II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 288

eer „chelete u. 6.
Pußte — am Samstag in der Aufführung der unter
dem prächtigen Titel „Komödie der Worte“ zu¬
ammengefaßten drei Einakter. „Stunde des Erken¬
znens“, „Große Szene“ und „Das Bachusfest"schmerzlich
zu fühlen bekommen. Denn nicht die Direktion, son¬
dern der Dichter hat es so gewollt, daß das am wenigsten
bedeutende Stück den Schluß bildet, und zwar einen um —
so stärker abfallenden Schluß, als das Ganze ohnedies
schon etwas reichlich lang, jedenfalls mehr als „abend¬
füllend“ ausfiel. Der Theaterzettel, auf dem „Ende
gegen 101“ Uhr“ zu lesen stand, hatte sich um eine ge¬
schlagene Stunde verrechnet.
Schnitzlers Stärke also, sagten wir, liegt nicht im
Architektonischen. Wir können hinzufügen: überhaupt
nicht in der Handlung. Das Stoffliche ist durchweg
dürftig und ziemlich abgegriffen. Die gewöhnlichen Ehe¬
brüche oder Brüchlein. Groß ist unser Dichter — und
darum darf man den Gesamttitel als prächtig gewäh
bezeichnen — groß ist er vor allem in den Wor
ten, in der leichten, flüssigen, fein gewürzten, rei
pointierten, überaus lebendigen, schillerben, prickel
den, schalkhaft liebenswürdigen Konversation. Dies
Dialog ist nicht von dürrem, streitsüchtigem Intellet
tualismus konstruiert, er ist wahr und lebt. Eine be
zur völligen Unwahrnehmbarkeit gesteigerte Abstraktio
der Technik, wie wir Aehnliches zum ersten Male i
der Literaturgeschichte bei Bauernfeld, bezeichnenden
weise ebenfalls ein Wiener Kind, finden.
Genügt indessen das bisher Gesagte vielleicht no¬
nicht ganz, um Schnitzler geradezu als Klassiker de
Konversationsstückes zu feiern, so darf dies sicherlich m
Recht da geschehen, wo der Dichter mittels seine
Dialogtechnik feine, psychologische Gemälde vor unse
Auge zu führen, aus Worten volle, ganze, lebendig
Menschen, Charaktere mit scharfen, interessanten Schlag
lichtern zu gestalten weiß. Freilich, das erste und de¬
letzte Stück vom Samstag abend vermögen nach diese
Hinsicht nicht recht Stand zu halten, womit ich sie jedo
nicht als direkt mißglückt bezeichnen möchte. De
„Stunde des Erkennens“ verliert sich in psychologische
Spitzfindigkeiten und Fragwürdigkeiten.
X vermag
Sie“ nicht zur ehelichen Untreue zu verleiten, weil
Sie ihn zu sehr liebt, Z gegenüber jedoch leistet „Sie“.
Ech einen Ehebruch, weil sie ihn weniger liebt als X?
Auch liegt die eigentliche Pointe des Stückes, das Ver¬
schweigen des wirklichen Geliebten dem Mann gegen¬
über, stark verborgen. Immerhin sind die Charaktere
interessant und keineswegs glatt unmöglich, zumal
wenn sie durch Künstler wie Steinrück, Olly und Schar¬
wenka dargestellt werden. Im „Bachusfest“ hingegen
handelt es sich nicht nur um seelische Fragwürdigkeiten.
Die Figuren setzen hier überhaupt kein Fleisch an. Es
kommen keine runden Charaktere heraus, sondern nur
Fragmente. Kurz: es bleibt bei Worten. Allen An¬
forderungen und den verwöhntesten Ansprüchen genügt
hingegen die „Große Szene“! So etwas von psycho¬
logischer Tiefe und zugleich voller, runder Lebenswahr¬
heit bekommt man selten zu sehen. Nur soviel hier:
Den Mittelpunkt bildet die Figur eines Schauspielers.
eine leichtlebig=geniale Künstlernatur, die nicht mehr
zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen der Wirklichkeit
des Lebens und dem Spiel der Bühne zu unterscheiden
weiß, bei der jede Moral aufhört, da der Schuldbegriff
nahezu gänzlich verloschen ist, ein Mensch, der in Ver¬
logenheit und Allerwelts-Wurstigkeit aufgeht und doch
im Grunde ein gutmütiges Kind ist, das nicht leben
und wirken kann ohne den Halt, den „Sie“, die Legi¬
time, ihm bietet.
Das Publikum raste Beifall. Als die Hände ver¬
sagten, mußten die Füße zu Hilfe kommen; ein großes
Getrampel erhob sich. Kein Wunder: Albert Steinrück,
der den Helden gab, ist — um es kurz zu sagen — ein
ganz hervorragender Künstler! Einer vom Schlag
Bassermann! Er spielte nicht, er lebte uns seinen Her¬
bot vor. Jedes Wort des Lobes ist hier eigentlich zu
viel. Was Steinrück leistete, darf als schlechterdings
vollendet bezeichnet werden. Da ist alles richtig erfaßt
und erkannt, fein durchgearbeitet, erlebt und als Leben
wiedergegeben, leicht, fast behaglich, wie von selbst.
Auch bei Frl. Olly gesellte sich zur Gewandtheit die
psychische Tiefe in einem Grade, der alle Bewunderung
verdient. Besonders vorzüglich muß ihre Mimik — die
Hauptsache im intimem Stück
genannt werden.
Dann Herr Scharwenka als Gley und Ormin, fein ab¬
gestimmt und treffsicher, Herr Kosel als Theater¬
direktor und Herr Schmelz als Dr. Wernig, alles meße
als anerkennenswerte Leistungen!
Noch mehr solche Abende
und die böszürhige
Kritik wird zum Hymnen singenden Herold des Pahmes
werden.
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50 onne Gewanf.)
Ausschnitt aus:
rager Abendblatt
vom:
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1
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Theater.
Gie v. Deutsches Landesrheater. Sams¬
kag wird zum ersten Male Schnitzlers Einakterzyklus
„Komödie der Worte“ aufgeführt. Das erste
der Stücke heißt „Die Stunde des Erken¬
nens“. Wir begegnen einem Manne, der das Be¬
wußtsein der Untreue seiner Frau ein Jahrzehnt mit!
sich herumträgt. Er will sein Heim nicht zerstören,
seiner Tochter die Mutter nicht nehmen. Erst als die
Dochter als junge Frau aus dem Elternhause scheidet,
spricht der Mann und endet das Versteckenspiel. Die
Frau hat wohl den Gatten betrogen, aber mit einem
anderen als der Gatte wähnte.
Das zweite Stück schildert die „Große Szene“
in der ein berühmter Schauspieler den Bräutigam
eines von ihm verführten Mädchens von der Rein¬
heit und Treue seiner Braut zu überzeugen bestrebt
ist. Er spielt diese Szene so überwältigend wahr, daß
seine Frau, die ihn seinens lockeren Lebenswandels
wegen oftmals schon verließ und eben erst wieder zu¬
rückgekommen ist, von Grauen und Abscheu vor ihm
erfaßt wird. Diesmal gehe sie endgiltig. Der Schau¬
spieler soll am selben Abend als Hamlet auftreten,
das könne er nicht, wenn er seine Frau nicht im Zu¬
schauerraum weiß. Da bleibt sie denn.
Das dritte Sturk nennt Schnitzler „Das
Bacchusfest" Es spielt auf einer Eisenbahnstation
während einer Fahrt; fünf Minuten Aufenthalt!
Während dieser fünf Minuten nimmt ein Schrift¬
steller seine Frau, die sich eingebildet hat einen ande¬
ren Mann zu liehen, diesem Manne wieder weg.
Die drei männlichen Hauptrollen wird Herr
Becker, die drei weiblichen werden die Damen #
Hühner, Medelsky und Ries darstellen.