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26.1. Kondedieder Norte—Zyklus
Rolle, und wied durch Winterstein ein liebenswertes Bruderherz.
Herr Jannings ist der schlesisch treue, schlesisch breite Sancho Pansa,
dessen Saft und Mark es in der Unterhaltungsliteratur freilich nicht
gibt, und der zum mindesten den Menschenwert seines Don Quixote
beglaubigt. Ist Crampton außerdem ein Genie? Hauptmann hat
seine buntverworrene Welt der kraufesten Gegensätze selbst nicht klar
gedeutet. Man lasse es bei dieser geistreichen Fragewürdigkeit. Man
ergründe nicht die Problematik dieses romantischen Charakters, der
ein Geschiller von vielen ineinanderspielenden Zügen ist: von Narr¬
heit und Originalität, von Trotz und Irrwischlaune, von Jähzorn und
Herzensgüte, von Siegesgewißheit und Verfolgungswahn, von innerer
Vornehmheit und äußerer Verkommenheit, von Grobheit und Liebens¬
würdigkeit. Diese Liebenswürdigkeit hatte der Crampton von Georg
Engels zur Seele. Sie war die Mitte, in der Cramptons übrige Eigen¬
schaften sich trafen, und von der sie Kolorit und Duft empfingen. Durch
sie wurden Cramptons Schwächen gemildert, seine Schrullen vergoldet
und auch Die zur Teilnahme bezwungen, denen sein Künstlertum durch
nichts und niemand zuverlässig bezeugt ist. Dann kam Bassermann.
Der ging, unbekümmert um das Stückchen Hjalmar Ekdal in Crampton,
mit einem furchtbaren Ernst um die Sache darauf aus, das unbestrittene
Genie Harry Crampton zu suchen, und fand es natürlich nicht. Stupende
Technik stattete eine Phantasiegeburt mit den lebendigsten Zeichen,
mit den unheimlichsten Seltsamkeiten aus. Aber die Luft von Unheil,
mit Bassermann sich von Anfang an wie mit einem blutigen Mantel
bedeckte, ist nicht die Luft dieser Komödie, in der neben das Leid die
Lust gleichberechtigt tritt, in der durch schwülen Lebensdunst immer
wieder die Strahlen der Lebenszuversicht brechen, in der man sich
eigentlich niemals richtig ängstigt, weils Hauptmann gelungen ist,
die rettenden Mächte Geld und Liebe schon im ersten Akt verheißungs¬
voll einzuführen; nicht einzuführen — wittern zu lassen.
Wegener nun hält sich ungefähr zwischen Engels und Bassermann.
Er bietet keinen hoffnungslos verwüsteten Anblick. Gertruds Wort,
daß dei Vater völlig hülflos sei und auf der Straße bereits geführt
werden müsse, streicht Wegener, du ihm an Cramptons Zukunft so viel
wie an seiner Gegenwart liegt. Im gewaschenen und gekämmten Zu¬
stand des unmerklich gelichteten Haars und des kaum ergrauten
Barts repräsentiert er sich als ein rüstiger Fünzziger. Auf den Künstler
deutet ein zarter lyrischer Ton, der bestechend hörbar wird, sobald sich
die Stimme vom Morgenkater sauber gekrächzt hat. Die Intelligenz
erweist sich durch die Anklagen gegen den spanischen Stiefel, die im
Augenblick ganz aus Crampton, garnicht aus Hauptmann zu kommen
scheinen. Soweit Crampton bei Hauptmann in dumpfen und dämme¬
rigen Situationen steht, erheitert und erhellt sie Wegener durch einen
barocken Humor. Wenn er sein neues Atelier betritt, das ihn beun¬
ruhigend an sein altes erinnert, greift er nicht nach der vertrauten
Flasche unters Sofa. Wir sind in der Komödie. Wir sollen eben
denken: Dieser ist gerettet. Und wir denken es.
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26.1. Kondedieder Norte—Zyklus
Rolle, und wied durch Winterstein ein liebenswertes Bruderherz.
Herr Jannings ist der schlesisch treue, schlesisch breite Sancho Pansa,
dessen Saft und Mark es in der Unterhaltungsliteratur freilich nicht
gibt, und der zum mindesten den Menschenwert seines Don Quixote
beglaubigt. Ist Crampton außerdem ein Genie? Hauptmann hat
seine buntverworrene Welt der kraufesten Gegensätze selbst nicht klar
gedeutet. Man lasse es bei dieser geistreichen Fragewürdigkeit. Man
ergründe nicht die Problematik dieses romantischen Charakters, der
ein Geschiller von vielen ineinanderspielenden Zügen ist: von Narr¬
heit und Originalität, von Trotz und Irrwischlaune, von Jähzorn und
Herzensgüte, von Siegesgewißheit und Verfolgungswahn, von innerer
Vornehmheit und äußerer Verkommenheit, von Grobheit und Liebens¬
würdigkeit. Diese Liebenswürdigkeit hatte der Crampton von Georg
Engels zur Seele. Sie war die Mitte, in der Cramptons übrige Eigen¬
schaften sich trafen, und von der sie Kolorit und Duft empfingen. Durch
sie wurden Cramptons Schwächen gemildert, seine Schrullen vergoldet
und auch Die zur Teilnahme bezwungen, denen sein Künstlertum durch
nichts und niemand zuverlässig bezeugt ist. Dann kam Bassermann.
Der ging, unbekümmert um das Stückchen Hjalmar Ekdal in Crampton,
mit einem furchtbaren Ernst um die Sache darauf aus, das unbestrittene
Genie Harry Crampton zu suchen, und fand es natürlich nicht. Stupende
Technik stattete eine Phantasiegeburt mit den lebendigsten Zeichen,
mit den unheimlichsten Seltsamkeiten aus. Aber die Luft von Unheil,
mit Bassermann sich von Anfang an wie mit einem blutigen Mantel
bedeckte, ist nicht die Luft dieser Komödie, in der neben das Leid die
Lust gleichberechtigt tritt, in der durch schwülen Lebensdunst immer
wieder die Strahlen der Lebenszuversicht brechen, in der man sich
eigentlich niemals richtig ängstigt, weils Hauptmann gelungen ist,
die rettenden Mächte Geld und Liebe schon im ersten Akt verheißungs¬
voll einzuführen; nicht einzuführen — wittern zu lassen.
Wegener nun hält sich ungefähr zwischen Engels und Bassermann.
Er bietet keinen hoffnungslos verwüsteten Anblick. Gertruds Wort,
daß dei Vater völlig hülflos sei und auf der Straße bereits geführt
werden müsse, streicht Wegener, du ihm an Cramptons Zukunft so viel
wie an seiner Gegenwart liegt. Im gewaschenen und gekämmten Zu¬
stand des unmerklich gelichteten Haars und des kaum ergrauten
Barts repräsentiert er sich als ein rüstiger Fünzziger. Auf den Künstler
deutet ein zarter lyrischer Ton, der bestechend hörbar wird, sobald sich
die Stimme vom Morgenkater sauber gekrächzt hat. Die Intelligenz
erweist sich durch die Anklagen gegen den spanischen Stiefel, die im
Augenblick ganz aus Crampton, garnicht aus Hauptmann zu kommen
scheinen. Soweit Crampton bei Hauptmann in dumpfen und dämme¬
rigen Situationen steht, erheitert und erhellt sie Wegener durch einen
barocken Humor. Wenn er sein neues Atelier betritt, das ihn beun¬
ruhigend an sein altes erinnert, greift er nicht nach der vertrauten
Flasche unters Sofa. Wir sind in der Komödie. Wir sollen eben
denken: Dieser ist gerettet. Und wir denken es.
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