II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 262

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Kondedie der Wor
Gatte wieder. Im Hamletskleid kehrt er aus dem Theater zurück. Er kann
nicht spielen, wenn seine Frau nicht in der Loge sitzt. Sie läßt sich wieder
breitschlagen. Das Stück ist nicht ohne Virtnosität gemacht. Dieser Schau¬
spieler steht wahrhaft jenseits von Gut und Böse. Er hat keinen Cha¬
rakter. Er spielt Rollen auf den Brettern und zu Hause. Die Lüge ist
seine wahie Natur. Die Schauspieler, welche an der sozialen
Hebung ihres Standes arbeiten, müßten logischerweise
den Dichter der „großen Szene“ hassen, denn der moderne
Schnitzler und die Leute aus alter Zeit, die das Theaterspielen für ein
unehrlich Handwerk hielten, meinen im Grunde das gleiche. Auch
die Schriftstellerehe ist nach Schnitzler nur dazu da, um gebrochen zu
werden. Nr. 3. „Das Bacchusfest“. Die Frau des Schriftstellers
Staufer erwartet mit ihrem Liebhaber auf dem Salzburger Bahnhof
ihren Gatten, um ihm ihren Ehebruch zu gestehen, den sie zu legali¬
sieren wünscht. Der Ankommende merkt sofort, was die beiden vor¬
haben, läßt sie gar nicht zu Worte kommen, sondern erzählt ihnen den
Inhalt seines eben vollendeten Dramas. Es spielt im alten Griechen¬
land, in dem einmal im Jahre die Bande der Sitte aufgehoben waren,
aber wehe demjenigen, der eine Wiederholung des Bruches der Ehe¬
bande versuchen wollte. Durch den antiken Paraltelfall läßt sich der
etwas grüne Liebhaber bestimmen, abzureisen, ohne daß es zu einer Aus¬
sprache gekommen wäre. Der Schriftsteller, „mit einem plötzlichen dumpfen
Ausbruch“ (der Herrn Steinrück „herrlich“ liegen wird!): „Ich hasse
dich". — Und hierauf antwortet Agnes: „Und ich dich noch tausendmal
mehr
(mit einem neuen Ausbruch der Zärtlichkeit), mein
Geliebter.“ Der Vorhang fällt. Ich klappe mein Buch zu. Vermut¬
lich verlangen die Leute jetzt Herrn Steinrück nochmals an der
Rampe zu sehen, wie in Wien Harry Walden und in Berlin Herrn
Bassermann. Ich aber habe von der Lektüre einen recht üblen Ge¬
schmack auf der Zunge. Also das ist die Welt, um die die
Phantasie des Dichters kreist, während draußen die
eisernen Würfel der Welthistoriefallen; in einer Zeit, die so
viel Heldentum und aufopfernde Frauengröße zeitigt, bietet Schnitzler
solch Musterserie erbärmlicher Wichte, deren überkünstelte
Psychologie genugsam verrät, daß diese Gestalten sich dem Dichter nicht
aufgedrängt haben, sondern daß sie am Schreibtisch ersonnen sind.
Was nun ein Autor schreibenswert findet und was nicht, wäre seine
eigene Sache, so lange sich keine Bühnen finden, die derlei aufführen.
Daß vollends ein Hoftheater der „Komödie der Worte“ keinen Unter¬
schlupf gewähren sollte, hat W. Thamerus in dem Artikel: „Die
Pflicht der Bühne" (el. Nr. 44 unseres Blattes) eingehend dar¬
gelegt; ich kann dem dort Gesagten nur restlos zustimmen. — Die Ab¬
setzung des Schönherrschen „Weibsteufel“ hat nun für Goethe Platz
gemacht, dessen „Geschwister“ hierdurch wieder einmal im Spielplan
erscheinen. Die Einstudierung des Schönherrschen Stückes scheint
übrigens schon weit vorgeschritten gewesen zu sein. Provinzblätter
melden, daß unsere Hofschauspieler das Drama vor Geladenen
in Würzburg spielen werden!! Zur öffentlichen Aufführung
scheint der „Weibsteufel“ dort nicht freigegeben worden zu sein (wie er
auch in Krefeld von der Premiere abgesetzt wurde). Die Würzburger
Vorstellung mag eine Privatveranstaltung unserer Künstler sein. Taß
die Schönherranhänger für ihre Sache die Autorität unserer Hof¬
bühne ins Feld führen können und werden, scheint bedauerlicher¬
weise nicht vermieden werden zu können, wie auch das gute Beisviel
von Krefeld, Mainz, Wiesbaden und Würzburg auf die Münchener
Zensur ohne Einfluß zu bleiben scheint, wenigstens hört man nicht¬¬
von einer Absetzung vom Spielplan des Münchener Schauspilhgeises.
Theater am Gärtnerplatz. Das Gärtnertheater seierseinen
50. Geburtstag. Als Volksbühne erbaut, hat das Theatek anfangs
mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt
Die Direktoren
wechselten oft und die Aktien waren bald wertlos. Während des
Siebziger Krieges kaufte König Ludwig II. das Haus. Es wurde als
Kgl. Theater geführt, später wieder verpachtet wie noch heute, aber Besitzer
ist die Kgl. Vermögensverwaltung geblieben. Die Glanzzeit der Bühne
war die Glanzzeit des oberbayerischen Volksstückes. Ihre Gastspielreisen




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(Quelienasgabe ohne Gewäkr.)
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Theater und Musik.
Münchener Theater.
Es ist nicht wahr, daß Schnitzler von je nur die
Komödie der Wort—geschriebenhme. „Lie¬
elei“, „Freiwild“. „Ein Zwichenspiel“, selbst „Der
insame Weg“ und Das weite Land“ waren Komodien
es Geschehens, wenn auch zum Teil eines stillen, leisen
beschehens, dessen Schattenrisse sich nur für Minuten,
ann aber mit starker dramatischer Expansion ins
körperhafte recken. Eine ungemein feine Kunst der
Worte freilich ist Schnitzlerschen Stücken immer eigen
gewesen; aber es war nicht die Kunst der Worte um
ihrer selbst willen, sondern diese Worte entschleierten
tiefe, oft ebenso seltsame als überraschend wahre Kost¬
barkeiten der Seele heutiger Menschen und gab ihnen
Beleuchtung und Erkenntnis einer ungemein reizvollen
mensch.ichen Eigenart. Das war eben das Schnitzlersche
an ihnen. Und Schnitzlerisch war auch die Neigung,
diese in irgend einem Seelenwinkel aufgestörten Wahr¬
heiten von vielen Seiten her anzuleuchten, die ihn zu
einem scheinbar nur leichten und anmutigen, im Wesen
tief bedeutungsvollen Spiel der Worte führte, weil er
darum weiß, daß Worte immer nur ein Kante, einen!
Streifen der Dinge treffen, daß ihre meisten Strahlen
an der Wahrheit abgleiten, an der Wahrheit vorbei¬
führen.
Dieses Ver—führerische der Worte nicht zum Mittel,
sondern zum Selbstzweck zu haben, mit ihm als Objekt
das künstlerische Spiel zu treiben, war in diesen drei
Einaktern des Dichters Absicht. Aber — wenigstens in
zweien von ihnen, ward er die Geister, die er rief, nicht
mehr los, ward er ihr Opfer. Und im mittleren von
ihnen, in dem er seinem Ziel am nächsten kommt, be¬
weist er Alles und Nichts, weil sein Held zu jener beson¬
deren Menschenklasse gehört, von denen ein harter Be¬
ruf erfordert, als volle Wahrheit zu nehmen, wovon der
entlehnte Schein ihrer Worte nur einem Teil zur Sie#¬
barkeit verhilft. So ist dieses Stück, in dem ein Schau¬
spieler — kaum aus Angst, eigentlich nur, weil die
eigenen Worte ihn verführen, ihn zu glauben hinreißen,
wovon er das Gegenteil genau weiß — gegen den eig¬
nen Willen verschweigt, verbirgt, lügt, das beste und
kurzweiligste.
Im letzten, dem „Bacchusfest“, ist ein feiner Ge¬
danke allzu länglich ausgesponnen, ohne daß sich im
glitzernden Spiel der Worte reich, wie sonst, die Bunt¬
heit menschlicher Herzen bräche. Am meisten schillert
davon in der „Stunde des Erkennens“. Da fällt man¬
ches echt Schnitzlersche Wort, von denen „seine ge¬
schmackvoll eingerichtete Seele“ gerade darum zum ge¬
flügelten werden dürfte, weil es nicht das beste ist. Um
der Fülle feiner seelischer Wahrheiten willen, die darin
steckt, nimmt man gern die äußere Konstruiertheil dieses
Dialogs und die Unwahrscheinlichkeit der ihm zugrunde
liegenden Psychologie in Kauf.
Steinrück hatte gut inszeniert, aber das Tempo, wie
immer, zu schleppend' genommen. Er spielte auch die
drei tragenden Rollen: den Gatten, der seine Frau und
ihren Liebhaber über das Bacchusfest aufklärt, bei dem
eine Nacht der Liebe frei war, danach aber wieder alles
in Züchten und Ehen zurückkehrt, mit viel Humor; den
Gatten im ersten Stück mit scharfer Charakteristik, na¬
mentlich vorzüglich in dem Abklingen seines Grolls nach
der Entladung; den Schauspieler in der „Großen
Szene“ zu massig in Gestalt und Ton und, Gott versteh
warum, mit a koholischer Betonung. Frau v. Hagen
gab als die bekenntnisfrohe und doch so schweigsame
Untreue guten Sardou, wie er gar nicht ganz „fehl am
Ort“ war; Frl. Bierkowsky hatte wieder angenehme
Natürlichkeit, wenn auch keine Wienerische; Frl. Wimp¬
linger spielte die Charge einer mehr dreisten als gottes¬
fürchtigen Theater=Elevin entzückend lebensfrisch. Das
Beste des Abends war Schwanneckes außerordentlich!
schlicht gespielter und doch von innen heraus leuchtender
Theaterdir ktor.
Das Ganzet einer der besten Abende dieser Spiel¬
zeit; aber Worte, viele Worte, fast eine Tragjkomödig
Schnitzlerscher Worte.
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