26.1. Kongedie der Norte zuklus
Wiere v 70 S. 1978
s. (Volksbühne.) Bei aller Anerlenung der schönen und
verdienstlichen Bestrebungen, die zum Unterschiede von den
eigentlich berufenen Kunstinstituten unserer Stadt die „Volks¬
bühne“ auszeichneu, sollte es doch vermieden werden, auf die
Dauer Stücke aufzuführen, die man in anderem Rahmen gesehen
hat und die daher, mit dem allzu mangelhaften Apparat inszeniert,
nichts als Unbehagen auslösen. Die „Komödie der Worte“
Schnitzlers, die man gab, um Bassermann triumphieren zu lassen,
wirkte, wenigstens anfangs, geradezu qualvoll. Das schleppende
Tempo, die äußerliche und darstellerische Fehlbesetzung, die jede
Illusion zerstörende primitive Ausstattung hätten auch ein
stärkeres und besser gelungenes Schnitzler-Werk, als es gerade
die „Stunde des Erkennens“ oder „Das Bacchusfest“ sind, um
seinen Erfolg gebracht. So drehte sich denn wieder alles nur um
Bassermann, weshalb es beinahe einfacher gewesen wäre, ihn
ausschließlich in Monologen oder Solovorträgen zu beschäftigen.
Uebrigens muß man das Sakrileg begehen,, offen herauszusagen,
daß der berühmte Gast diesmal des Guten doch etwas zu viel bot.
Bassermann darf sich gewiß Manches erlauben, was ihm als
besonders seine Nuance, als superindividuelle Auffassung seiner
Rolle, als Vollendung seiner Kunst ausgelegt wird, während man
es bei einem anderen als unzulässige Uebertreibung, als Bruch
mit jeder schauspielerischen Tradition und Regel ablehnen würde.
Aber auch einem Bassermann sind Grenzen gezogen. Und des¬
halb vermag man die Temperamentausbrüche und Lautexzesse,
mit denen er die „große Szene“ würzte, nicht derart=zu werten.
wic es das anscheinend begeisterte Publikum tat, das dem
illustren Manne stürmische Ovationen bereitete und dessen im
Backfischalter stehender Teil ihn mit Flieder und Maiglöckchen
überschüttete. Trotzdem holt Bassermanns gewolltes Komödianten¬
tum aus diesen Komödien das Möglichste hervor, besinnt er sich
stellenweise, daß auch beim Genie in der Mäßigung die Macht
liegt, reißt er alle mit sich fort, macht mit ihnen, was ihm
beliebt, so daß schließlich Alt und Jung, die Kritischen und jene,
die gewohnt sind, kritiklos in verba magistri zu schwören, ihm
huldigen müssen. Neben Bassermann interessierte Frau Eise mit
ihrem natürlichen, diskreten Spiele, zeigte sich Herr Ziegler sehr
cifrig und gewandt, lenkte Grete Jakobsen in einer Episode
obermals die Aufmorksamkeit auf ihr nach Betätigung ringendes
kraftvolles Dalent.
Oesterr. Volks-Zeitung, Wien
(kleine Ausgabe)
10. 5. 1918
Volksbühne. Albert Bassermann scheint
## seinem jüngsten Gastspiel den höchsten Ehrgeiz
darein gesetzt zu haben, vor dem Publikum das ganze
Wunder seiner Wandlungsfähigkeit zu entfalten.
J#en Abend einen ganz Anderen, ja an einem und
demselben sogar mehrere Andere aus sich zu schaffen
und im Rampenlicht wirken zu lassen. Er selbst aber
scheint dabei im Hintergrund zu stehen und zu be¬
obachten, wie es diese seme Geschöpfe treiben und wie
sie den Menschen gefallen. Zu solcher Betrachtung über
das Wesen Bassermanns, der gegenwärtig wohl als
der erste Künstler der deutschen Bühne verehrt wird,
regen ganz besonders die Figuren des Arztes, des
Schauspielers und des Schriftstellers in Schnitz¬
lers bekannter Burgtheaterserie „Komödie der
Worte“ an, die uns der geschätzte Berliner Gast jüngst
vorführte. Selbstverständlich machte er aus diesem
geistreichen Plauderabend Schnitzlers eine vollendete
Theaterkomödie. Nur daß er keine Requisitenspässe
einlegte und etwa neue Aktschlüsse dichtete. Aber
allerlei gesungene und gesprochene Arien, Witze und
Scherze, von denen das Buch nichts weiß, hatte er
sich doch auf die Walze genagelt. Wie jubelte man da,
als er sie — in seiner Siegessicherheit ein bißchen
mitlachend — auf der Bühne behaglich abrollen ließ!
Besonders sein Schauspieler Herbot im Einakter
„Große Szene“, den er mit kecker Kraft kenn¬
zeichnete, brachte die Leute außer Rand und Band...
box 32/5
—
10. 5. 1918
Neue Freis Pracse. Wien
[Gastspiel Bassermann an der Volks¬
bühne. Albert Bassermann setzte sein Gastspiel in dem Ein¬
Worte“ von Artur
akterzyklus „Komödie
Schnitzlex fort. Einakter sind für die Kunst Bassermanns
bankdat. Wenn er an einem Abend gleich drei verschiedene
Rollen nebeneinander stellt, kommt seine erstaunliche Verwand¬
lungsfähigkeit am deutlichsten zum Ausdruck; insbesondere
wenn ihm der Dichter, wie hier Schnitzler, Gelegenheit bietet,
Momente der spannenden Handlung und Gedankliches zugleich
geben, was des
darzustellen, also dem Theater
Theaters ist und dabei ein geistiges Feuerwerk abzu¬
Erkennens“
brennen. In der „Stunde
spielte Bassermann den mittelmäßigen, herzenskalten Arzt,
der, von seiner Frau betrogen, zehn Jahre auf
Stunde der Abrechnung gewartet hat, ein Komödiant des Lebens,
der zehn Jahre die furchtbare Last des Schweigens auf sich
nahm, um sich nur den Effekt, die schauspielerische Wirkung
seiner Abrechnung zu sichern. Es ist nun wirklich eine rein
artistische Freude, zu beobachten, wie Bassermann Herzenskälte
und Mittelmäßigkeit schon in Gang und Haltung auszudrücken
versteht. Man begreift gar nicht, woher der schlanke Mann so
viel behäbige Stattlichkeit hernimmt, und wieso dieses beweg¬
lichste aller Gesichter unter den Strähnen eines angegrauten
Vollbartes wie unter lauter Eiszapfen zu erstarren vermag.
ist die Behaglichkeit, mit der sich Bassermanns Eck¬
einer Nache einrichtet. Er hat gleichsam lange voraus
Zimmerbestellt für diese Reise eines kalten Herzens, er
stolz darauf, daß nichts vergessen wurde, daß alles klappt. Er
feiert die Rache, wie er sonst vielleicht ein Jubiläum gefeiert hätte
oder die silberne Hochzeit. Fräulein Karoly als Gattin
behauptete sich mit Anstand im messerscharfen Dialog. Ein ganz
anderer war Bassermann in der „Großen Szene“ als
Schauspieler Konrad Herbot, der einem jungen Manne — sehr
sympathisch gespielt von Josef Schildkraut — die Braut
weggestohlen hat und sich so vortrefflich herauslügt, daß er am
Ende selbst nicht mehr weiß, was an seiner ganzen Erzählung
sich wirklich zugetragen hat und was von ihm erfunden wurde.
Er lügt mehr, als nötig ist, er lügt aus reiner Geberlaune,
er sieht sich selber zu und sagt Bravo. Diese Schauspielerei
machte Bassermann mit hinreißendem Temperament glaubhaft!
und bringt zugleich das seelisch Verwirrte, das dichterisch Wert¬
volle dieser großen Szene zu eindringlicher Wirkung. Am
meisten natürlich fühlte sich das Publikum von seiner verblüffen¬
den Lustigkeit gepackt, die übermütig nach allen Seiten hin
ausschlug, ein wenig zu viel manchmal, doch stets virtuos
jugendlich. In dem dritten Einakter, „Das Bacchusfest“
gab Bassermann den Schriftsteller Felix Staufner, der seine
junge Gattin — Frau Fournier spielte sie allzu resigniert
und passiv — gerade in dem Augenblick nach Hause zurückholt,
da sie ein flüchtig angesponnenes Erlebnis ernst zu nehmen
beginnt. Wieder bot sich Herrn Bassermann die Gelegenheit,
geistige und dialektische Ueberlegenheit so überzeugend walten zu
lassen, daß er die Lacher auf seine Seite bekam. Den unglück¬
lichen Dritten spielte Herr Ziegler mit angenehmem, sanftem
Humor. Der Beifall war stark, am lautesten natürlich nach der
„Großen Szene". Frau Else Bassermann, Künstler¬
gattin in dieser Komödie wie in der Wirklichkeit, ging freundlich
über die Szene, gleichsam als sorgliche Hausfrau, und hatte so
Z. 15
ihren Teil am Dank.
Wiere v 70 S. 1978
s. (Volksbühne.) Bei aller Anerlenung der schönen und
verdienstlichen Bestrebungen, die zum Unterschiede von den
eigentlich berufenen Kunstinstituten unserer Stadt die „Volks¬
bühne“ auszeichneu, sollte es doch vermieden werden, auf die
Dauer Stücke aufzuführen, die man in anderem Rahmen gesehen
hat und die daher, mit dem allzu mangelhaften Apparat inszeniert,
nichts als Unbehagen auslösen. Die „Komödie der Worte“
Schnitzlers, die man gab, um Bassermann triumphieren zu lassen,
wirkte, wenigstens anfangs, geradezu qualvoll. Das schleppende
Tempo, die äußerliche und darstellerische Fehlbesetzung, die jede
Illusion zerstörende primitive Ausstattung hätten auch ein
stärkeres und besser gelungenes Schnitzler-Werk, als es gerade
die „Stunde des Erkennens“ oder „Das Bacchusfest“ sind, um
seinen Erfolg gebracht. So drehte sich denn wieder alles nur um
Bassermann, weshalb es beinahe einfacher gewesen wäre, ihn
ausschließlich in Monologen oder Solovorträgen zu beschäftigen.
Uebrigens muß man das Sakrileg begehen,, offen herauszusagen,
daß der berühmte Gast diesmal des Guten doch etwas zu viel bot.
Bassermann darf sich gewiß Manches erlauben, was ihm als
besonders seine Nuance, als superindividuelle Auffassung seiner
Rolle, als Vollendung seiner Kunst ausgelegt wird, während man
es bei einem anderen als unzulässige Uebertreibung, als Bruch
mit jeder schauspielerischen Tradition und Regel ablehnen würde.
Aber auch einem Bassermann sind Grenzen gezogen. Und des¬
halb vermag man die Temperamentausbrüche und Lautexzesse,
mit denen er die „große Szene“ würzte, nicht derart=zu werten.
wic es das anscheinend begeisterte Publikum tat, das dem
illustren Manne stürmische Ovationen bereitete und dessen im
Backfischalter stehender Teil ihn mit Flieder und Maiglöckchen
überschüttete. Trotzdem holt Bassermanns gewolltes Komödianten¬
tum aus diesen Komödien das Möglichste hervor, besinnt er sich
stellenweise, daß auch beim Genie in der Mäßigung die Macht
liegt, reißt er alle mit sich fort, macht mit ihnen, was ihm
beliebt, so daß schließlich Alt und Jung, die Kritischen und jene,
die gewohnt sind, kritiklos in verba magistri zu schwören, ihm
huldigen müssen. Neben Bassermann interessierte Frau Eise mit
ihrem natürlichen, diskreten Spiele, zeigte sich Herr Ziegler sehr
cifrig und gewandt, lenkte Grete Jakobsen in einer Episode
obermals die Aufmorksamkeit auf ihr nach Betätigung ringendes
kraftvolles Dalent.
Oesterr. Volks-Zeitung, Wien
(kleine Ausgabe)
10. 5. 1918
Volksbühne. Albert Bassermann scheint
## seinem jüngsten Gastspiel den höchsten Ehrgeiz
darein gesetzt zu haben, vor dem Publikum das ganze
Wunder seiner Wandlungsfähigkeit zu entfalten.
J#en Abend einen ganz Anderen, ja an einem und
demselben sogar mehrere Andere aus sich zu schaffen
und im Rampenlicht wirken zu lassen. Er selbst aber
scheint dabei im Hintergrund zu stehen und zu be¬
obachten, wie es diese seme Geschöpfe treiben und wie
sie den Menschen gefallen. Zu solcher Betrachtung über
das Wesen Bassermanns, der gegenwärtig wohl als
der erste Künstler der deutschen Bühne verehrt wird,
regen ganz besonders die Figuren des Arztes, des
Schauspielers und des Schriftstellers in Schnitz¬
lers bekannter Burgtheaterserie „Komödie der
Worte“ an, die uns der geschätzte Berliner Gast jüngst
vorführte. Selbstverständlich machte er aus diesem
geistreichen Plauderabend Schnitzlers eine vollendete
Theaterkomödie. Nur daß er keine Requisitenspässe
einlegte und etwa neue Aktschlüsse dichtete. Aber
allerlei gesungene und gesprochene Arien, Witze und
Scherze, von denen das Buch nichts weiß, hatte er
sich doch auf die Walze genagelt. Wie jubelte man da,
als er sie — in seiner Siegessicherheit ein bißchen
mitlachend — auf der Bühne behaglich abrollen ließ!
Besonders sein Schauspieler Herbot im Einakter
„Große Szene“, den er mit kecker Kraft kenn¬
zeichnete, brachte die Leute außer Rand und Band...
box 32/5
—
10. 5. 1918
Neue Freis Pracse. Wien
[Gastspiel Bassermann an der Volks¬
bühne. Albert Bassermann setzte sein Gastspiel in dem Ein¬
Worte“ von Artur
akterzyklus „Komödie
Schnitzlex fort. Einakter sind für die Kunst Bassermanns
bankdat. Wenn er an einem Abend gleich drei verschiedene
Rollen nebeneinander stellt, kommt seine erstaunliche Verwand¬
lungsfähigkeit am deutlichsten zum Ausdruck; insbesondere
wenn ihm der Dichter, wie hier Schnitzler, Gelegenheit bietet,
Momente der spannenden Handlung und Gedankliches zugleich
geben, was des
darzustellen, also dem Theater
Theaters ist und dabei ein geistiges Feuerwerk abzu¬
Erkennens“
brennen. In der „Stunde
spielte Bassermann den mittelmäßigen, herzenskalten Arzt,
der, von seiner Frau betrogen, zehn Jahre auf
Stunde der Abrechnung gewartet hat, ein Komödiant des Lebens,
der zehn Jahre die furchtbare Last des Schweigens auf sich
nahm, um sich nur den Effekt, die schauspielerische Wirkung
seiner Abrechnung zu sichern. Es ist nun wirklich eine rein
artistische Freude, zu beobachten, wie Bassermann Herzenskälte
und Mittelmäßigkeit schon in Gang und Haltung auszudrücken
versteht. Man begreift gar nicht, woher der schlanke Mann so
viel behäbige Stattlichkeit hernimmt, und wieso dieses beweg¬
lichste aller Gesichter unter den Strähnen eines angegrauten
Vollbartes wie unter lauter Eiszapfen zu erstarren vermag.
ist die Behaglichkeit, mit der sich Bassermanns Eck¬
einer Nache einrichtet. Er hat gleichsam lange voraus
Zimmerbestellt für diese Reise eines kalten Herzens, er
stolz darauf, daß nichts vergessen wurde, daß alles klappt. Er
feiert die Rache, wie er sonst vielleicht ein Jubiläum gefeiert hätte
oder die silberne Hochzeit. Fräulein Karoly als Gattin
behauptete sich mit Anstand im messerscharfen Dialog. Ein ganz
anderer war Bassermann in der „Großen Szene“ als
Schauspieler Konrad Herbot, der einem jungen Manne — sehr
sympathisch gespielt von Josef Schildkraut — die Braut
weggestohlen hat und sich so vortrefflich herauslügt, daß er am
Ende selbst nicht mehr weiß, was an seiner ganzen Erzählung
sich wirklich zugetragen hat und was von ihm erfunden wurde.
Er lügt mehr, als nötig ist, er lügt aus reiner Geberlaune,
er sieht sich selber zu und sagt Bravo. Diese Schauspielerei
machte Bassermann mit hinreißendem Temperament glaubhaft!
und bringt zugleich das seelisch Verwirrte, das dichterisch Wert¬
volle dieser großen Szene zu eindringlicher Wirkung. Am
meisten natürlich fühlte sich das Publikum von seiner verblüffen¬
den Lustigkeit gepackt, die übermütig nach allen Seiten hin
ausschlug, ein wenig zu viel manchmal, doch stets virtuos
jugendlich. In dem dritten Einakter, „Das Bacchusfest“
gab Bassermann den Schriftsteller Felix Staufner, der seine
junge Gattin — Frau Fournier spielte sie allzu resigniert
und passiv — gerade in dem Augenblick nach Hause zurückholt,
da sie ein flüchtig angesponnenes Erlebnis ernst zu nehmen
beginnt. Wieder bot sich Herrn Bassermann die Gelegenheit,
geistige und dialektische Ueberlegenheit so überzeugend walten zu
lassen, daß er die Lacher auf seine Seite bekam. Den unglück¬
lichen Dritten spielte Herr Ziegler mit angenehmem, sanftem
Humor. Der Beifall war stark, am lautesten natürlich nach der
„Großen Szene". Frau Else Bassermann, Künstler¬
gattin in dieser Komödie wie in der Wirklichkeit, ging freundlich
über die Szene, gleichsam als sorgliche Hausfrau, und hatte so
Z. 15
ihren Teil am Dank.