II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 490


Brünner Theaterbrief.
Schnitzlers-drei Einankter, die er als „Komödie der Worte“.
zusammesifaßt, tragen diese Bezeichnung mit Recht. Worte, nichts
als Worte, die hin= und hergehen, monoton und gleichmäßig,
breit gefaltet und geschwätzig, um die Kümmerlichkeit, Fremdheit
des Geschehens zu verdecken. In allen drei Stücken Ehebruch durch
Worte verschleiert oder zum Schein mit interessanter Eigenart
drapiert. Am peinlichsten wirkt die „Stunde des Erkennens“
zwischen dem Arzte Eckold und seiner Frau Klara, die zehn Jahre
miteinander lebten, ohne den inneren und äußeren Bruch ihrer
Gemeinschaft als Hemmnis zu fühlen. Der Mann schweigt so
lange Zeit und soll nun auf einmal Temperament genug haben,
um die alte Sünde der Gattin als Trennungsgrund zu fühlen.
Dazu ist es der Unrechte, mit dem er sie gepaart glaubt. Unan¬
genehm überspitzt, pathetisch in so bedenklicher Steigerung ist dies,
daß die Stimmung ins Groteske umzuschlagen droht. Die „Große
Szene“ weiß wenigstens aus abgebrauchten Motiven (Schnitzler
fällt in seinem engen Kreis von Themen nichts mehr ein) starke
dramatische Spannung zu erzielen. Der Schauspieler Herbot,
dessen gekränkte Frau eben erst zurückkehrte, spielt einem jungen
Mann, der ihn wegen der Verführung seiner Braut zur Rechen¬
schaft zieht, eine beredte Komödie vor, in der er viel zugibt, das
Letzte leugnet und mit Raffinement einen Brief als entscheidenden
Coup verwertet. Der reizende Adrian hätte es genau so getroffen.
Ganz geringfügig „Das Bacchusfest.“ Wie bei den Griechen nach
der freien Hingabe während der Nacht, die dem Gotte geweiht
war, die Frau den Liebhaber am Morgen nicht mehr kennen
und begehren durfte, so findet Agnes Staufner nach dem Abenteuer,
das sie mit dem Dr. Wernig hatte, wieder den Weg zu ihrem
Gatten. Seine modern räsonnierende, auf antike Art stoische Moral
öffnet ihr die Augen. Man kann bei aller Hochachtung für den
Dichter an diesem seinen letzten Werk nicht einmal ein Lächeln
vorübergleiten lassen. Er hat sich selbst abgeschrieben und schlecht
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dazu. „Der einsame Weg“, „Der grüne Kakadu“ und „Literatur“
sind echter, dichterischer, lebendiger als die Komödie der Worte“
„Der Worte sind genug gedrechselt, laßt mich ...
Herr
Walden war vornehm und klug als Eckold, virtnos als Herbot,
meisterhaft fein als Staufner. Er ist ein so großer, persönlich
hinreißender Künstler, daß er allein den Erfolg auch dieser Stücke
entscheiden konnte. Fr. Kreith=Lanius war etwas zu un¬
geistig, zu bürgerlich, zu schwer als Klara, Herr Pidoll wenig
überzeugend als Professor Armin. Frl. Claire Wolff spielte
die Frau des Schauspielers sehr sympathisch und mit beherrschter
Natürlichkeit, die Herren Böhm den Bräutigam und Teller
den Theaterdirektor sehr geschickt. Vorzüglich Frl. Han in einer
Episode. Frl. Ida Sinek war als Frau des Schriftstellers auch
den mäßigsten Ansprüchen nicht gewachsen und eher ein unbe¬
deutendes Ding aus kleinen Verhältnissen, als eine interessante
Frau pikanter Färbung. Herr Mahr traf den rechten Ton eines
linkischen, doch eifrigen Liebhabers und Herr Giblhauser stellte
eine köstliche Type als Bahnhofportier hin. — Zur Schiller=Feier
wurde „Die Braut von Messina“ aufgeführt, ohne Zweifel
dichterisch am vollkommensten von den Dramen des Dichters und
von einer ungeheuren, unerbittlichen tragischen Wucht, über die
der Chor feierliche Reflexionen hält. Die feindlichen Brüder stellten
Recke und Böhm dar, der eine mit hohlem Pathos und
mechanisch abgezirkelten Armgesten, der andere mit einem schönen
Feuer und starker natürlicher Kraft des Ausdrucks und Spiels.
Frau Kreith=Lanius hatte hinreißende Momente, ließ aber
die Wirkung edler Fürstlichkeit vermissen, Frl. Steinsiek, vom
Deutschen Volkstheater, war eine Beatrice von ergreifender Innig¬
keit und Beseeltheit. Frl. Windhag, die sie das zweitemal
spielte, gab sich alle Mühe. Herr Pidoll war ein Chorführer
von scharf gemeißelter Wucht, Herr Strauß als der andere von
eindrucksvoller Würde. Im ganzen eine angemessene, nur szenisch
nicht ganz befriedigende Vorstellung. — Frau Sigrid Arnoldson
gastierte, wie in jedem Jahr, diesmal als Carmen und Margarete.
Man muß es endlich sagen, daß sie gut daran täte, sich einen
ehrenvollen Abgang durch die Mitte zu sichern. Bewunderung
über vergangene Größe vermag nicht mit allem zu versöhnen.
Die hohe Lage macht der Künstlerin schon zu viel Schwierigkeiten,
dazu besitzt sie nicht das Feuer einer Zigennerin und nicht die
sanfte junge Glut eines Bürgermädchens. Was übrig bleibt, ist“
freilich noch stattlich genug und von hoher, vornehmer Kultür.
Eckert als José, Werner als Escamillo sind rühmlich bekannt,
Gisela als Faust nicht so ganz und Bland als-Mephisto
recht annehmbar. Chodounskys Valentin ist vorzüglich.
M. v.
Ausschnitt aus: — Burggräller, Meran
vom: AAMOUNGTE
die Fährplalate.

Das Wiener Literatentum im deutschen
Urteil. Der „Kölnischen Zeitung“ wird aus Darm¬
stadt geschrieben: Wenn es gestattet ist, die drei
Erstaufführungen Wiener Literaten, die das Hof¬
theater in rascher Folge und mit bestem künstleri¬
schen Bemühen herausbrachte: Schnitzlers Komödie
. uenen enr ernennewersesten ten
der Worte — Schönherrs Weibsteufel — und nun

auch Bahrs Der Quermiant gegeneinander kritisch
abzuwerten, dann wird man immer Schönherrs
vielumstrittenes Stück an erste und Bahrs neuestes“
Schauspiel an letzte Stelle setzen müssen. Man soll
aber gegenüber einem solchen Vergleich nicht einwen¬
den, daß er a priori abzulehnen sei; denn diesmal
handelt es sich bei dem einen wie dem andern Werke
doch nur um literarische Ware, und zwar recht billige
Theaterware, die nicht am Platze ist in einer Zeit,
die ihr Sein oder Nichtsein auf den blutgetränkten
Schlachtfeldern erprobt. Die Werke haben auch in¬
#nerlich manches Verwandte, insofern als sie alle
mehr oder weniger auf den Defreggerton gestimmt
sind, d. h. in gewissem Sinne reine Genrekunst ge¬
ben, über die auch geschickte dramatische Wirkungen
nicht hinwegzutäuschen vermögen. Sie sind so bar
jeder echten schöpferischen, künstlerischen Kraft, so im
letzten banal, daß der selige Anzengruber in der
Erinnerung vor diesen Erzeugnissen fast wie ein
literarischer Halbgott erscheint. Ja, man fragt sich
gegenüber den etwas krampfhaften Bemühungen der
Leitung unseres Hoftheaters, gerade jetzt den bundes¬
brüderlichen Erzeugnissen in deutschen Landen Auer¬
kennung zu verschaffen, nicht ohne Grund, ob es
nicht doch auch im jungen Deutschland Dichter gibt,
die die viele aufgewandte Mühe besser lohnen als
das genannte Kleeblatt Wiener Literatentums, das
nach den letzten Proben seiner Kunst völlig versagt
Nachdem wir mit Enttäuschung Schnitzler,
hat.
Schönherr und Bahr so schnell hintereinander an
einem deutschen Hoftheater erleben konnten, mag
eine Gewissensfrage kulturell=politischer Art gestattet!
sein: Glaubt jemand ernstlich in Deutschland heute
noch an die Ueberlegenheit jener sogenannten öster¬
reichischen Kultur, sei es nun Theater oder Kunst¬
gewerbe oder sind nicht gerade jene letzten Doku¬
mente eines wienerischen Literatentums und jener
viel zu sehr künstlich gezüchteten Geschmäcklerkunst
Beweis dafür, daß unser trefflicher Bundesbruder
in diesem Weltkrieg auch einer inneren Reformation
an Haupt und Gliedern bedarf, um fortan im Geiste
einer neuen deutschen Weltkultur ernsthaft bestehen.
zu können.