II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 397

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26.1. Kongedie deforte—Zyklus
mg.
Schnitzler, Korff und die
„Komödie der Worte“.
(Modernes Theater.)
* Artur Schnitzler ist der Dichter einer ver¬
gangenen Zeit. Aber was das Entscheidendere ist:
er ist auch der Dichter einer vergangenen Gesell¬
schaft. Wäre bloß die Zeit, der er lebte un
nun hinter ihm versank, seinem Werk Nährboden kehr aus Amerika, wo er es besser „.
gewesen, so trüge dieses heute die klassische Miene
Spiel ist das eines Virtuosen mit hohen künstle¬
aller großen Vergangenheitsdichtung zur Schau:
rischen Qualitäten. In der „Großen Szene“ trug
es wäre uns fern in den Bedingnissen seines
er ein wenig dick auf. Noch weniger und es wäre
Entstehens, doch immer gegenwärtig durch die
mehr gewesen. Es hat immer etwas Peinliches an
Ewiggültigkeit seiner Lebensäußerung. Aber er
sich, einen vortrefflichen Schauspieler einen großen
war — oh, es tut weh, dieses war hier zu sagen
Komödianten spielen zu sehen. In der Regel
— er war kein Menschheitsdichter, nicht im eng¬
outriert er dann in berechtigter Furcht, um uns
durch scheinbar schamlose Enthüllung des Atelier¬
sten Sinne; er war ein ästhetisch verfeinerter
Lokalpatriot; genial ausgespannt riß er seinen
geheimnisses es erst recht zu verbergen Aber da
Flug in die Höhe, aber es war bloß die eine
begibt es sich, daß mit dem Stil der Rolle auch
Raumdimension, die er durcheilte, und sein Tief¬
die Illusion verlorengeht, einen großen Schau¬
blick drang nicht in die Zeit, sondern haftete an
spieler vor sich zu haben. Und wir bemerken, was
der Ortlichkeit, von der er aufgestiegen war. Und
wir nie merken dürften, daß das Genie und der
wo der Mensch in seiner Qual verstummt, gab
Schmierant im selben Thespiskarren eng bei¬
einander sitzen.
ihm ein Gott, die entzückendste Konversation
darüber zu machen, woran der wienerische Mensch
Darum sollte vielleicht die „Stunde des Er¬
leidet. Doch obgleich er erkannte, daß auch dessen
kenens“ nicht zu Beginn, sondern am Ende stehen.
Weh und Ach aus einigen Gedankenstrichen zu
Im „Bacchnsfest“ erkennen wir mit Vergnügen
kurieren war, typisierte er nicht das Ach und Weh,
den Virtuosen Korff, in ihr aber den Künstler.
solchermaßen die Erlösung daraus zu versuchen,
Sein Dr. Eckold, Arzt, ist von der Maske bis
sondern schuf bloß Gesellschaftstypen, resigniert
zur kleinsten Geste Geschöpf aus einem Guß, doch
alles Kluge darüber zu sagen, was sich eben
Bruchstück von einem Charakter. Strindbergisch
darüber sagen ließ. Kein Sterbenswörtchen läuft
auf wienerische Art, Hasser mit Liebesreserven.
mit unter, das gesagt werden müßte, und nie¬
Und eigentlich deklaiert sich sein Haß als eine
mals das Wort, das gesagt werden muß.
Spezies von Wehmut und sein Kampf ums
Daran liegt's, an der mangelnden Notwendig¬
Dasein als eine Nörgelei. Er hat seinen Schnitzler
keit der Charaktere und darum des Geschehens.
im kleinen Finger der resigniert abwinkenden
Sie sind problematische Naturen, offenbar aus
Hand, dieser Korff=Eckold, und im leichten, lokalen!
ihrer, doch sichtbar bloß aus der Anlage des
Hauch, der seine Worte färbt. Ganz prächtig!
Dialogs heraus. Der blitzt und funkelt von
Alice Rhode, Grete Bukovics, Cäcilie
Esprit und von mehr als von dem. Aber er ist
Lvovsky spielten die Frauen um ihn. Alice
nicht wie der der Franzosen losgelöst von allen
Rhode hat ein wundervoll wohlklingendes Organ.
Zusammenhängen und bloß der Handlung zuge¬
Wenn sie spricht, ist's einem, als würden weiche
wandt. Er ist sozial bedingt. Aber es ist eine zelt¬
Hände samtenen Stoff streicheln. Sie ist kultiviert;
same soziale Bedingtheit; weil die Sozietät selt¬
und natürlich wie die kultivierteste Natur. Sie
sam war, die ihn bedang. Es waren die homines
vermeidet jedes Pathos. Und vergißt dann zu¬
austriaci. Nun sie ausgestorben sind in der Welt,
weilen, daß auch das Leben Pathos kennt und
leben sie in dieser Dichtung fort, bewegen sich
daß es sehr langweilig sein könnte, wenn es
in einem blühenden, aber abgeschiedenen Garten,
keines kennte. Grete Bukovics ist heiter und mun¬
stehen gleichsam hinter einer Mauer, die nicht
ter wie ein Frühlingssonnenstrahl, Cäcilie
weniger eine chinesische, obgleich sie eine barocke ist,
Lvovsky die beste der drei, wohltemperiert, wahr¬
und sind wie Marionetten, an deren kultur¬
haft in Blick und Stimme, innig selbst im Schritt,
historischem Spiel wir unsere Freude haben. Die
eine seltsame Mischung aus Kind, Mädchen und
innere Mechanik dieses Spiels kann nicht ver¬
holder Fraulichkeit.
stauben, weil ein Dichter sie schuf; aber sie ist ein
Es spielten noch die Herren Jensen und (.
Kuriosum geworden, weil das Außen versank, das
[Rhoden, jener eine ärztliche Kapazität und
ihn schaffen ließ.
einen Theaterdirektor, wie in allen auch in diesen
In dieser hier, längst erprobter Virtuosen= Sätteln gerecht, dieser vergnüglich in einer hei¬
pi#re der besten deutschen Bonvivants, spielte teren und mißvergnüglich in einer ernsten Szene. ###
Richard Götz.
Arnold Korft im erstenmal nach seiner Wieder¬
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