II, Theaterstücke 26, (Komödie der Worte, 1), Komödie der Worte, Seite 499

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26.1. Konoedie der Nortezyklus
Umschau.
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Ist es denn eigentlich mit anständiger Gesinnung vereinbar, achselzuckend zu
erklären, die angegriffenen Stücke müßten leider gespielt werden, weil andere
brauchbare Neuheiten nicht vorlägen; die Theater seien jetzt mehr als je auf zahl¬
reichen Besuch angewiesen, und wem die Aufführungen nicht behagten, der könne
ja wegbleiben? Als ob ein Gewerbe, das die öffentliche Sittlichkeit bedroht, sich
in einem gesitteten Staate ungehindert breit machen dürfte. Und als ob zur
Füllung der Theaterkassen jedes Mittel recht wäre! Wie stimmt diese Bereit¬
willigkeit, an der Vergiftung der Volksseele mitzuwirken, zu den von einem
Theaterleiter gesetzlich geforderten sittlichen Eigenschaften? Fachleute sind sich
längst klar darüber — ich habe noch im Oktoberheft daran erinnert — daß wir
viel zu viel Theater und viel zu viel Schauspieler haben. Niemals ist den
Bühnenangehörigen eine Anderung ihres Berufes so leicht gewesen wie jetzt, wo
die durch den Krieg wunderbar gesteigerte Anpassungsfähigkeit über seelische Wider¬
stände hinweghilft und zugleich auf allen Gebieten des Erwerbslebens auch weniger
vorgebildete Kräfte Beschäftigung finden. Wenn die Hälfte der Privattheater
geschlossen würde, so bliebe für Kunst und anständige Unterhaltung noch immer
Raum genug. Bei dem jetzigen Überfluß an Bühnen drängt das investierte
Kapital zur Ausbeutung der schlimmsten Instinkte, und das Volk, dessen Seele
dadurch unaufhörlich verwüstet wird, muß noch obendrein Riesenzuschüsse an die
von der Konkurrenz besiegten Hof= und Stadttheater aufbringen.
Der Krieg hat uns gelehrt und gezwungen, unser Geld und unsere Menschen¬
kraft nützlicher und edler zu verwerten. Hans Brecka, der Theaterkritiker der
Reichspost, sagte am 6. November in einem offenen Briefe an den Direktor des
Wiener Burgtheaters mit vollem Rechte: „Glauben Sie in der Tat, den Willen
des Kaisers zu erfüllen, wenn Sie dem Volke Woche um Woche mit den be¬
redten Mitteln der ersten deutschen Bühne alle nur erdenklichen Laster, Totschlag,
Lüge, Verrat, Treubruch vor Augen führen? . . . Glauben Sie, Herr Direktor,
in der Tat, daß es der Wille seiner Apostolischen Majestät ist, dem Volke durch
große materielle Opfer auf der Hofbühne solche Kunst zu vermitteln, gerade jetzt,
da sich auf tausend Schlachtfeldern nichts anderes bewährt hat als eben jene be¬
witzelte Tugend, eben jener verhöhnte Sinn der Treue, eben jene verleugnete
Mannhaftigkeit, die in Not und Tod unsterbliche Triumphe geseiert hat? ..
Es scheint uns denn doch nicht gut möglich, daß Sie in Wahrheit dieses Glaubens
sind. Wir für unsern Teil empfinden den gegenwärtigen Spielplan des Hof¬
burgtheaters als eine Schmach, welche in dieser großen Zeit von unserem Volke
abzuwehren unsere unentwegte Aufgabe bleiben wird.“ Fürsten und Völker der
verbündeten Mächte werden sich solchen Erwägungen nicht verschließen können.
Verfall der Sitten ist noch immer der Weg zum Verfall der Kultur und der
staatlichen Unabhängigkeit gewesen. Darum ist der Kampf gegen die Verseuchung
des Theaters buchstäblich ein Kampf um Blühen und Bestehen unseres Vaterlandes.
Jakob Overmans S. J.