II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 15

25. Brofessa Bernha
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vom:
Kunst und Wissenschaft.
Die Komödie „Professor Bernhardi“ von
Nchur Schnitzler, die gestern im Kleinen
heat####—manssührung kam, besteht aus fünf
sehr langen Akten. Diese fügen sich weniger
zu einem geschlossenen Stück zusammen, stellen sich
vielmehr als der Niederschlag aller möglichen Er¬
fahrungen und Beobachtungen dar, die der Verfasser
in seinen Eigenschaften als Arzt und Jude in der
Kaiserstadt an der Donau gemacht hat.
Der Einzelfall ist der: Professor Bernhardi,
mosaischen Bekenntnisses, Leiter eines Krankenhauses,
verwehrt einem Geistlichen den Zutritt zum Kranken¬
bett eines dem Tode unrettbar verfallenen Mädchens,
weil dieses sich im Zustande größter Genesungs¬
gewißheit befindet und der Anblick des Pfarrers ihr
das Verzweiselte ihrer Situation zum Bewußtsein bringen
müßte. Kollegiale Mißgunst und politisch=religiöse Leiden¬
schaften stiften nun ein Kesseltreiben gegen den Professor
an, führen eine Interpellation im Parlamente und
als Frucht der parlamentarischen Aussprache ein Ver¬
fahren gegen den Professor herbei, das mit seiner
Verurteilung zu zwei Monaten Gefängnis endet
und auch die Aberkennung des ärztlichen Diploms
zur Folge hat. Der letzte Akt entläßt uns
mit
der Aussicht auf weitere Verfolgung der
Angelegenheit durch sämtliche Instanzen, und dafür,
daß uns der Verfasser nicht auch diese noch mit¬
erleben läßt, muß man ihm immerhin dankbar sein,
so sehr man ihm auch während der redseligen fünf
Akte manchmal grollen mochte.
Schnitzler ist hier viel weniger der geistreiche
Planderer, als welchen man ihn besonders schätzt.
So nahe ihm das Milien in jeder Hinsicht
steht, er redet doch mehr darüber, als daß er in
ihm lebt. Es braucht nur irgend eine Frage
angeschnitten zu werden, und gewiß findet sich irgend
eine der vorhandenen Personen, die darüber einen
wohl stilisierten, mit allen überlieferten Schlag¬
worten durchsetzten Leitartikel vom Stapel läßt.
Das ist freilich in den Ohren vieler Zu¬
hörer die schönste Musik, wie gestern die starke
Interessiertheit des Publikums bekundete, aber mit
=Kunst haben solche Anschanungsäußerungen ver¬
zweifelt wenig zu tun. Daß Schnitzler freilich auch die
Bühnentechnik wie nur ein Sudermann beherrscht, be¬
weisen der dritte Akt, der in der Wiedergabe
einer Professoren=Konferenz mit überraschenden
Effekten wahrhaftig nicht sparsam umgeht, und
die Szeue, da der Professor
nach seiner
Verurteilung mit dem Geistlichen nochmals zu¬
sammengeführt wird. Gegenüber solchen virtnosen
Raffinements wirkt dann aber wieder die tech¬
nische Hilflosigkeit um so greller, die sich zum
Beispiel in den zahlreichen referierenden Be¬
richten, in den vielen Diskussionen über vorher¬
gegangene Ereignisse und in dem nervösen Auf= und
Abtreten der vielen Personen dokumentiert. Aber,
wie gesagt, die verschiedenen Leitartikel weckten starkes
Echo, und Schnitzler konnte sich schon vom dritten
Akte an oft auf der Bühne zeigen.
An diesem Erfolge hatte aber auch die Dar¬
stellung ganz hervorragend Anteil.
Die große
Zahl der Mitwirkenden zwingt schlechterdings zu
einem Kollektivlob. Mit Bruno Decarli, dem
Darsteller der Titelrolle, einem neuen Gewinn aus
Leipzig, bildeten die Herren Klein=Rohden, Herzfeld,
Salfner Abel, Landa, Adalbert, Gottowt u. a. ein
Ensemble, auf das Direktor Barnowsky stolz sein
kann, wie auch auf seine Regieführung, deren flottes
Tempo über viele Längen glücklich hinweghalf.
Von einer kleinen Nebenrolle abgesehen, tritt keine
Frau in dem Stück auf, und von Liebe und Erotif
finden sich in ihm keine Spur. Und das will ei
Schlic ssein! Ich verstehe die Welt nicht meht
box 30/1
Ausschmilt aus:
„Msisee Zeitung, Steitin
59 11. 1914
vom:

Eine Arzt-Ko ie von Schnitler.
Aus Berlin wird uns geschrieben: In dem neuen Werke
Arthur Schnitzlers, der fünfaktigen Komödie „Professor
Bernhardi“, die am Kleinen Theater ihre Urauffüh¬
rung erlebte, klingen zwei Grundmotive seines Schaffens zusam¬
men, die schon oft in ihrer tieferlebten Melodie die heimliche Fuge
seiner Werke gebildet haben: Seelenlage und Seelenkonflikt des
Arztes und der konfessionelle Zwiespalt unsever Zeit, wie er in der
Judenfrage zum Ausdruck kommt. Der Held ist Arzt und ist
Jude, und daß in einem dramatischen Augenblick seine Welt¬
anschauung mit aufwallender Heftigkeit in den Kreis seiner beruf¬
lichen Pflichten eingreift, das bietet den tragikomischen, eine Zeit
lang sogar sehr tragisch botonten Konflikt des Dramas. Der be¬
rühmte Internist Professor Bernhardi verweigert einem Priester
den Zutritt zu dem Sterbelager eines jungen Mädchens, das in
seiner Klinik in der letzten Todesverzückung, ihres Schicksals un¬
bewußt. den Geliebten erwartet und das der den Trost der Reli¬
1
gios bringende Geistliche aus der letzten irdischen Seligkeit in die
bittere Todesgewißheit hinüberführen würde. Diese Handlung,
die der für das leivliche Wohl seiner Kranken sorgende Arzt für
berechtigt hält, die aber kein Verständnis für den tieferen Sinn
der katholischen Religion beweist, bringt dem Professor eine Fülle
von Unannehmlichkeiten; er wird von seinem Amte suspendiert,
eines Religionsvergehens angeklagt und zwei Monate ins Gefäng¬
nis gesperrt. Und schließlich muß er sich von einem weltklugen
Hofrat sagen lassen, daß er, der Arzt ist mit Leib und Seele und¬
die politisch=religiösen Wirrungen qualvoll empfindet, übereilt ge¬
handelt habe, daß ihm das Zeug zum Bekenner, zum Reformator
und Märtyrer fehle und daß es richtiger sei, nicht unüberlegt
einen Schritt zu tun, dessen letzte Konsequenzen man dann nicht
ziehen wolle. Der Grundfehler des Dramas, das in vielen
Szenen die reife Kunst der Charaktergestaltung und in feinen Be¬
nerkungen des Dialogs die abgeklärte Weltweisheit des Dichters
verrät, scheint mir darin zu liegen, daß Schnitzler seinem Helden
gegenüber eine zwiespältige Stellung einnimmt. In den ersten
drei Akten stellt er uns in ihm ein Idealbild eines echten Mannes
und großen Gelehrten vor, während in den beiden Schlußakten die
ernsten und mannhaften Töne ins Ironische, Skeptische, Ko¬
mödienhafte angedeutet werden. Und so fällt auch der künstle¬
rische Stil auseinander: zuerst wuchtige Schlager, eine spannende
„Dramatik, die bei dem Wiener Meister sogar bisweilen grell und
habsichtlich anmutet, und dann ein spielerisch leichtes Ausklingen
In eleganter Causerie. Die ungewohnte Theatralik
in ihrer
Mischung mit dialektischer Grazie fand ein begeistertes Publikum,
das dem Werk einen starken Erfolg bereitete
Dr. P. L.