26. 1. Kongedie der Norte—Zyklus
n Schnitzler und Tolsloi.
Moissi=Gastspiel im Deutschen Theater.
„Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug.“ Das ist das
Merkwort, das über dem Schnitzlerschen Einakter „Para¬
celsus“ schwebt. Hatte Bassermann einen Tag vorher im
Kammerspielhaus die Kraft seines beherrschten und entfesselten
Temperaments an drei Spielen des Dichters bewährt, die satirisch
in die Selbsttäuschungen der modernen Gesellschaft hinein¬
leuchten, so stellte Moissi gestern im Deutschen Theater seine
gelassene Ruhe, aus der Charaktergeheimnisse hervorblitzen, in
den Dienst dieses scharf= und tiefsinnigen Schnitzlerschen Ein¬
akters, des bewußt geistigen Spiels, das durch den Schein der
2
Täuschung die innere Wahrheit aus dem Menschen herausholt.
Schnitzlers „Paracelsus“ der Wunderarzt des sechzehnten Jahr¬
hunderts, erscheint als Hypnotiseur, der alle Feinheiten und Ge¬
heimwirkungen der Suggestion den Erfahrungen unserer Tage
vormegnimmt. Er weckt in den Philistern die Ahnung eines
#tiefen Zusammenhangs zwischen Traum und Wirklichkeit, bringt
eine sensitive Frau zum Geständnis ihrer geheimsten Sehnsucht
N
und den plumpen, wirklichkeitsstolzen Gatten zum Gesühl seiner
durch Träume bedrohten Sicherheit. Moissi hat in Erscheinung
und Ton die milde Sicherheit dieses Heilkünstlers, den genialischen
Ausdruck der Unnahbarkeit, den kein Hochmut des Banausentums
ansicht, man glaubt ihm den Kenner von Höhen und Tiefen, dem
sich das Vertrauen der Menschen in stillem Schauer erschließt.
Ob sich in die wohlgetroffene Art des überlegenen Selbstgefühls
nicht mitunter ein Zug eitler Selbstgefälligkeit einschleicht, ist
eine wohlaufzuwersende Frage, — die Rolle freilich legt dieses
geistige Narcissuobehagen, die Freude an der Bespiegelung des
eigenen Selbst außerordentlich nahe. ...
Höher steht mir das andere Charakterbild, das der Künstler in
O.
Tolstois echt nationalen russischen Volksszenen: „Er ist an
allem schuld“ in der zartesten Farbe anlegt und durchbildet.
Er gibt da einen verkommenen Burschen, der als hungernder
Bettler in ein Bauernhaus kommt und sich, da man ihm Brot
und Tee bietet, als feinfühliger Kavalier und Weiberfreund, dann
beim Branntwein als Sprecher und Sänger der von Rührselig¬
keit dursthauchten Lustigkeit, entfaltet und zuletzt unter
dem Einfluß des Alkohols („Er ist an allem schuld“) stibitzt und
als Dieb ergriffen wird. In der Schüchternheit, in der zagen
Demut, in der geschwätzigen Galanterie dieses halbgebildeten
Lumpen steckt eine eigenartige Liebenswürdigkeit der gebrochenen
und doch zur Harmonie hinstrebenden Natur, so daß man den
rohen, aber gutartigen Menschen, die ihn schließlich laufen lassen,
von Herzen zustimmt, und das Wort der Bäuerin: „Er ist ein
Mensch“ in allen Gemütern Widerhall findet. Die von Nichard
Gerner inszenierten Stücke waren im ganzen gut einstudiert, und
box 32/6
gpces senvensmasden
E. LGIIIN
enöiives erbrichts TeIrUNelAuIIENAMada¬
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Bearbeitet die deutsche und ausländische Presse auch auf Inserate.
Lietert Listen über geplante Bauten aller Art, Geschäftseröffnungen.
Festlichkeiten usw.
Neue preußische=Zeitung
(Kreuz=Zeitung, Morgenausgabe Berlin SW. 46
Ausschnitt aus der Nummer vom:
3 - MAl W24
Runstchronik.
Ein Bessermann=Abend in den Kammerspielen. Drei Ein¬
akter von Arthur Schnitzler gaben am Donnerstag abend
Albert Bassermann Gelegenheit, die Mannigfaltigkeit seines
großen Könnens leuchten zu lassen. „Die Stunde des Erkennens“
K.Große Szene" und „Ein Bacchusfest“ —in allen drei Stücken
handelt es sichum eine Eheirrung; zwelmal ist die Frau die
Sünderin, wirksamsten ist di „Gtoße Szene“; in ihr ist
der Masn der Schuldige, der Hofschausvieler Herbot, der den
Bräutigam der Verführten in einer großen Szene hinters Lich¬
führt und sich durch List, Lüge und Schauspielerei den Folgen
seiner Lumperei zu entziehen weiß. Abgesehen von der Tendenz!
hat Schnitzler in diesem Werkchen mehr als bloßes Feuilleton ge¬
geben. Herbot ist in der Tat eine vollsaftige Bühnengestalt, ein 1
Kerl, der alles beherrscht und stets Glück auf der Szene macht. —
Albert Bassermann der auch als Arzt im ersten und Schrift¬
steller im letzten Stück sehr fein war, bot als Herbot eine virtuose
Leistung. Das Feuer und die Beweglichkeit, mit denen er den
Herbot gab, waren einfach hinreißend und brachte ihm wohl ver¬
dienten Triumph. Neben Bassermann behauptete sich Else
Bassermann (Frau Sophie) und Sigmund „Nunberg
(Theaterdirektor), dessen komische Trockenheit äußerst wirksam war.
In den beiden anderen Stücken waren Julia Serba (Frau
Klara), Paul Bildt (Ormin), Anni Mewes (Frau Agnes)
und Werner Hollmann (Wernig) tüchtige Partner Basser¬
manns. — Der Beifall des ausverkauften Hauses war sehr stark
Fdes.“
n Schnitzler und Tolsloi.
Moissi=Gastspiel im Deutschen Theater.
„Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug.“ Das ist das
Merkwort, das über dem Schnitzlerschen Einakter „Para¬
celsus“ schwebt. Hatte Bassermann einen Tag vorher im
Kammerspielhaus die Kraft seines beherrschten und entfesselten
Temperaments an drei Spielen des Dichters bewährt, die satirisch
in die Selbsttäuschungen der modernen Gesellschaft hinein¬
leuchten, so stellte Moissi gestern im Deutschen Theater seine
gelassene Ruhe, aus der Charaktergeheimnisse hervorblitzen, in
den Dienst dieses scharf= und tiefsinnigen Schnitzlerschen Ein¬
akters, des bewußt geistigen Spiels, das durch den Schein der
2
Täuschung die innere Wahrheit aus dem Menschen herausholt.
Schnitzlers „Paracelsus“ der Wunderarzt des sechzehnten Jahr¬
hunderts, erscheint als Hypnotiseur, der alle Feinheiten und Ge¬
heimwirkungen der Suggestion den Erfahrungen unserer Tage
vormegnimmt. Er weckt in den Philistern die Ahnung eines
#tiefen Zusammenhangs zwischen Traum und Wirklichkeit, bringt
eine sensitive Frau zum Geständnis ihrer geheimsten Sehnsucht
N
und den plumpen, wirklichkeitsstolzen Gatten zum Gesühl seiner
durch Träume bedrohten Sicherheit. Moissi hat in Erscheinung
und Ton die milde Sicherheit dieses Heilkünstlers, den genialischen
Ausdruck der Unnahbarkeit, den kein Hochmut des Banausentums
ansicht, man glaubt ihm den Kenner von Höhen und Tiefen, dem
sich das Vertrauen der Menschen in stillem Schauer erschließt.
Ob sich in die wohlgetroffene Art des überlegenen Selbstgefühls
nicht mitunter ein Zug eitler Selbstgefälligkeit einschleicht, ist
eine wohlaufzuwersende Frage, — die Rolle freilich legt dieses
geistige Narcissuobehagen, die Freude an der Bespiegelung des
eigenen Selbst außerordentlich nahe. ...
Höher steht mir das andere Charakterbild, das der Künstler in
O.
Tolstois echt nationalen russischen Volksszenen: „Er ist an
allem schuld“ in der zartesten Farbe anlegt und durchbildet.
Er gibt da einen verkommenen Burschen, der als hungernder
Bettler in ein Bauernhaus kommt und sich, da man ihm Brot
und Tee bietet, als feinfühliger Kavalier und Weiberfreund, dann
beim Branntwein als Sprecher und Sänger der von Rührselig¬
keit dursthauchten Lustigkeit, entfaltet und zuletzt unter
dem Einfluß des Alkohols („Er ist an allem schuld“) stibitzt und
als Dieb ergriffen wird. In der Schüchternheit, in der zagen
Demut, in der geschwätzigen Galanterie dieses halbgebildeten
Lumpen steckt eine eigenartige Liebenswürdigkeit der gebrochenen
und doch zur Harmonie hinstrebenden Natur, so daß man den
rohen, aber gutartigen Menschen, die ihn schließlich laufen lassen,
von Herzen zustimmt, und das Wort der Bäuerin: „Er ist ein
Mensch“ in allen Gemütern Widerhall findet. Die von Nichard
Gerner inszenierten Stücke waren im ganzen gut einstudiert, und
box 32/6
gpces senvensmasden
E. LGIIIN
enöiives erbrichts TeIrUNelAuIIENAMada¬
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Bearbeitet die deutsche und ausländische Presse auch auf Inserate.
Lietert Listen über geplante Bauten aller Art, Geschäftseröffnungen.
Festlichkeiten usw.
Neue preußische=Zeitung
(Kreuz=Zeitung, Morgenausgabe Berlin SW. 46
Ausschnitt aus der Nummer vom:
3 - MAl W24
Runstchronik.
Ein Bessermann=Abend in den Kammerspielen. Drei Ein¬
akter von Arthur Schnitzler gaben am Donnerstag abend
Albert Bassermann Gelegenheit, die Mannigfaltigkeit seines
großen Könnens leuchten zu lassen. „Die Stunde des Erkennens“
K.Große Szene" und „Ein Bacchusfest“ —in allen drei Stücken
handelt es sichum eine Eheirrung; zwelmal ist die Frau die
Sünderin, wirksamsten ist di „Gtoße Szene“; in ihr ist
der Masn der Schuldige, der Hofschausvieler Herbot, der den
Bräutigam der Verführten in einer großen Szene hinters Lich¬
führt und sich durch List, Lüge und Schauspielerei den Folgen
seiner Lumperei zu entziehen weiß. Abgesehen von der Tendenz!
hat Schnitzler in diesem Werkchen mehr als bloßes Feuilleton ge¬
geben. Herbot ist in der Tat eine vollsaftige Bühnengestalt, ein 1
Kerl, der alles beherrscht und stets Glück auf der Szene macht. —
Albert Bassermann der auch als Arzt im ersten und Schrift¬
steller im letzten Stück sehr fein war, bot als Herbot eine virtuose
Leistung. Das Feuer und die Beweglichkeit, mit denen er den
Herbot gab, waren einfach hinreißend und brachte ihm wohl ver¬
dienten Triumph. Neben Bassermann behauptete sich Else
Bassermann (Frau Sophie) und Sigmund „Nunberg
(Theaterdirektor), dessen komische Trockenheit äußerst wirksam war.
In den beiden anderen Stücken waren Julia Serba (Frau
Klara), Paul Bildt (Ormin), Anni Mewes (Frau Agnes)
und Werner Hollmann (Wernig) tüchtige Partner Basser¬
manns. — Der Beifall des ausverkauften Hauses war sehr stark
Fdes.“