein unbedingt siegreicher Spitzbube. Seine
Unseres Fühlens heut und gestern,
prachtvolle Laune riß das ganze Haus mit. Daneben hatte Forest
Böser Dinge hübsche Formel,
den weltklugen Theaterdrektor zu geben. Er kämpfte mit einer merk¬
Glatte Worte, bunte Bilder,
würdigen Irritiertheit, überwand sie endlich, und es gelang ihm, ohne
Halbes, heimliches Empfinden,
äußere Kopie, Züge der heiteren Geistigkeit Brahms anklingen zu
Agonien, Episoden.“
lassen. Frau Bassermann hatte die resignierende Gattin eines
Böser Dinge hübsche Formel gibt Schnitzler auch heute wieder,
großen Schauspielers darzustellen.
wieder halbes, heimliches Empfinden, wieder Agonien, Episoden,
Auch dem ersten Stück „Stunde des Erkennens“ hat die vorzüg¬
fast wie vor fünfundzwanzig Jahren. Das Grunderlebnis blieb
liche Darstellung viel geholfen. Eheleute, die über einen Ehebruch
das alte. „Spielen unsere eigenen Stücke ...“ Komödie der
erst nach zehn Jahren diskutieren und von denen zehn Jahre tiefster
Worte von Anfang an.
Gemeinschaft plötzlich abfallen, gehören zu wunderlichen Konstruktio¬
Damals, vor fünfundzwanzig Jahren, als Anatol noch neu war,
nen, in denen Schnitzler sich zuweilen gefällt. Bassermann hatte für
schrieb Adolf von Sonnenthal, wie man in seinem außerordentlich
interessanten Briefwechsel nachlesen kann, an den jungen Arthur:
diesen tückischen Gatten, der seine Nache nach zehn Jahren heiß
„Ich finde Ihre „Episode“ reizend, geistvoll, ja stellenweise
genießt, eine merkwürdige asiatische Maske gewählt. Er sah aus
poetisch ... Wären wir in Paris, ich würde keinen Anstand
wie ein assyrisch=semitischer Nachegott, der sich hinter Brille und
nehmen, sie so, wie sie geht und steht, ohne Zuthat, ohne Wegnahme,
Gehrock eines pedantischen Professors sversteckt hatte. Diese Phan¬
sofort vor die Rampe zu bringen: als lever de rideau, unser deut¬
tastik der Grausamkeit machte das kleine Stück erst wahr.. Lina
sches Publikum verlangt neben der „Episode“ wenn diese auch
Lossen aber gab der so spät ertappten Frau die Güte und innere
Gelassenheit ihrer adligen Seele.
noch so pikant ist, auch eine Hauptaktion, und diese fehlt in Ihrer
Blüette, wohlverstanden nach deutschen Begriffen.“ Mit einem
Das letzte Stück, „Das Bacchusfest“, ist Literatur geblieben,
Wort: Der deutsche Geschmack war einer Komödie der Worte auch
auch auf der Bühne. Es ist ein Versuch Schnitzlers, den kleinen
vor fünfundzwanzig Jahren nicht sehr günstig. Als später Sonnen¬
Abenteuern seiner Figuren die Glorie einer schönen Symbolik zu
thal dem „Anatol“ noch schärfer zu Leibe ging, da erwiderte
gewähren. Hier wurde man — in aller Stille — ein klein wenig
Schnitzler in einer respektablen Wallung: „Ich möchte nicht Anatol ] ungeduldig.
Stefan Großmann.