„Komödie der Worte.
Akademietheater.
Mar, kann heute den Dichter Artur
Schnitzler mit größerer Objektivität
würdigen, als dies vor Jahren der Fall war.
In der Vorkriegszeit der Modernsten einer,
und darum heiß umstritten, heute ein ab¬
geschiedener Geist, und doch mehr als dies,
da seine Stimme noch immer laut genug in
unsre Gegenwart dringt. Diese Fülle der
Figuren, die Freude am Glitzern des Wortes,
an psychologischer Vertiefung, und nicht
zuletzt die theatralischen Einfälle, immer neu
und immer amüsant — wer kann das heute
noch in gleicher Weise der Bühne schenken?
Vielleicht gehörte dazu die durch äußere Ver¬
hältnisse ungekürzte Daseinsfreude, die aller¬
dings den tiefen Respekt vor den großen
Problemen des Lebens nicht ausschließt, aber
immerhin von Alltagssorgen frei sich dem
Genuß des Augenblickes hingibt.
Jedenfalls vermag auch heute noch die
Schnitzlersche „Komödie der Worte“ mehr als
bloße Worte zu geben. Vor allem der Ein¬
akter „Die große Szene“ buntestes
Theater, ewiges Theater. Der Komödiant,
Herr der Bühne und der Frauen, von seiner
eigenen Leistung so berauscht, daß er Schein
und Wirklichkeit miteinander vermengt und
das Wahre nicht vom Falschen zu unter¬
scheiden vermag. Und neben ihm die stille
kluge Gattin, die ihn durchschaut und doch
nicht loskommen kann und will, weil sie ihm
als Ergänzung seines Wesens nötig ist. Und
dann die tiefe „Stunde des Er¬
kennens“ Ein wenig von Ibsenschem
Geist berührt, da sich eine zehn Jahre alte
Lebenslüge mit einem Male offenbart und
nach endgültiger Lösung verlangt. Etwas zu
problematisch für unsern heutigen Geschmack,
wohl auch zu redselig, und anderseits nicht
schwerwiegend genug, um in ihrer ganzen
Tragik empfunden zu werden. Die brausende
Gegenwart hat andre Sorgen als die Analyse
der Vergangenheit; und doch bleibt die kleine
Komödie irgendwie seelisch interessant, mit
einem Blick auf die weite Landschaft des
Gefühles.
Sehr flott und noch immer lebendiges
Theater das „Bacchusfest“ jene drollige
Szene in einem Eisenbahnrestaurant, wo
zwischen kommenden und abfahrenden Zügen
die Entscheidung über ein Frauenschicksal
fällt. Von solch ingrimmigen Blitzlichtern der
Satire erhellt, daß der dunkle Hintergrund
kaum mehr sichtbar wird.
Auch kulturhistorisch sagen uns diese
Schnitzlerschen Einakter ungemein viel, und
wenn in der Bahnhofshalle ein Bild Kaiser
Franz Josefs hängt, so ist dies symptomatisch
für eine Zeit, die, wenn auch versunken, uns
doch reich beschenkt hat.
Die Schauspieler bejahten jedenfalls das
Werk Artur Schnitzlers. Vor allem Balser,
dessen Palette ungemein vielfarbig ist. In der
„Stunde des Erkennens“ der kleine mi߬
günstige Nörgler, in der „Großen Szene“ der
schillernden
Komödiant in seiner ganzen
Dialektik, und im „Bacchusfest“ der kluge,
zielbewußte Mensch. Jede Rolle in ihrer Art
eine Meisterleistung. Prachtvoll auch Auguste
Pünkösdy in ihrer eindringlichen und
einfachen Linienführung. Markant Franz
Höbling als Professor Ornim, von vor¬
nehmster weiblicher Anmut und Ueberlegen¬
heit Maria Mayen (Sophie), ganz aus¬
gezeichnet Wilhelm Schmidt (Theater¬
direktor Falk), köstlich Edeltraut Arnoscht
als theaterbesessenes Vorkriegsmädel. Von
entzückender Anmut Hilde Wagener, sehr
lustig pointiert Ullrich Bettac in der Rolle
des Dr. Wernig. Die Regie Franz
Herterichs, der man vielleicht nur ein
ge¬
gewisses Tempo für den ersten Einakter
wünscht hätte, farbig und stilecht. Ebenso die
Bühnenbilder Willi Bahners. Im ganzen
ein schöner und zugleich fesselnder Theater¬
L r.
abend.
Ausschnitt aus:
ner e
vom:
13.0
Schnitzler=Abend im Akademie¬
theater.
Zum erstenmal: „Komödie der Worte.“
Die Menschen reden aneinander vorbei. Selbst jene,
die sich nahestehen, vielleicht sogar sie am allermeisten.
Worte sind Komödianten, die oft schlecht ausdrücken,
was sie zu sagen haben, weil sie zu laut oder zu schwer,
zu pathetisch oder zu schüchtern sind. Namentlich in der
Beziehung der Geschlechter richten sie oft heillosen
Schaden an, wenn sie das zu erfassen versuchen, was
man „Untreue“ nennt. Das klingt so gewichtig, so un¬
umstößlich. Vermag eine Verirrung des Blutes wirklich
alles zu vernichten, was wertvoll und bedeutsam ist in
der Gemeinsamkeit von Mann und Frau? Gibt es in
ihrer Liebe nichts, was sich darüber erhebt, was reiner
ist, größer und von währendem Bestand? Schnitzler
hat die Untreue nie verteidigt, gewiß nicht! Scharfe
Stellungnahme ist überhaupt nicht seine Sache gewesen.
Ibsen ist für seine Forderungen stets in irgendeiner
Szene seiner Werke vernehmlich laut geworden.
Schnitzler hat auch in der Kunst Angst vor der Komödie
der Worte gehabt. Er hat jeden Begriffspopanz ge¬
scheut. Nur Fragen hat er gestellt, und der betrogene
Teil hat bei ihm immer einen leisen Schimmer von
Unrecht oder zumindest von Unduldsamkeit, auch in
diesen drei Einaktern, die er „Komödie der Worte“
nennt.
Im ersten Stück, „Die Stunde des Er¬
kennens“, bleibt der hintergangene Gatte als
Schuldiger zurück. Die Frau geht aus dem Leben, weil
trotz allem liebt, zwanzig Jahre geteilten Schicksals,
hingebungsvoller Kameradschaft ausgelöscht hat, die
doch auch Treue, Treue tieferer und ernsterer Art, ge¬
Im zweiten Dramolett „Die große
wesen ist.
Szene“, wirkt die Frau des berühmten Schauspielers
ein bißchen spießerisch, weil sie die an sich belanglosen
Seitensprünge des Gatten, sein Schauspielern auch in
amourösen Dingen nicht begreift. Sie fühlt nicht, daß
ses vor allem seine Eitelkeit ist, die ihn von einer
Liebelei in die andre treibt, daß er auch bei den Frauen
Erfolg und Publikum sucht.
Im dritten Spiel
„Das Bacchusfest“ sind beide, er und sie, untreu
gewesen. Ort der Handlung: Bahnhof, Durchzugs¬
station — das scheint symbolisch. Und beide fühlen, daß
sie trotz dieser Entgleisung unlösbar zusammengehören.
Kein großes Wort fällt. Schnitzlers unerhörte Leichtig¬
keit des Dialogs jongliert über alles, was sich zum
„Problem“ verdichten könnte, meisterhaft hinweg.
Man spürt: wichtig ist nur die Verbundenheit dieser
Ehe. Wozu erst das Komödiantentum der Worte? Sie
würden nur Unwiderrufliches und Mißverstehen
schaffen. „Glücklich machen ist besser als schuldlos sein.“
analytiker gewesen und hat trotz aller Behutsamkeit
mit seinem seelischen Seziermesser manchen Schaden
angerichtet. Man hebt nicht ungestraft die Schleier,
auch nicht den der „Beatrice“.
Balser hatte einen ausgezeichneten Abend als be¬
trogener und betrügender Ehemann. Namentlich „die
große Szene", ein fetter Komödiantenbissen, hat
stürmisch eingeschlagen. Im ersten Stück war er ein
wenig zu laut, im letzten aber überlegen in der Führung
„
der Szene. Er ist von eminenter Wandlungsfayigkeit.
Vor etwa zwanzig Jahren hat Harry Walden im Burg¬
theater, vor neun Jahren Korff im Volkstheater dieses
Ehetriptychon meisterhaft dargestellt. Auguste Pün¬
kösdy ist von innerlich gestaltender Kraft, wenn sie
auch in der Erscheinung nicht ganz die richtige
Schnitzlerische Frau ist. Und sie ist eine wunderbare
Sprecherin. Maria Mayen unaufdringlich nobel, die
Wagener geistig behende im Dialog. Höbling
verlangt andre Aufgaben, vor allem Handlung. Das
S
Akademietheater.
Mar, kann heute den Dichter Artur
Schnitzler mit größerer Objektivität
würdigen, als dies vor Jahren der Fall war.
In der Vorkriegszeit der Modernsten einer,
und darum heiß umstritten, heute ein ab¬
geschiedener Geist, und doch mehr als dies,
da seine Stimme noch immer laut genug in
unsre Gegenwart dringt. Diese Fülle der
Figuren, die Freude am Glitzern des Wortes,
an psychologischer Vertiefung, und nicht
zuletzt die theatralischen Einfälle, immer neu
und immer amüsant — wer kann das heute
noch in gleicher Weise der Bühne schenken?
Vielleicht gehörte dazu die durch äußere Ver¬
hältnisse ungekürzte Daseinsfreude, die aller¬
dings den tiefen Respekt vor den großen
Problemen des Lebens nicht ausschließt, aber
immerhin von Alltagssorgen frei sich dem
Genuß des Augenblickes hingibt.
Jedenfalls vermag auch heute noch die
Schnitzlersche „Komödie der Worte“ mehr als
bloße Worte zu geben. Vor allem der Ein¬
akter „Die große Szene“ buntestes
Theater, ewiges Theater. Der Komödiant,
Herr der Bühne und der Frauen, von seiner
eigenen Leistung so berauscht, daß er Schein
und Wirklichkeit miteinander vermengt und
das Wahre nicht vom Falschen zu unter¬
scheiden vermag. Und neben ihm die stille
kluge Gattin, die ihn durchschaut und doch
nicht loskommen kann und will, weil sie ihm
als Ergänzung seines Wesens nötig ist. Und
dann die tiefe „Stunde des Er¬
kennens“ Ein wenig von Ibsenschem
Geist berührt, da sich eine zehn Jahre alte
Lebenslüge mit einem Male offenbart und
nach endgültiger Lösung verlangt. Etwas zu
problematisch für unsern heutigen Geschmack,
wohl auch zu redselig, und anderseits nicht
schwerwiegend genug, um in ihrer ganzen
Tragik empfunden zu werden. Die brausende
Gegenwart hat andre Sorgen als die Analyse
der Vergangenheit; und doch bleibt die kleine
Komödie irgendwie seelisch interessant, mit
einem Blick auf die weite Landschaft des
Gefühles.
Sehr flott und noch immer lebendiges
Theater das „Bacchusfest“ jene drollige
Szene in einem Eisenbahnrestaurant, wo
zwischen kommenden und abfahrenden Zügen
die Entscheidung über ein Frauenschicksal
fällt. Von solch ingrimmigen Blitzlichtern der
Satire erhellt, daß der dunkle Hintergrund
kaum mehr sichtbar wird.
Auch kulturhistorisch sagen uns diese
Schnitzlerschen Einakter ungemein viel, und
wenn in der Bahnhofshalle ein Bild Kaiser
Franz Josefs hängt, so ist dies symptomatisch
für eine Zeit, die, wenn auch versunken, uns
doch reich beschenkt hat.
Die Schauspieler bejahten jedenfalls das
Werk Artur Schnitzlers. Vor allem Balser,
dessen Palette ungemein vielfarbig ist. In der
„Stunde des Erkennens“ der kleine mi߬
günstige Nörgler, in der „Großen Szene“ der
schillernden
Komödiant in seiner ganzen
Dialektik, und im „Bacchusfest“ der kluge,
zielbewußte Mensch. Jede Rolle in ihrer Art
eine Meisterleistung. Prachtvoll auch Auguste
Pünkösdy in ihrer eindringlichen und
einfachen Linienführung. Markant Franz
Höbling als Professor Ornim, von vor¬
nehmster weiblicher Anmut und Ueberlegen¬
heit Maria Mayen (Sophie), ganz aus¬
gezeichnet Wilhelm Schmidt (Theater¬
direktor Falk), köstlich Edeltraut Arnoscht
als theaterbesessenes Vorkriegsmädel. Von
entzückender Anmut Hilde Wagener, sehr
lustig pointiert Ullrich Bettac in der Rolle
des Dr. Wernig. Die Regie Franz
Herterichs, der man vielleicht nur ein
ge¬
gewisses Tempo für den ersten Einakter
wünscht hätte, farbig und stilecht. Ebenso die
Bühnenbilder Willi Bahners. Im ganzen
ein schöner und zugleich fesselnder Theater¬
L r.
abend.
Ausschnitt aus:
ner e
vom:
13.0
Schnitzler=Abend im Akademie¬
theater.
Zum erstenmal: „Komödie der Worte.“
Die Menschen reden aneinander vorbei. Selbst jene,
die sich nahestehen, vielleicht sogar sie am allermeisten.
Worte sind Komödianten, die oft schlecht ausdrücken,
was sie zu sagen haben, weil sie zu laut oder zu schwer,
zu pathetisch oder zu schüchtern sind. Namentlich in der
Beziehung der Geschlechter richten sie oft heillosen
Schaden an, wenn sie das zu erfassen versuchen, was
man „Untreue“ nennt. Das klingt so gewichtig, so un¬
umstößlich. Vermag eine Verirrung des Blutes wirklich
alles zu vernichten, was wertvoll und bedeutsam ist in
der Gemeinsamkeit von Mann und Frau? Gibt es in
ihrer Liebe nichts, was sich darüber erhebt, was reiner
ist, größer und von währendem Bestand? Schnitzler
hat die Untreue nie verteidigt, gewiß nicht! Scharfe
Stellungnahme ist überhaupt nicht seine Sache gewesen.
Ibsen ist für seine Forderungen stets in irgendeiner
Szene seiner Werke vernehmlich laut geworden.
Schnitzler hat auch in der Kunst Angst vor der Komödie
der Worte gehabt. Er hat jeden Begriffspopanz ge¬
scheut. Nur Fragen hat er gestellt, und der betrogene
Teil hat bei ihm immer einen leisen Schimmer von
Unrecht oder zumindest von Unduldsamkeit, auch in
diesen drei Einaktern, die er „Komödie der Worte“
nennt.
Im ersten Stück, „Die Stunde des Er¬
kennens“, bleibt der hintergangene Gatte als
Schuldiger zurück. Die Frau geht aus dem Leben, weil
trotz allem liebt, zwanzig Jahre geteilten Schicksals,
hingebungsvoller Kameradschaft ausgelöscht hat, die
doch auch Treue, Treue tieferer und ernsterer Art, ge¬
Im zweiten Dramolett „Die große
wesen ist.
Szene“, wirkt die Frau des berühmten Schauspielers
ein bißchen spießerisch, weil sie die an sich belanglosen
Seitensprünge des Gatten, sein Schauspielern auch in
amourösen Dingen nicht begreift. Sie fühlt nicht, daß
ses vor allem seine Eitelkeit ist, die ihn von einer
Liebelei in die andre treibt, daß er auch bei den Frauen
Erfolg und Publikum sucht.
Im dritten Spiel
„Das Bacchusfest“ sind beide, er und sie, untreu
gewesen. Ort der Handlung: Bahnhof, Durchzugs¬
station — das scheint symbolisch. Und beide fühlen, daß
sie trotz dieser Entgleisung unlösbar zusammengehören.
Kein großes Wort fällt. Schnitzlers unerhörte Leichtig¬
keit des Dialogs jongliert über alles, was sich zum
„Problem“ verdichten könnte, meisterhaft hinweg.
Man spürt: wichtig ist nur die Verbundenheit dieser
Ehe. Wozu erst das Komödiantentum der Worte? Sie
würden nur Unwiderrufliches und Mißverstehen
schaffen. „Glücklich machen ist besser als schuldlos sein.“
analytiker gewesen und hat trotz aller Behutsamkeit
mit seinem seelischen Seziermesser manchen Schaden
angerichtet. Man hebt nicht ungestraft die Schleier,
auch nicht den der „Beatrice“.
Balser hatte einen ausgezeichneten Abend als be¬
trogener und betrügender Ehemann. Namentlich „die
große Szene", ein fetter Komödiantenbissen, hat
stürmisch eingeschlagen. Im ersten Stück war er ein
wenig zu laut, im letzten aber überlegen in der Führung
„
der Szene. Er ist von eminenter Wandlungsfayigkeit.
Vor etwa zwanzig Jahren hat Harry Walden im Burg¬
theater, vor neun Jahren Korff im Volkstheater dieses
Ehetriptychon meisterhaft dargestellt. Auguste Pün¬
kösdy ist von innerlich gestaltender Kraft, wenn sie
auch in der Erscheinung nicht ganz die richtige
Schnitzlerische Frau ist. Und sie ist eine wunderbare
Sprecherin. Maria Mayen unaufdringlich nobel, die
Wagener geistig behende im Dialog. Höbling
verlangt andre Aufgaben, vor allem Handlung. Das
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