II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 488

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wie er, der Starke, aber Stürmende in ihrer klaren
Der deutsche Morgen.
Weiblichkeit findet, was ihm fehlt. Wie ein Schatten
taucht ihr Mann auf, Wigand v. Rudnitz, Preuße
So sonderbar es klingen mag, man kann die
wie Gebhardt, aber er entstammt der Zeit von Jena
deutschen Dichter bis auf den heutigen Tag noch
und Auerstädt, er ist Reaktionär durch und durch.
immer als Nachfolger der Klassiker betrachten. Farbe
Und so werben um diese Frau nicht nur zwei Men¬
und scharfe Linie, Betrachten und Handeln höhere
schen, sondern zwei Glaubensbekenntnisse einer großen
Warte und Partei, Kosmopolitismus und National¬
Zeit. Gertrud folgt der Freiheit, Jens Harlings
bewußtsein, so stehen die beiden Großen Schiller und
Traum.
Goethe einander gegenüber.
Er kommt nach Berlin, und hier tritt die Ver¬
Von den Dichtern der letzten Zeit stehen zum
suchung an ihn heran; er soll ein anderer werden,
Beispiel Hartleben, Hermann Hesse, Wilhelm Fischer,
soll seinem Glauben entsagen, wenn er sein Ziel er¬
Gustav Falke, Ginzkey und vor allem Bartsch, so
Er
reichen will. (Motiv des „Probekandidaten“.)
bunt uns diese Zusammenstellung anmuten mag, ganz
hat es nicht leicht, sein brennender Ehrgeiz muß
in der Gefolgschaft des großen Weimaraners, Emil
niedergerungen werden; aber er bleibt sich selbst ge¬
Ertl hält vielleicht die Mitte — er ist, wenn man so
treu. Seine Vorlesung über die „Geschichte des
sagen darf formell goethisch, stofflich schillerisch;
deutschen Bewußtseins“ kündigt er in deutscher
Liliencron, Schönherr, Börries v. Münchhausen, Richard
Sprache am schwarzen Brett der Universität an. Da¬
Dehmel, Max Dreyer haben Funken Schillerschen
durch schon ist er ein Verdächtiger geworden.
Geistes. Von Dreyer wollen wir sprechen. Es mag
Wenige stützen ihn: Niebuhr rät zur Mäßigung,
schhn fünfzehn Jahre her sein, da ich als Pennäler be¬
aber Schleiermacher, den wir hier von einer ganz
stert den Probekandidaten“ sah, der Dreyers Ruhm
neuen Seite kennen lernen — es steckt ein gut Stück
Gründete. Eswürden sich ja heute auch bei mir literarische
Lutherkraft in ihm — geht mit ihm und vor allem
Bedenken einschleichen gegen die allzu starke Schwarz¬
die Jugend, die Burschenschuft, die ihn vergöttert als
Peiß=Malerei, das manchmal zu kräftige Pathos. Aber
ihren Leitstern und Führer.
t das nicht alles echt schillerisch? Ist nicht Tell der
Spione folgen seiner Spur, seine Kollegen werden
Kelle Heros und der Landvogt der leibhaftige Teufel,
belauert, seine Wege ausgeschnüffelt, seine Briefe auf¬
vom Schillerschen Pathos ganz zu schweigen? Der
gefangen, langsam wird der Strick gedreht, der ihn
ethische Gehalt jedoch ist hier wie dort ein großer, der
erdrosseln soll. Und eines Tages wartet die schöne,
Kampf für Freiheit und Wahrheit.
geheimnisvolle Frau Kara — die uns die mystischen
Es gab eine Zeit, da man diesen ethischen Ge¬
Bestrebungen der Zeit versinnbildet — vergebens auf
halt sehr gering anschlug, da Psychologie das Allein¬
ihn. Jens Harling ist in Untersuchungshaft.
seligmachende war, eine Zeit, die in einer ausge¬
Und nun erleben wir, wie ein heller Geist durch
zeichneten Schweinerei wie Schnitzlers „Reigen“ —
Nadelstiche gemeinster Art ein Jahr lang zermartert
den wohl auch der Autor selbst nie anders aufgefaßt
wird, wie man ihm alles nimmt, Geliebte, Freunde
hat — tiefere menschliche Werte suchte. Diese Zeit
und Arbeit. Die Hoffnung, die er auf seinen letzten
Gott sei Dank — vorüber. Der Krieg hat sie
Richter E. T. A. Hoffmann setzt, schlägt fehl. Er soll
gespült wie vieles, was ungesund und morsch war.
nach Magdeburg in strengeren Gewahrsam gebracht
Ein Burschenschafterroman ist Dreyers Werk
werden, seine Freunde befreien ihn, aber der Schuß
keiner der landläufigen. Sehr wenig Speergerassel,
eines Gendarmen verwundet ihn tödlich. Er stirbt in
fehr wenig Alkoholdunst ist in diesem Buch: ein Jahr¬
Gertruds Armen, und sein Feind Wigand setzt die
hundertbuch sollte es werden. Wir alle, die wir das
eigene Sicherheit aufs Spiel, um die Schergen von
bunte Band getragen haben, auf dessen Wappenschild
Jensens letzter Stunde zu wehren.
„Ehre, Freiheit, Vaterland“ steht, hatten uns die
So endet dieses Buch der Parteien mit einem
Jahrhundertfeier des großen akademischen Jahres
Sonnenblick herrlichster Menschlichkeit.
ist eine blutige
1915 anders gedacht. Es
Ein paar Schlußzeilen noch: Am Tage, da Jens
Feier geworden. Tausende Burschenschafter stehen
stirbt, hält ein Knabe in Berlin seinen Einzug: Otto
im Felde, ihre Brust schmücken Ehrenzeichen,
v. Bismarck. Die Sonne des deutschen Tages, den
wie die Riemanns und Scheidlers, die das
Jens ersehnte, beginnt ihren Aufstieg.
Burschenschwert trugen durch Jenas Gassen. Aber
Ich könnte noch viele feingezeichnete Gestalten
verliert Dreyers Buch dadurch auch vielleicht an
erwähnen, die zur Vollendung des Kunstwerkes bei¬
äußerem Erfolge, an innerer nachhaltiger Wirkung
tragen: den verlumpten Eulogius Waterstraat, der
kann es nur gewinnen.
sich zum Spion hergibt und wie Judas durch eigene
Hätte Dreyer den Roman als junger Mann ge¬
Hand endet, den wackeren Bierteutonen Hilmann mit
schrieben, er wäre wohl der Gefahr der Schwarz¬
der treuen Dichterseele. Ueber aller Einzelzeichnung
Weiß=Manier nicht ganz entgangen. Sie lag ja so
aber steht der große Gedanke: Frei und in der
nahe bei der Wiedererweckung einer Zeit, deren Lieder
Taten Recht. Alte und junge Burschenschafter, die
den Feind so gern als Satan bezeichnen. Heute ist
Ihr im Felde steht: ein Geschenk für Euch ist's in
ein reifer Mann Träger der Handlung geworden, ein
erster Linie, lest dieses Buch und dankt dem Dichter!
Mann, der die Brausejahre hinter sich hat, aber ein
Denn wenn auch heute, in der Zeit herrlichster
Mann, der für das Vaterland geblutet hat und jung
Einigkeit, uns die Qualen der Kämpfe vor hundert
geblieben ist im Herzen.
Jahren anmuten wie ein Spukmärchen aus E. T. A.
Professor Jens Harling hat Görschen und Leipzig,
Hoffmanns Fabelkammer, Kämpfer waren auch sie.
Ligny und Belle=Alliance erlebt und kehrt nun mit
Und Max Dreyers Buch ist ein neuer Lorbeerkranz,
seinem Freunde Gebhardt v. Lynstedt, dem etwas
gewunden um die ewigen Worte unseres Wappen¬
hölzernen, aber gediegenen preußischen Beamten, nach
schildes, die Ihr im Männerkampfe auch heute,
der Heimat zurück. In dessen Schwester Gertrud tritt
wieder so treulich bewährt.
Jens sein Schicksal entgegen. Wunderbar, wie sich
Im Felde, November 1915.
um diese beiden seltenen Menschen zarte Fäden weben,
Dr. Robert Hohlbaum.
„Der deutsche Morgen“, Leipzig, L. Staack¬
mann, 1915.