II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 402

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26. 1. Konbedie der Norte Zyklus
Dr. Max Goldschmidt
Bureau für Zeitungsausschnitte
BERLIN N. 4
Solche Kleinigkeiten können stören. Des Gastes Verwandlung!
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war nahezu vollkommen. Nur die verrostete Stimme und die
Ausschnitt aus:
Hast der Bewegungen blieben letzten Endes auch in der ruhigeren
Art des boshaften Arztes. Sehr schön, was Schnitzler dort über
Jamburge:
gute und gütige Menschen andeutet. Ueberhaupt spricht aus seiner
leicht hintupfenden Technik überlegene Schöpfergeste, die über das
10 Nov
Konstruierte der Bahnhofsszene einigermaßen beruhigt. Herta
Windschild malte hier ein beim ersten Seitensprung stolpern¬
10e.
des Weibchen ungemein glücklich. Paul Kemp ist ja wohl der
Hamburger Kammerspiele. Gastspiel Albert und Else Basser¬
günstigste Vertreter für einen nervös=zappeligen Liebhaber. Dem
mann. „Komödie der Worte“, drei Einalter von Arthur
Dichter lieh Bassermann mythisch=satanische Züge, freilich
Schnitzler. Spielleitung: Ernst Ludwig Franken.
waren es Bassermannsche Züge, doch was tut es. Wundervoll der
Schluß, wo Haß und Liebe sich in der Versöhnung vermählen.
Wer wollte daran zweifeln, daß Bassermann der größten
Welch gütiges Verstehen des Lebens!
einer unter den deutschen Schauspielern ist? Doch liegt das
Häuptgewicht eben im Schauspielerischen und nicht im packenden
Das erste Stück „Stunde des Erkennens“ wiegt in¬
I
Leben. Und doch fühlt man sich fortgerissen, vor allem im Mittel¬
haltlich wohl am schwersten. Allerdings ist die Voraussetzung, daß
stückedieser Ehebruchstrilogie, in der „Großen Szene“ da er den
der gehörnte Gatte sein Pech 10 Jahre lang mit sich herum trägt,
verlogenen Schauspieler mimt, den er gegenüber dem feinen
wiederum wenig einleuchtend, aber die Persönlichkeit der Frau
Schnitzler sicher maßlos übertreibt und mit einem schier uner¬
(durch Anni Reiter ergreifend verkörpert), die sich einem vom
schöpflichen Reichtum zeichnerischer Mittel umwuchert, von dem
Glück wenig begünstigten Mann als Mutter und Geliebte schenkt,
kindlichen Gemauze des verliebten Ehemannes über den Kleinmut
den schweigenden Gatten nach zehnjähriger Scheinehe tiefempört
des gestellten Verführers bis zum Triumphgeheul eines großen
ob dieser Beleidigung verläßt, tragt die Züge großer Menschen¬
Jungen. Es wirkt, und man könnte wirtlich zweifeln, ob nicht
kenntnis. Reuschle als verhinderter Liebhaber gab eine sym¬
doch die Urkräfte des Lebens am Werk waren. Das Theater im
pathische Menschendarstellung.
Theater erleichtert diesen schönen Optimismus. Doch um wie¬
Die Gäste wurden selbstverständlich durch gebührenden Bei¬
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viel glaubhafter erschien uns Roberts als Schauspieler von ähn¬
fall ausgezeichnet.
licher Wandelbarkeit bei verwandten Anlässen. Bassermann=tut
mehr, als gut ist, und wirkt nichtsdesteweniger einfach bezaubernd
Dr. Max Goldschmiet
wo er den sogenannten Naturalismus der Darstellung augen¬
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scheinlich verläßt und zum Virtuosen hingleitet, oder sich zum Stil¬
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künstlei erhebt. Das klingt mystisch unpräzise, und der Mystizis¬
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mus ist wahrlich die Tugend der Schwachen im Geiste. Kurzum,
Husschnitt aus:
der große Bassermann ist des öfteren untlar, wohl aber ein glän¬
zender Schauspieler. Er hat seinem Regisseur die Aufgabe, den
Hamburgischer Correspondent
geistreichen und etwas verschleierten Konversationston Schnitzlers
zu realisieren, gewiß nicht leicht gemacht. Das hiesige Ensemble
setzt dem einige Hindernisse entgegen. Doch hat man in deren
Ueberwindung recht rühmenswerte Fortschritte gemacht. Neben
10 Nov. 1921
der menschlich bewegten, vielleicht zu koketten und stimmschwachen
Gattin Else Bassermanns wäre hier auf den Theater¬
Hamburger Kammerspiele.
direktor Fritz Eßlers aufmerksam zu machen, der wahrhaft
Albert Bassermann ist zu einem kurzen Gastspiel in
liebenswert dem Leven entrissen war. Die zwar richtig dirigierte,
den Kammerspielen eingekehrt. Dieses Gastspiel ist nicht bloß
aber ins Possenhafte entartete Kunstnovize der Herta Wind¬
eine Sensation für die viel zu vielen, sondern auch eine Freude
schild trübte das Gesamtbild. Gründgens hielt sich in rich¬
für die, denen das Theater Kulturangelegenheit und Herzens¬
tiger Umgyenzung seiner Funktion. Es ist für das Niveau der
sache ist. Hier ist nicht nur ein großer Name, hier ist auch wirk¬
Bühnenleistung natürlich immer bedenklich, wenn ein berühmter
liche, große Kunst. Kunst, die sich nicht damit begnügt, vorhan¬
Mann darin seine Neigungen austobt.
dene Anlage — man kann im Fall Bassermann ruhig sagen:
Der Verfasser des „Bacchusfestes“ braucht ja nun nicht
vorhandenes Genie — nach des Trägers oder des Publikums Be¬
unbedingt in spinatgrüner Wolle zu erscheinen, auch hätte dem
lieben ungezügelt oder manierirt sich auswirken zu lassen. Die
Dr. Eckhold eine etwas glaubhaftere Barttracht wohl gefrommt.
vielmehr vorhandenen Gaben in strenge Zucht genommen und
zur höchstmöglichen Vollkommenheit ausgebildet hat. Was na¬
türlich nicht heißen soll daß die Theorie dem Temperament
Scheuklappen angelegt hätte. Wer Bassermanns Laufbahn ver¬
folgt hat, weiß, daß in ihr das kühne Experiment und der —
scheinbare — Irrweg eine große Rolle gespielt haben, aber nie
um ihrer selbst willen, sondern im Dienst des klaren stählernen
Willens, mit dem der Künstler darauf ausging, die Grenzen
seines Könnens zu erweitern, das Niveau seiner Besonderheit
immer höher zu legen.
Am ersten Abend zeigte er in den brei Einaktern, die Ax¬

thur Schnitzler unter dem Titel „Komödie der
Worte“ zusammengefaßt hat seine Gestaltungskraft in der
Dreifaltigkeit der höchst verschiedenen Helden dieser tragischen
Komödien. Der beinahe monomane Arzt, der die zehn Jahre
lang mit kühler Beherrschtheit vorbereitete Rache mit sadistischem
Behagen genießt; der große Komödiant, der ein großes Kind ist,
das sich keinen Wunsch versagt und dem das Leben selbst zur
notwendigen Komödie geworden ist; der nervöse Schriftsteller,
der über seinem Werk seine Frau vergißt und sie sich im letzten
Augenblick durch ein verzweifeltes Manöver zurückgewinnt —
diese drei erschütternden Porträts aus des melancholisch lächelnden
Schnitzler Bilderbuch moderner Menschen nahmen in Basser¬
manns Gestaltung blutheißes, fieberisches Leben an. Ein mo¬
derner Proteus, schlüpfte der Künstler aus einer Maske in die
andere, war nicht nur in Haartracht und Kostüm jedesmal ein
anderer, sondern vor allem im Gang, Haltung, Gebärde, Sprech¬
#art und Ton, übertrieb nie und profilierte immer scharf. Und
zeigte in jedem Zug Schauspielkunst in einer Vollendung die
heuter seltener denn je geschaut wird und deshalb um so höhere
Bewunderung verbient.
In der Großen Szene“ stand neben ihrem Gatten Frau
Else Bassermann schlicht und geschmackvoll, fein auf
seine Intentionen eingehend. Von den Mitgliedern der Kammer¬
spiele sind mit Auszeichnung zu nennen die Damen Wind¬
schild und Reiter, die Herren Reuschle Gründgens,
Eßler und Kemp Das Haus war ausverkauft, der Beifall
C. M. R.
vollte kein Ende finden.
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