II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 207

26.1. Konoedie der Vorte zvkus
Ausschnitt aus: Frankfurter Zeitung
vom: #####181 Frankfurt a. M.
Kleines Feuilleton.
(Die „Komödie der Worte“ in Berlin und Wien.]
Aus Berlin wird uns geschrieben: Die „Komödie der
Worte“ — die Rache der Worte: was nach der Frankfurter Auf¬
führung der neuen Einalter Arthur Schnißlers an dieser)
Stelle gesagt worden, das bestätigte Ne BerlierAufführung
im Lessingtheater durchaus. Man kann nicht gleich¬
zeitig das Wort, durch das man Darstellung sucht, der zwei¬
selnden Zersetzung unterwerfen; nicht aufbauen und nieder¬
reißen zugleich. Schnitzler jedenfalls konnte es nicht. Zu wenig
läßt von der Gestaltung des Ehekonflikts in „Stunde des
Erkennens“ das gebrandmarkte Wort erfassen; Fragen
tauchen auf — nach der wirklichen Liebe dieser „großen Lie¬
benden“, nach den wirklichen Beweggründen des fatalen Ehe¬
gatten — und schwinden verhüllten Hauptes durch das Tor,
das breite, des Vergessens; die Rache der Worte: das Wort
bleibt dunkel. Vorbereitei auf die „große Szene“ in der
das Wort Verstellung üben, Ueberzeugung vermitteln soll, fin¬
det man sich angesichts dessen, was der große Schauspieler dem
kleinen Bräutigam des kleinen verführten Fräuleins vor¬
gaukelt, enttäuscht; die Rache des Wortes: das Wort bleibt!
arm. Vollends im „Bacchusfest“: es hieß die Rachsucht
des Wortes grimmig heraufbeschwören, versuchte man einen.
ernsten seelischen Konflikt mit einer Feuilletonpointe, wie mit'
Florettparade, beiseite zu schlagen. Ja, ich gestehe es, dieser
Schnitzlerschen Geistreichigkeit gegenüber, nahm das rachelüsterne
Wort für mich Gestalt an und glich aufs Haar einem Knaben,
den Dreispitz aus Zeitungspapier auf dem wohlfrisierten langen
Blondhaar, das Holzschwert in der Hand. Seltsame Weltfremd¬
heit aller Dichtung, die, nicht im Herzen verankert, das selbst¬
erlebte Gefühl zum Maßstab der Dinge nimmt! Es fiele mir
auch schwer — tät's not — auf wahrhafte psychologische Fein¬
heit in Schnitzlers neuen Einaktern zu weisen. Es ist mehr!
ein Spiel mit psychologischen Zahlpfennigen darin als ein
lebendiges Quellen einer vibrierenden Psychologie aus Charak¬
ter und Motiv und Lage. Vielfach scheint die Wortprägung im
Kopf des Dichters früher dagewesen zu sein, als der Anla߬
aus dem sie geboren werden sollte: die grausamste Rache der
S
Worte. — Den Eindruck ungünstig zu bestimmen, trug die
Aufführung das Ihre bei. In keiner der drei Rollen gelangte
Herr Bassermann zu Selbstverständlichkeit. Er spielte
dreimal dreifach virtuos: je virtuoser er spielte, desto weiter
entfernte er sich vom gelebten und lebensmöglichen Leben. Als
Schriftsteller im „Bachusfest“, nur nervös und ohne alle seelische
Güte, blieb er völlig unfaßbar. Frl. Lossen ließ in „Stunde
des Erkennens“ von der „großen Liebenden“ so wenig in Er¬
scheinung treten, sie vermittelte so gar keine Sinnlichkeit und
Launenhaftigkeit, gab der Gattin des Arztes so viel Sauberkeit,
Geist, Gemüt, daß man in dem Dilemma ihrer Verirrungen
an keine zu glauben vermochte und bereit sein durfte, gegen
alle „Worte“ den Fehdehandschuh aufzunehmen und für ihre
lmakellose Reinheit in die Schranken zu reiten. Die Ehe¬
Irrung des „Bacchusfestes“ machte Fr. Duncke=Carlsen
durch Persönlichkeitsarmut wirklich zur Bagatelle; nur weiß
ich nicht, ob das in Schnitzlers Sinne war. Darstellerisch be¬
friedigten am meisten Herr Landa und Frau Basser¬
mann; vielleicht gefielen sie auch deshalb, weil sie in diesen
Spielen der Liebe die Rollen derer inne hatten, die leer aus¬
gehen die aber sind allemal die liebenswürdigsten.
E. H.
Man schreibt uns aus Wien: Die Schnitzler ischen
Einakter im Burgtheater konnten das Interesse über den
Tag hinaus nicht fesseln. Es ist wohl wahr, neben dem Krieg
der Völker nimmt auch in diesen Tagen nichts mehr Raum in
sunserem Denken ein als der Krieg der Geschlechter und der
Kampf des Naturtriebs gegen die ihm auferlegten bürgerlichen
Gesetze. Aber die Pathologie der Ehe ist ein künstlerisch be¬
reits so abgegrastes Gebiet, daß auch die Wiener Stimmungs¬
Mikroskopiker nichts Neues mehr einbringen können, wenn
ssie sich nicht grade auf die allerdings unerschöpfliche Kasuistik
verlegen. Der willkürlich gewählte Einzelfall aber läßt uns
kalt; was nicht dir und mir, sondern nur ganz besonderen
Käuzen widerfahren kann, das bleibt — auch bei der größten
Gestaltungskunst — ganz deren eigene Angelegenheit. Die
Ehegatten, die zehn Jahre lang miteinander leben, ohne wahr¬
zunehmen, daß der eine Teil Dolche schärft und Gift sammelt,
um den anderen in der „Stunde des Erkennens“ tödlich zu
treffen, sind vielleicht möglich, weil im Leben alles möglich ist;
auf der Bühne sind sie konstruiert, wie die ganze so jäh herein¬
brechende Katastrophe. Ganz nebenbei bemerkt stößt sich das
normale Gefühl auch an der würdigen Matrone, die ihre klei¬
inen Abenteuer im Absteigquartier hatte und dann das ehe¬
liche Leben mit dem Herrn Gemahl unbefangen, sogar mit
erneuter Intensität wieder aufnimmt. Derartiges möchten
wir bei aller privaten Toleranz von repräsentativen Schrift¬
stellern doch nicht als selbstverständlich hingestellt sehen. Sehr
belustigt hat „Die große Szene“, wenn auch der Darsteller
Harry Walden, jetzt schon Wiener Damenliebling, die kind¬
lich bestrickende Liebenswürdigkeit des amoralischen Historio¬
nen, die erst die schwer geprüfte Anhänglichkeit seines braven
Frauchens verständlich macht, nicht vollständig zumm Ausdruck
C.
brachte.
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Ausschnitt aus:
Frankischel Couriel, Kurnbert.
vom:
Berliner Theater.
Berlin, 24. Oktober. „Komödie der Worte“.
nenn AamminnaseWer! — Drei
kleine Einakter —, das vom Lessing=Theater
(nach der schon besprochenen Aufführung an der Wiener
Hofburg) in Berlin gegeben wurde. Der Titel ist
programmatisch zu verstehen. Er stellt die These auf,
die in drei Einzelbildern erläutert wird. Das gleiche
Thema wird dreimal variiert — an drei Ehen, die
innerlich längst in die Brüche gegangen sind. Zwei¬
mal geht die „Komödie“ komödienhaft aus, einmal
tragisch. Aber im Grunde genommen sind alle drei
tragisch. Drei Ehepaare machen sich das vor, was der
gewöhnliche Sprachgebrauch „Komödie“ nennt. Rein
psychologisch betrachtet, ist es jedesmal eine Tragödie.
Nur das Wortspiel, den Widerspruch zwischen Wort
und Tat, empfindet der Dichter als Komödie. Er hat
dieses äußerlich Komödienhafte in einer glänzenden
Dialektik glänzend gelöst, aber die psychologische Be¬
gründung reicht nicht immer aus. Sie vermag den
Eindruck der spielerischen Konstruktion nicht immer zu
verwischen.
Namentlich nicht im 1. Bild, der „Stunde des
[Erkennens“. Am Tage nach der Verheiratung
ihrer Tochter muß die Frau des Dr. Eckold erkennen,
daß ihr Gatte ihr zehn Jahre lang eine schaurige
Komödie vorgespielt hat. Er glaubte sie seinerzeit auf
einer Untreue ertappt zu haben, sagte aber aus Rück¬
sicht auf die Tochter nichts, sondern schob die Abrech¬
nung auf den Tag der zukünftigen Verlobung der
Tochter. Die Gattin betrachtete er mittlerweile nur
als Dirne. In der Stunde der Erkenntnis spielt ihm
die Frau dann ihrerseits eine Komödie vor, indem sie
ihm in dem Glauben läßt, daß sie den Ehebruch be¬
gangen habe. In Wirklichkeit hat er nicht stattgefun¬
den. Der Fall ist um so tragischer, als die Frau den
Geliebten ihrer Seele unmittelbar vor der Abrechnung
mit ihrem Gatten endgültig abweist, weil sie die Ehe
nicht brechen will. Die beiden Komödien, die des
Mannes und die der Frau, sind in pschologischer Hin¬
sicht sehr anfechtbar.
Besser gelungen ist das zweite Beweisstück der
These, die „Große Szene“. Hier ist die Komödie
einem richtigen Komödianten auf den Leib geschrieben,
der Spiel und Wirklichkeit, Lüge und Wahrheit nicht
zu trennen vermag. Seine Frau ist ihm wegen einer
unsauberen Sache mit der Braut eines Freundes aus¬
gerückt. Sie kehrt in dem Augenblick zurück, wo dieser
von ihrem Gatten die Wahrheit fordert. Der Schau¬
spieler Herbot faßt die ganze Angelegenheit nur als
die große Szene auf, bei der er sich einen möglichst
guten Abgang zu sichern hat. Die Frau ist von seiner
Verlogenheit angeekelt und will ihn definitiv verlassen.
Wieder tritt die Komödie in ihr Recht, indem es dem
Gatten gelingt, die Frau zurückzuhalten.
Im letzten Einakter schließlich, dem, Bacchusfest“,
ist die Frau des Schriftstellers Staufner entschlossen,
ihre Ehe zu lösen und mit einem Geliebten durch¬
zugehen. Der Gatte weiß sie jedoch in dem Augenblick,
wo sie ihm ihren Entschluß mitteilen will, durch eine
geschickte Symbolisierung der gegenwärtigen Lage mit
dem griechischen Bacchusfest wieder an sich zu fesseln.
Der Dialog ist geistreich, das Ganze aber langweilig.
Trotz des interessanten Spiels Albert Bassermanns,
der als Schriftsteller die Glanzleistung des Abends bot.
Er hat in allen drei Stücken die männliche Hauptrolle
gespielt. Doch lag das Komödiantenhafte des Schau¬
spielers Herbot seiner schlichten Art am wenigsten. Er
trug infolgedessen etwas zu dick auf. Leider waren
seine drei weiblichen Partnerinnen nicht gut; am besten
noch Lina Lossen als Frau Eckold. Das Lessing¬
Theater wird sich entschieden nach besseren Schauz
spielerinnen umsehen müssen.
Dr. Alf. Keslex.