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26 1. Konoedieder Norte—Zukius
Allgemeine Rundschau.
Seite 800.
Nr. 44. 30. Oktober 1915.
ausgegrabenen Spielpläne von 1870 auch nicht die Hamletsche For¬
So hab' ich deine Pfunde
derung, „eine abgekürzte Chronik und ein Spiegel unseres Zeitalters“
In Frevelmut vergendet
zu sein, erfüllt hatten.
Und für der Armut Wunde
Gewiß, nicht alle Bühnen erschöpften sich in Banalitäten, in einer
War mir ein Heller gut.
Aufwärmung Kotzebnes, des „deutschen Dichters“ der dem Zarismus
Das wird an mir noch zehren,
und dem deutschen Spießbürger zu dienen verstanden, man brachte auch
Wenn Leib und Seele scheidet,
Novitäten, Verzeihung, Neuheiten muß man jetzt sagen. Ach, forderte man
Wird kämpfen, mir zu wehren
so strenge wie das deutsche Wort auch den deutschen Geist! Unsere
Den letzten Todesmut.
Leser wissen, daß hierin eine genaue Beobachtung der deutschen Spiel¬
Der „Tag von allen Tagen“ geht an Annettens Seele „furchtbar
pläne zu herber Kritik herausfordern mußte. Jedoch hat sich diese For¬
vorüber“ Das Rätsel der Auferstehung plagt sie und rüttelt an ihr,
derung einer sittlichen Besserung der Schaubühne durchaus
sie versteht nicht:
nicht auf die eine oder andere politische Partei beschränkt. Nur in München
Wie ein Leib, der längst entfaltet
haben sich Leute gefunden, die in der Krikik über amoralische Stücke, die
kamen, kommen sollen oder kommen sollten, einen Bruch des politischen
In erneuter Lebenskraft
Burgfriedens zu erblicken glauben („Münch.=Augsb. Abendztg.“ Nr. 290).
In dem zweiten Leib gestaltet.
Es erübrigt sich, hierüber in eine Polemik einzutreten. Ganz sonderbar
Wie er wieder mag erscheinen,
ist der gute Rat, Stücken, die uns nicht passen, fern zu bleiben. Mit
Von dem andern unverwehrt,
dieser Logik könnte man die Wahrnehmung aller öffentlichen Interessen
Der ihn trug in den Gebeinen
ablehnen. Die Notwendigkeit einer sittlichen Reinigung
Und vom dritten längst verzehrt?
der Bühne hat in allen Lagern Anhang. Die Lungenkraft
und ordnet sich doch in Demut Gottes Weisheit unter. Das Erwachen der
der eine andere Ansicht verbreitenden Kliquen täuscht über die Zahl.
Toten beim Hinscheiden des Gottgekreuzigten malt sie mit hohem Pathos.
Uebrigens Kliquen. Es wird so oft gefragt: Wo sind denn die
In der Erde alle Toten
Kliquen? Die bestehen nur in euerer Einbildung. Da stoße ich auf
Fahren auf, wie mit Entsetzen,
einen Artikel im „Literarischen Echo“. Dülberg, der Held des jüngsten
Als sie mit dem heil'gen roten
Münchener Hoftheaterskandals, teilt hier das „Nötigste über sein Leben“.
Blute sich beginnt zu netzen.
mit und zu diesem Nötigsten gehört ihm die Mitteilung von ge¬
Können nicht mehr ruh'n, die Toten,
schlossenen „Geistesgemeinschaften und Bundesgenossenschaften“ mit
Weil zu heilig ist der Boden,
Ernst Hardt, Ed. Stucken und Wedekind. Doch das nur nebenbei.
Wo sein köstlich Blut geflossen,
Es soll hier von der Geistesgemeinschaft volitisch ge¬
Der so teuren Trank genossen.
trennter Männer die Rede sein, die der sittliche Stand
unserer Schaubühne mit Sorge erfüllt. Nicht von Zentrums¬
Der Tod ist immer im Leben —, er sitzt vor jedem Meilenstein
leuten, sondern von der evangelischen Geistlichkeit Stuttgarts kam
unserer Wanderungen. Nascentes morimur (In der Geburt sterben wir)
jener Protest gegen Schillings „Mona Lisa“ der jetzt vom „Gesamt¬
immer wieder wird der rote Faden sichtbar!
ausschuß des Deutschen Bundes zur Bekämpfung fremden und Förde¬
Hat dann dein Hauch
rung deutschen Wesens“ eine Zustimmungs= und Dankadresse zuteil
Verkündet mir, was sich im Sturme barg,
ward, gesehen von Zustimmungserklärungen aus allen Kreisen der
Was nicht im Blitze sich enträtselt hat?
Bevölkerung. Spöttisch schreiben über die „Mona Lisa“ die „Signale
So will ich harren auch. Schon wächst mein Sarg,
für die musikalische Welt“: „Das Publikum ließ sich wie immer leiten.
Der Regen fällt auf meine Schlummerstatt!
Die Schwärmerei ist soweit gediehen, daß der Verkauf der Mona Lisa¬
Dann wird wie Rauch
Schleier in den Geschäften zugenommen hat. Im Zeitalter des Welt¬
Entschwinden eitler Weisheit Nebelschauern,
krieges. Es lebe die Mode und andere herrliche, ethische Werte.“
Dann schau ich auch.
Blätter, welche sich aufs reinästhetische beschränken, können doch
Und meine Freude wird mir niemand nehmen.
nicht unterlassen, das brutal=grausame, kinohafte des Buches zu tadeln.
(Schluß folgt.)
Ich hoffte, es sei wenigstens ein vor dem Kriege geschaffenes Werk,
aber Herr v. Schillings hat einem Wiener Journalisten erzählt, er
habe die „Mona Lisa“ im Felde beendigt. Der Isolierschemel des
glücklichen Genies! —
Ueber den „Weibsteufel“ der in Wiesbaden verboten, in Augsburg
vom Spielplan abgesetzt wurde, in München von der Hofbühne einem Privat¬
Die Pflicht der Bühne.
theater abgegeben werden mußte, den in Nürnberg und anderen Städten die
Bühnen wochenlang dem Publikum als kommende Lockspeise vorhalten, den
Von W. Thamerus.
ästhetisch alle Fachblätter preisgeben, hat am allerschärfsten die „Schau¬
bühne“ des Herrn Siegfried Jacobsohn gerichtet, die meint, daß das Stück
er Historiker wird es zu den großen Leistungen dieser Zeit rechnen,
auch in einem Stall spielen und die „Personen“ der Ochs, die Kuh
„P daß wir jetzt für die Kultur der Zukunft sorgen.“ Dieses Wort,
und der Stier sein könnten. Das ist ein Blatt, das — Wedekind
„ Jiehen auf der Krieastagung der Jugend¬
Ruhmeskränze flicht. Und die „Frankfurter Zeitung“ schreibt:
„Man möchte . . . um ein wenig Gläubigkeit im Dichter betteln. Ich
meine, ein wenig Glauben an Menschnatur.“ Wichtiger noch
erscheint mir die Frage dieses Blattes: „Und angesichts der Zeit,
in der wir leben: wo sind die Brücken unserer Bühnenliteralur
Dzn unserem Sein?“
Ein anderes Stück, Schnitzlers „Komödie der Worte“, welchen
r Hofbuhne am nächsten
Eihakterzyklus unsalche
Samstag darzubieten für nötig hält, wird sogar von dem Wiener
Referenten der „Münchner Neuesten Nachrichten“ (Nr. 529) fallen
gelassen, wobei ihn die Gleichheit der Ansicht mit politischen Gegnern an¬
scheinend schmerzt, denn er schreibt: „Die gesinnungstüchtige Wiener Presse
läuft Sturm gegen die Leitung des Burgtheaters, weil sie in dieser ernsten
Zeit derartige wurmstichige Ehebruchsdramatik auf die Bühne
bringt. Man braucht diesen Enkrüstungsrummel nicht mitzumachen,
wird aber doch zugeben müssen, däß dem alten Wiener Stoßseufzer:
„Glückliche Leut, ham zu so was & Zeit!“ seine Berechtigung nicht ab¬
zusprechen ist, wenn man Schnitzleks eminentes Können und den großen
Apparat des Buegthoakers in„ den Dienst solcher Belanglosigkeiten ge¬
stellt sieht.“
Schärfere Töne schlägt gegen das „Eheunzuchtsbüchlein“,
wie er es nennt, der Wiener Feuilletonist Dr. A. Bettelheim in der
„Voss. Ztg.“ an und meint zum Schlusse: „Wir alten Herren geben die
Zuversicht nicht auf, daß die große deutsche Kunst in diesem Weltkrieg
so wenig feiern wird wie während der Revolutions= und napoleonischen
Kriege, in denen mit die dauerhaftesten Stücke Schillers, der Abschluß
des ersten „Faust“, der „Prinz von Homburg“ und einige Schöpfungen
Beethovens reiften, die Herz und Ohr ungezählter Hörer, nicht zuletzt
Bismarcks und Moltkes, lobten. Heute wie dazumal soll es heißen:
Deutschland in der Welt voran! Deutschland in der Kunst voran!“
Kräftigere Worte noch findet die liberale „Kölnische Zeitung“
Sie schreibt u. a. über Schnitzler: „Da legt der Ernst der Zeit wohl
die Frage nahe, ob nicht derartige Spitzfindigkeiten aus dem
26 1. Konoedieder Norte—Zukius
Allgemeine Rundschau.
Seite 800.
Nr. 44. 30. Oktober 1915.
ausgegrabenen Spielpläne von 1870 auch nicht die Hamletsche For¬
So hab' ich deine Pfunde
derung, „eine abgekürzte Chronik und ein Spiegel unseres Zeitalters“
In Frevelmut vergendet
zu sein, erfüllt hatten.
Und für der Armut Wunde
Gewiß, nicht alle Bühnen erschöpften sich in Banalitäten, in einer
War mir ein Heller gut.
Aufwärmung Kotzebnes, des „deutschen Dichters“ der dem Zarismus
Das wird an mir noch zehren,
und dem deutschen Spießbürger zu dienen verstanden, man brachte auch
Wenn Leib und Seele scheidet,
Novitäten, Verzeihung, Neuheiten muß man jetzt sagen. Ach, forderte man
Wird kämpfen, mir zu wehren
so strenge wie das deutsche Wort auch den deutschen Geist! Unsere
Den letzten Todesmut.
Leser wissen, daß hierin eine genaue Beobachtung der deutschen Spiel¬
Der „Tag von allen Tagen“ geht an Annettens Seele „furchtbar
pläne zu herber Kritik herausfordern mußte. Jedoch hat sich diese For¬
vorüber“ Das Rätsel der Auferstehung plagt sie und rüttelt an ihr,
derung einer sittlichen Besserung der Schaubühne durchaus
sie versteht nicht:
nicht auf die eine oder andere politische Partei beschränkt. Nur in München
Wie ein Leib, der längst entfaltet
haben sich Leute gefunden, die in der Krikik über amoralische Stücke, die
kamen, kommen sollen oder kommen sollten, einen Bruch des politischen
In erneuter Lebenskraft
Burgfriedens zu erblicken glauben („Münch.=Augsb. Abendztg.“ Nr. 290).
In dem zweiten Leib gestaltet.
Es erübrigt sich, hierüber in eine Polemik einzutreten. Ganz sonderbar
Wie er wieder mag erscheinen,
ist der gute Rat, Stücken, die uns nicht passen, fern zu bleiben. Mit
Von dem andern unverwehrt,
dieser Logik könnte man die Wahrnehmung aller öffentlichen Interessen
Der ihn trug in den Gebeinen
ablehnen. Die Notwendigkeit einer sittlichen Reinigung
Und vom dritten längst verzehrt?
der Bühne hat in allen Lagern Anhang. Die Lungenkraft
und ordnet sich doch in Demut Gottes Weisheit unter. Das Erwachen der
der eine andere Ansicht verbreitenden Kliquen täuscht über die Zahl.
Toten beim Hinscheiden des Gottgekreuzigten malt sie mit hohem Pathos.
Uebrigens Kliquen. Es wird so oft gefragt: Wo sind denn die
In der Erde alle Toten
Kliquen? Die bestehen nur in euerer Einbildung. Da stoße ich auf
Fahren auf, wie mit Entsetzen,
einen Artikel im „Literarischen Echo“. Dülberg, der Held des jüngsten
Als sie mit dem heil'gen roten
Münchener Hoftheaterskandals, teilt hier das „Nötigste über sein Leben“.
Blute sich beginnt zu netzen.
mit und zu diesem Nötigsten gehört ihm die Mitteilung von ge¬
Können nicht mehr ruh'n, die Toten,
schlossenen „Geistesgemeinschaften und Bundesgenossenschaften“ mit
Weil zu heilig ist der Boden,
Ernst Hardt, Ed. Stucken und Wedekind. Doch das nur nebenbei.
Wo sein köstlich Blut geflossen,
Es soll hier von der Geistesgemeinschaft volitisch ge¬
Der so teuren Trank genossen.
trennter Männer die Rede sein, die der sittliche Stand
unserer Schaubühne mit Sorge erfüllt. Nicht von Zentrums¬
Der Tod ist immer im Leben —, er sitzt vor jedem Meilenstein
leuten, sondern von der evangelischen Geistlichkeit Stuttgarts kam
unserer Wanderungen. Nascentes morimur (In der Geburt sterben wir)
jener Protest gegen Schillings „Mona Lisa“ der jetzt vom „Gesamt¬
immer wieder wird der rote Faden sichtbar!
ausschuß des Deutschen Bundes zur Bekämpfung fremden und Förde¬
Hat dann dein Hauch
rung deutschen Wesens“ eine Zustimmungs= und Dankadresse zuteil
Verkündet mir, was sich im Sturme barg,
ward, gesehen von Zustimmungserklärungen aus allen Kreisen der
Was nicht im Blitze sich enträtselt hat?
Bevölkerung. Spöttisch schreiben über die „Mona Lisa“ die „Signale
So will ich harren auch. Schon wächst mein Sarg,
für die musikalische Welt“: „Das Publikum ließ sich wie immer leiten.
Der Regen fällt auf meine Schlummerstatt!
Die Schwärmerei ist soweit gediehen, daß der Verkauf der Mona Lisa¬
Dann wird wie Rauch
Schleier in den Geschäften zugenommen hat. Im Zeitalter des Welt¬
Entschwinden eitler Weisheit Nebelschauern,
krieges. Es lebe die Mode und andere herrliche, ethische Werte.“
Dann schau ich auch.
Blätter, welche sich aufs reinästhetische beschränken, können doch
Und meine Freude wird mir niemand nehmen.
nicht unterlassen, das brutal=grausame, kinohafte des Buches zu tadeln.
(Schluß folgt.)
Ich hoffte, es sei wenigstens ein vor dem Kriege geschaffenes Werk,
aber Herr v. Schillings hat einem Wiener Journalisten erzählt, er
habe die „Mona Lisa“ im Felde beendigt. Der Isolierschemel des
glücklichen Genies! —
Ueber den „Weibsteufel“ der in Wiesbaden verboten, in Augsburg
vom Spielplan abgesetzt wurde, in München von der Hofbühne einem Privat¬
Die Pflicht der Bühne.
theater abgegeben werden mußte, den in Nürnberg und anderen Städten die
Bühnen wochenlang dem Publikum als kommende Lockspeise vorhalten, den
Von W. Thamerus.
ästhetisch alle Fachblätter preisgeben, hat am allerschärfsten die „Schau¬
bühne“ des Herrn Siegfried Jacobsohn gerichtet, die meint, daß das Stück
er Historiker wird es zu den großen Leistungen dieser Zeit rechnen,
auch in einem Stall spielen und die „Personen“ der Ochs, die Kuh
„P daß wir jetzt für die Kultur der Zukunft sorgen.“ Dieses Wort,
und der Stier sein könnten. Das ist ein Blatt, das — Wedekind
„ Jiehen auf der Krieastagung der Jugend¬
Ruhmeskränze flicht. Und die „Frankfurter Zeitung“ schreibt:
„Man möchte . . . um ein wenig Gläubigkeit im Dichter betteln. Ich
meine, ein wenig Glauben an Menschnatur.“ Wichtiger noch
erscheint mir die Frage dieses Blattes: „Und angesichts der Zeit,
in der wir leben: wo sind die Brücken unserer Bühnenliteralur
Dzn unserem Sein?“
Ein anderes Stück, Schnitzlers „Komödie der Worte“, welchen
r Hofbuhne am nächsten
Eihakterzyklus unsalche
Samstag darzubieten für nötig hält, wird sogar von dem Wiener
Referenten der „Münchner Neuesten Nachrichten“ (Nr. 529) fallen
gelassen, wobei ihn die Gleichheit der Ansicht mit politischen Gegnern an¬
scheinend schmerzt, denn er schreibt: „Die gesinnungstüchtige Wiener Presse
läuft Sturm gegen die Leitung des Burgtheaters, weil sie in dieser ernsten
Zeit derartige wurmstichige Ehebruchsdramatik auf die Bühne
bringt. Man braucht diesen Enkrüstungsrummel nicht mitzumachen,
wird aber doch zugeben müssen, däß dem alten Wiener Stoßseufzer:
„Glückliche Leut, ham zu so was & Zeit!“ seine Berechtigung nicht ab¬
zusprechen ist, wenn man Schnitzleks eminentes Können und den großen
Apparat des Buegthoakers in„ den Dienst solcher Belanglosigkeiten ge¬
stellt sieht.“
Schärfere Töne schlägt gegen das „Eheunzuchtsbüchlein“,
wie er es nennt, der Wiener Feuilletonist Dr. A. Bettelheim in der
„Voss. Ztg.“ an und meint zum Schlusse: „Wir alten Herren geben die
Zuversicht nicht auf, daß die große deutsche Kunst in diesem Weltkrieg
so wenig feiern wird wie während der Revolutions= und napoleonischen
Kriege, in denen mit die dauerhaftesten Stücke Schillers, der Abschluß
des ersten „Faust“, der „Prinz von Homburg“ und einige Schöpfungen
Beethovens reiften, die Herz und Ohr ungezählter Hörer, nicht zuletzt
Bismarcks und Moltkes, lobten. Heute wie dazumal soll es heißen:
Deutschland in der Welt voran! Deutschland in der Kunst voran!“
Kräftigere Worte noch findet die liberale „Kölnische Zeitung“
Sie schreibt u. a. über Schnitzler: „Da legt der Ernst der Zeit wohl
die Frage nahe, ob nicht derartige Spitzfindigkeiten aus dem