II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 16

25. PrefessenBernhad1
Arthur Schnitzlers neue Komödie.
„Professor Bernhardi“, Komödic in fünf Akten
von Arthur Schnitzler. — Uraufführung im „Klei¬
nen Theater“ in Berlin am 28. November.
Berlin, 29. November. (Priv.=Tel.)
Arthur=Schnitzlers neue Komödie „Professor
Vernhardi“ spielt sich nur scheinbar vor Kulissen ab. In
Wirklichkeit wird sie zwischen Spiegeln agiert.
Tatsache ist, daß der Professor für innere Medizin und
Direktor des „Elisabethinums“ Bernhardi den Geistlichen, der
mit den heiligen Sterbesakramenten kam, zu der Sterbenden
nich: einließ, weil sie sich in der Illusion völliger Gesundung
befand. Er wollte sie vor dem Todesgrauen schützen, das mit
diesem Todestrost zugleich ihre Schwelle überschreiten mußte.
Für Professor Bernhardi als Menschen sagt diese Tatsache
manches, doch nicht allzu viel aus; für die Komödie bedeutet
sie einen „Konflikt“.
Aber der Konflikt ist wiederum nur ein Vorwand im Hin¬
blick auf das Problem, das nur gestreift wird; im Hinblick
auf die Handlung, die alsbald ihre eigenen Wege geht; in Hin¬
blick auf den Dichter, dem es weder auf die Handlung, noch
auf den Professor Bernhardi ankommt, sondern auf die vielen
Spiegel, die er zurecht rücken wird.
Wen etwa die Frage interessieren sollte, ob der Arzt ein
Recht habe, den Geistlichen von einem Sterbenden fernzu¬
halten, der wird in Schnitzlers Komödie vergeblich nach einer
Antwort suchen. Wichtiger als der handelnde Mensch er¬
scheint alsbald der Ort der Handlung. Das ist Wien, das
ist das von Parteiungen aller Art zerrissene Oesterreich. Die
klerikale Frage war in dem Konflikt latent; die Judenfrage —
Professor Bernhardi ist Jude — wird mit eingeführt. Die
alldeutschen Elemente im „Elisabethinum“, machen gegen
Bernhardi mobil; die klerikale Partei stellt ihn vor das Di¬
lemma: entweder Interpellation im Parlament odex Wahl
des uns genehmen Kandidaten in den Vorstand des „Elisa¬
bethinums“; die Regierung, in einem Jugendireund Bern¬
hardis, dem Unterrichtsminister Dr. Flint, verkörpert, laviert
zwischen den Parteien.
Schon damit, daß Professor Bernhardi durch das Vorgehen
der klerikalen Partei vor eine neue Entscheidung, die mit dem
Konflikt nichts zu schaffen hat, gestellt ist, ist die Handlung
aus ihrem ursprünglichen Bett abgelenkt. Bernhardi gibt den
klerikalen Wünschen nicht nach. Der Minister sieht sich durch
die Haltung des Parlaments genötigt, ihn preiszugeben; es
wird eine Untersuchung wegen Religionsverletzung gegen
Bernhardi eingeleitet. Infolge neuer Handlungswillkürlich¬
keiten läuft der Prozeß zu seinen Ungunsten aus; er wird zu
einer Gefängnisstrafe verurteilt, büßt zwei Monate Haft ab
und sieht sich zum Schlusse neuer Willkürlichkeiten vor einer
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Wiederaufnahme seines Prozesses, die ihn in jeder Weise
Bühne rief, war laut. Man
rehabilitieren und rechtfertigen wird.
Verstandes, die Medisance w#
Aber auch der Gang der Handlung ist nur — ein Vorwand.
Der Gang der Handlung, auf den es Schnitzler ankam, und
der vielleicht dieses tänzelnde und sprungweise Vorgehen er¬
forderlich machte, führte — vor den Spiegel. In Wirklichkeit
Kleines
ist der gekennzeichnete Verlauf der Begebenheiten nichts als
ein Mittel, die öffentlichen Zustände Oesterreichs zu spiegeln.
0 Italien, Albanien
Fand der Wiener Zensor, der die Komödie verbot, daß dieses
aus Mailand: Der Bolo
Spiegelbild nicht sonderlich schmeichelhaft ausfällt, so hatte er
öffentlicht einige Briefe, die
darin recht. Nur ist es nicht immer ein Zeichen von Klugheit,
vanni Codronchi geschrie
nicht immer ein Zeichen von Kraft, in den Spiegel zu schlagen.
geht, daß Bismarck im J
Sehr viel wichtiger aber als diese äußere Spiegelung ist
nien anbot als Entschädigu
uns, die wir nichts mit der Kunst der Politik, umsomehr mit
währte Besetzung von Bosn
der Politik der Kunst zu schaffen haben, die Innenspiegelung.
aber der Minister des Ausn
In ihr ist, wenn ich sonst etwas in dieser Komödie vermisse:
ausschlug. Die beiden Brie
Artbur Schnitzler. Prof. Bernhardi war seiner Sache sehr
„Bureau des Adv.
sicher, er war seiner „Ueberzeugung“ gefolgt. Aber was ist
„Ueverzeugung“? Der sehr weltkluge Minister wird dem
Ver
Professor sagen, wichtiger als die Ueberzeugung im Einzelfalle
sei das Gesamtziel, an das sich doch auch Ueberzeugung heftet.
Lieber Freund. Mein
Der sehr weltkundige Geistliche, derselbe, den Bernhardi aus
daran, Dir so zu schreiben,
dem Sterbezimmer wies, wird das Gleiche auf seine Weise be¬
die Folgen der Influenza ng
kunden: Heiliger als eine beliebige Wahrheit sei die Gesamt¬
Albanien ist ein Thema, du
wahrheit, der man diene. Was also ist „Ueberzeugung"? Der
handeln kann, und ich vert
Skeptiker antwortet: der Impuls, dem nur der Troddel folgt,
dem ersten Ministerium Dep
und dem zu folgen den Troddel liebenswürdig macht.
gung für Bosnien und die
Zwischen Spiegeln, die eine so feine und kluge Hand ge¬
deren Abtretung an Oesterrel
schliffen. spielt sich Schnitzlers neue Komödie ab. Aber frei¬
leistete. Die Ministerkrisis r
lich nachher, wenn der Lichterglanz erloschen, hat man ein
Verhandlungen. Cairoli woll
wenig das Gefühl, aus einem wirrenden Spiegelkabinett heim¬
weigerte sich sogar, meine Ka
gekehrt zu sein.
aus dem Jahre 1877 darüber
In mehr als einer Beziehung gibt sich „Professor Bern¬
riode der Verschwörungen e
bardi“ als eine Art Forisetzung des „Wegs ins Freie“. Da¬
meiner Abwesenheit ohnmäch
durch aber, daß Schnitzler die Judenfrage in einen Konflikt,
daß man schwerlich noch helft
der an sich nichts, aber auch gar nichts damit zu schaffen hat,
geschimpft und Italien verlo#
hineingezogen, nahm er der Problemgestaltung die Geschlossen¬
umarme Euch nur noch als
heit und innere Klarheit, ohne die nichts auf der Bühne be¬
stehen kann, und indem er allzuviele Spiegelungen schuf, den
Villa Coppola a Bellabi
Professor Bernhardi und seine rasche Tat in allzuvielen Be¬
Ps. Ihr begreift sehr n
leuchtungen zeigte, nahm er dem Professor selber — ja, wie soll
schrieben, nicht der Gegenstan
ich sagen? — sein schlichtes Menschentum, Hätte man nur
Der zweite Brief lautet:
einen Augenblick die Ueberzeugung gehabt: der Mann handelt
„Be
so, weil sein volles Herz ihn treibt, hätte sich diese Ueberzeug¬
Lieber Freund, Was ich
ung im Verlaufe des Spiels verstärkt statt abgeschwächt, man
hätte mitfühlen können, so dachte man nur mit.
ständig, ich teilte Euch nicht
Herr Decarli, der Darsteller des Professors Bernhardi
der Besetzung Bosniens und
auf der Bühne des „Kleinen Theaters“ ist von der
reich widersetzten. Italien h
Schuld, die an sich geringen Gefühlswerte noch herabgesetzt zu
Oesterreich mit seinen neuen
haben, nicht freizusprechen. Er erwies sich als sehr gewandter
unser Interesse, daß das n
Darsteller, aber er gab dem Professor einen Zug von Selbst¬
auch Albanien erhielte, so m
gefälligkeit, der eine unnütze und feindliche Komplikation be¬
uns verloren, wie es die
deutet. Im übrigen verdiente die Aufführung — ich denke vor
Biserta ist. Glücklicherwei
allem an die Herren Abel, Landa, Klein=Rohden — alle
offen, da der Berliner Kong
1 Anerkennung. Der Beifall, der Schnitzler wiederholt auf die 1 dig der Herrschaft Oesterrei