II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 498

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Konoedie der NorteZykins
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bekannten Erklärung der Stuttgarter protestantischen Pfarrer heißt es: „Wenn
je, so hätte das Theater in unserer ernsten Zeit allen Grund, sich als „moralische
Anstalt" und Träger geistiger Kultur zu bewähren und auf das Empfinden weiter
Kreise des deutschen Volkes Rücksicht zu nehmen. Manche Darbietungen der
Schaubühne stehen in schroffem Gegensatze dazu. In einer Zeit der höchsten
Spannung und blutigsten Kämpfe wird in Schauspiel und Oper statt sittlich
Erhebendem vielfach Herabziehendes und Zersetzendes geboten. Während wir ganz
auf Treue und Zucht angewiesen sind, und unser ganzes Dasein durch heiligen
Opfermut unserer Krieger bedingt und geschützt ist, wird leidenschaftliche Sinn¬
lichkeit und zügelloser Lebensgenuß vorgeführt. Draußen spielt sich das größte
Drama der Weltgeschichte ab, und in der Heimat soll man sich an Darstellungen
des Verbrechens ergötzen.“ Dieselbe Überzeugung kam Mitte November in einer
Sitzung der protestantischen Generalsynode in Berlin zum Ausdruck. Pfarrer
D Weber=Bonn bezeichnete es als überaus traurig, daß Dramen wie der
„Weibsteufel“ aufgeführt werden dürften. Die Truppen an der Front seien tief
entrüstet, wenn sie die Theateranzeigen der Zeitungen läsen. Diese Volksver¬
führung müsse gesetzlich bekämpft werden, sonst sei das Ende des Elendes nicht
abzusehen. Geheimer Studienrat Dr Lück=Steglitz schloß sich der Rede 1 Webers
in längeren Ausführungen an. Auch die Tägliche Rundschau schrieb über Schnitz¬
lers „Komödie der Worte“, „drei tändelnde Ehebruchstücke an einem Abend in
der heutigen Zeit, wo Hunderttausende von deutschen Frauen um ihre Männer
sorgen oder gar trauern“, seien „so fehl am Orte wie nur möglich“.
Bei dieser Lage der Dinge ist es eine bedenkliche Irreführung, wenn die
Halbmonatschrift „Deutscher Wille“ in ihrem ersten Dezemberhefte das Verbot
der Aufführung solcher Stücke als eine Störung des Burgfriedens hinzustellen
sucht. Es gebe, heißt es da (S. 191) „viele ernste und gescheite anders als wir
Denkende“ die „in allen diesen Stücken oder doch in dem einen oder andern
davon nicht etwa nur „künstlerische', sondern sittliche Werte“ sänden. Diese
anders Denkenden dürften nicht vergewaltigt werden. — Einstweilen ist nicht
bekannt geworden, daß „viele ernste und gescheite" Beurteiler der Ansicht seien,
um der sittlichen Werte willen, die wenigstens das eine oder andere jener Stücke
enthalte, dürfe man ihre im übrigen unsittliche Wirkung in den Kauf nehmen.
Sollte aber wirklich jemand diese Stücke im ganzen als sittlich wertvolle Werke
auffassen, so wäre ihm zu antworten, daß bekanntlich die Gesetze der Sittlichkeit
ebensowenig von unserer Auffassung abhängen wie die Gesetze der Gesundheit.
Wer das mit der Menschennatur gegebene und durch das Leben unwiderleglich
bewährte Sittengesetz, um das es sich hier handelt, nicht anerkennen will, für den
gilt, was der „Deutsche Wille“ im selben Hefte (S. 197) gegen die sagt, die
über Kriegsgewinne „anders denken": „Die politischen Mächte werden sich schon
davor hüten, sich dauernd auf die Freiwilligkeit anständiger Gesinnung zu ver¬
lassen. Die Zeit hat erwiesen, daß unser Volk als Ganzes noch nicht reif ist,
sich selber in diesen Punkten in Zucht zu halten. So brauchen wir gegen den
Profitiergeist das Gesetz.“
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Stimmen. XC. 4.