II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 449

„Komödie der Worte“ in neuer Inszenierung.
Von
Rudolph Lothar.
„Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken
zu verbergen“, hat Talleyrand gesagt. Der Gedanke ist nicht neu.
Voltaire sagt ähnliches und schon Plutarch nennt die Worte die
Schleier der Gedanken. Bei Schnitzler sind die Worte die Masken
der Gedanken. Die Worte täuschen, die Worte lügen, die Worte
spielen Komödie. Das Problem der Wahrheit, oder besser gesagt,
der Wahrheitsergründung, hat Schnitzler immer beschäftigt. Um die
Pilatus=Frage: Was ist Wahrheit? kreist sein dichterisches Denken
und er kommt dabei zu dem schwermütigen, resignierten Schluß:
„Es fließen ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge.
Sicherheit ist nirgends. Wir wissen nichts von anderen, nichts von
uns; wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“ („Paracelsus“),
Das Leben ist ein ewiges Komödienspiel, dessen Handwerkzeug eben
die Worte sind. Es gibt keine Welterkenntnis und keine Menschen¬
erkenntnis durch die Sprache, haben die Philosophen gelehrt.
Und Fritz Mauthner hat ein dreibändiges Werk über diesen Satz
geschrieben.
Die drei Einakter, die Schnitzler unter dem Titel „Komödie
der Worte“ zusammengefaßt hat, sind drei Maskenspiele aus
dem Alltag. Am klarsten kommt die Grundtendenz in dem wirkungs¬
vollsten und besten der drei Stücke, in der „Großen Szene“, zutage,
wo der Schauspieler Konrad Herbot, dem Josef Kainz Modell
gesessen ist, sich an seinen eigenen Worten so berauscht, daß er am
Schluß selbst glaubt, er habe die reine Wahrheit gesprochen; und
es war doch nur Lüge und Komödianterei, ein Feuerwerk der Rede,
um den Bräutigam einer flüchtigen Geliebten, der die Wahrheit
von ihm fordert, zu bluffen. Was ihm denn auch glänzend gelingt.
Freilich verliert er dank seiner Bravourleistung fast die Liebe seiner
Frau, die juft wegen dieser Liebelei ihm davonlief und nun eben
wieder nach Hause gekommen ist. Er ist aber ein so großer
Schauspieler, daß er auch seine Frau fasziniert. Sie wird ihm in
Zukunft wohl stets manches zu verzeihen haben und doch immer
zu ihm zurückkehren, denn die menschlichen Beziehungen sind
wichtiger als die kleinen erotischen Bindungen, die von den Menschen
viel zu schwer genommen werden. Das ist der zweite Grundgedanke
der drei Einakter.
Fast auf den Tag vor zwanzig Jahren (am 12. Ouober
1915) ist die „Komödie der Worte“, am Burgtheater zum
erstenmal gegeben worden. Mit Harry Walden in der dreifachen
Hauptrolle, die sich jetzt in den Händen von Ewald Balser
befindet. Balser gibt den merkwürdigen Dr. Eckold im ersten
Stück („Stunde des Erkennens“) als sehr interessante Charakter¬
studie. Dieser raffinierte „Rächer seiner Ehre“ ist ein Mensch
voll Neid und Mißgunst, aber seine Bösartigkeit wird durch ein
oderndes Temperament erklärt. Temperament ist für Balser die
Grundlage aller drei Gestalten. Sein berühmter Mime im
zweiten Stück ist ein Vulkan des Temperaments. Balser springt
keck mit vehementer komödiantischer Lust in die Uebertreibung,
aber so parodistisch und karikiert er sich auch gibt, diese Figur
hat Schmiß und hinreißende Macht über die Zuschauer. Im
dritten Stück (dem „Bacchusfest") verbirgt Balser sein
Temperament hinter Ruhe und Ueberlegenheit, aber gerade
dieses gebändigte Temperament ist es, das uns den Schriftsteller
Felix Staufner menschlich nahebringt. Gewiß hat Balser die
drei Rollen anders gespielt als Walden und Bassermann, der
sie in Berlin kreierte, aber er brachte die drei Gestalten zu
sehr starker Wirkung. Im ersten Stück war Auguste Pünkösdy
seine Partnerin. Sie zeichnete außerordentlich fein und mit
sublilster Kunst eine jener schnitzlerschen Frauengestalten, deren
wahres und eigentliches Leben unter der Bewußtseinsschwelle
liegt, und bot eine ergreifende Leistung. Den Professor Ornim
gab Franz Höbling, elegant, vornehm und sympathisch.
In der „Großen Szene“ war Maria Mayen als
Frau des großen Mimen nett und zierlich in ihrer Bürgerlich¬
keit, die aber schließlich von der Persönlichkeitsmacht des Gatten
besiegt wird. Eine sehr lustige und witzige Figur schuf Schmidt
als Theaterdirektor. Philipp Zeska zeichnete den eifersüchtigen
Bräutigam, dessen Verdacht schließlich vor der Suada Konrad
Herbots kapituliert, mit diskreter Komik. Edeltraut Arnoscht
war ein freches, theatertolles Mädel. Im letzten Stück, „Bacchus¬
fest“ spielte Hilde Wagener die Gattin des Schriftstellers
Staufner, die beinahe mit ihrem Verehrer durchgeht, bis ihr
Mann sie wieder auf den rechten Weg zurückführt. Sie war bis
in die Fingerspitzen scharmant, eine Virtuosin in Untertönen, die
es verstand, einen ganzen Roman zwischen den wenigen Worten
sihrer Rolle durchschimmern zu lassen. Ulrich Bettac war sehr
ergötzlich als der um seine Beute betrogene Galan. Eine aus¬
gezeichnete Charge bot Eybner als Portier. Alle drei Stücke
fanden großen Beifall. Am stärksten schlug wie immer die „Große
Szene“ ein. Die Schauspieler wurden sehr oft gerufen.
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vom
Theater und Kunst
(Komödie der Worte.
Akademietheater.
Man kann heute den Dichter Artur,
Schnitzler mit größerer Objektivität
würdigen, als dies vor Jahren der Fall war.
In der Vorkriegszeit der Modernsten einer,
und darum heiß umstritten, heute ein ab¬
geschiedener Geist, und doch mehr als dies,
da seine Stimme noch immer laut genug in
unsre Gegenwart dringt. Diese Fülle der
Figuren, die Freude am Glitzern des Wortes,
an psychologischer Vertiefung, und nicht
zuletzt die theatralischen Einfälle, immer neu
und immer amüsant — wer kann das heute
noch in gleicher Weise der Bühne schenken?
Vielleicht gehörte dazu die durch äußere Ver¬
hältnisse ungekürzte Daseinsfreude, die aller¬
dings den tiefen Respekt vor den großen
Problemen des Lebens nicht ausschließt, aber
immerhin von Alltagssorgen frei sich dem
Genuß des Augenblickes hingibt.
Jedenfalls vermag auch heute noch die
Schnitzlersche „Komödie der Worte“ mehr als
bloße Worte zu geben. Vor allem der Ein¬
akter „Die große Szene“ buntestes
Theater, ewiges Theater. Der Komödiant,
Herr der Bühne und der Frauen, von seiner
eigenen Leistung so berauscht, daß er Schein
und Wirklichkeit miteinander vermengt und
das Wahre nicht vom Falschen zu unter¬
scheiden vermag. Und neben ihm die stille
kluge Gattin, die ihn durchschaut und doch
nicht loskommen kann und will, weil sie ihm
als Ergänzung seines Wesens nötig ist. Und
dann die tiefe „Stunde des Er¬
kennens“ Ein wenig von Ibsenschem
Geist berührt, da sich eine zehn Jahre alte
Lebenslüge mit einem Male offenbart und
nach endgültiger Lösung verlangt. Etwas zu
problematisch für unsern heutigen Geschmack,
wohl auch zu redselig, und anderseits nicht
schwerwiegend genug, um in ihrer ganzen
(Tragik empfunden zu werden. Die brausende
Gegenwart hat andre Sorgen als die Analyse
der Vergangenheit; und doch bleibt die kleine
Komödie irgendwie seelisch interessant, mit
einem Blick auf die weite Landschaft des
Gefühles.
Sehr flott und noch immer lebendiges
Theater das „Bacchusfest“, jene drollige
Szene in einem Eisenbahnrestaurant, wo
zwischen kommenden und abfahrenden Zügen
die Entscheidung über ein Frauenschicksal
fällt. Von solch ingrimmigen Blitzlichtern der
Satire erhellt, daß der dunkle Hintergrund
kaum mehr sichtbar wird.
Auch kulturhistorisch sagen uns diese
Schnitzlerschen Einakter ungemein viel, und
wenn in der Bahnhofshalle ein Bild Kaiser
Franz Josefs hängt, so ist dies symptomatisch
für eine Zeit, die, wenn auch versunken, uns
doch reich beschenkt hat.
Die Schauspieler bejahten jedenfalls das
Werk Artur Schnitzlers. Vor allem Balser,
dessen Palette ungemein vielfarbig ist. In der
„Stunde des Erkennens“ der kleine mi߬
günstige Nörgler, in der „Großen Szene“ der
Komödiant in seiner ganzen schillernden
Dialektik, und im „Bacchusfest“ der kluge,
zielbewußte Mensch. Jede Rolle in ihrer Art
eine Meisterleistung. Prachtvoll auch Auguste 1
Pünkösdy in ihrer eindringlichen und