box 30/1
25. BrofessoBernhaa
Ausschnitt aus:
ger Curresgandem
vom: 1 191
unser
1e
1
—
Kleines Feujllgton.
raalelt
Man schreibf uns aus Berlin:
rs. Am Todestage Otto Brahms hielt Schnitler mit
seinem neuen Werk, dem diesmal trotz der Tradition das
Lessingtheater nicht zur Verfügung stand, Einzug in Bar¬
kowskys Kleines Theater. Die glänzende Darstellung
Konnte den Dichter überzeugen, daß er auch bei dem künftigen
Direktor des Lessingtheaters nicht schlecht aufgehoben sein wird.
Schnitzlers Männerstück, Profes
Bernhardi ver¬
schmäht jede Liebesepisode und verzichtet fast gänzlich auf das
weibliche Element. Das „süße Wiener Mädel“ spielt diesmal
nur sterbend hinter den Kulissen mit und seine Todesstunde ist
es, die die Leidenschaften entfacht und die Parteien wild um
den zurückhaltenden, vornehm und einfach denkenden Arzt Pro¬
fessor Bernhardi hetzt. Diese Komödie ist eigentlich mehr ein
(Tendenzstück, dessen Konflikt dem Arzt Schnitzler recht nahe ging
und dessen Richtung durch die Atmosphäre des Wiener Anti¬
semitismus verschärft wurde. Professor Bernhardi, der diri¬
gierende Arzt des „Elisabethinums, verwehrt dem Priester den
Eintritt zu seiner Kranken, einem blutjungen Mädchen, das das
bißchen Jugendleichtsinn mit dem Tode bußen muß. Die Kranke
ist längst aufgegeben, befindet sich aber in jenem seltsam hoff¬
nungsvoll glückseligen Zustand, der demTode oft vorangeht. Prof¬
Bernhardi will der Sterbenden den Glauben an ihre baldige
Genesung nicht rauben, will das Mädchen, umgaukelt von schön¬
sten Vorstellungen, hinüberschlummern lassen und bittet deshalb
den Geistlichen, darauf zu verzichten, ihr die letzte Oelung
reichen. Der Konflikt ist gegeben: Wissenschaft und Glaube stehen
einander gegenüber und streiten um das Recht der Pflichterfül¬
lung. Da der Geistliche den bittenden Vorstellungen des Arz¬
tes kein Gehör schenkt, weist Professor Bernhardi auf seine Rechte
als Arzt hir und berührt zur Bekräftigung seiner Worte impul¬
siv die Schulter des Priesters. Der abgewiesene Geistliche geht
ruhig seines Weges: aber Feinde, Neider, antisemitische Gegner
Bernhardis beginnen nun, ihm aus dieser ganz privaten Ange¬
legenheit einen Strick zu drehen. Binnen 24 Stunden wird der
geringfügige Vorfall verzerrt und vergröbert in der Oeffentlich¬
keit breitgetreten und antisemitische und klerikale Zeitungen be¬
nutzen die Geschichte zu Agitationszwecken. Bernhardi verzich¬
tet auf den ihm vom Unterrichtsminister, seinem ehemaligen
Freund und Kollegen, gemachten Vorschlag, den Geistlichen um
Entschuldigung zu bitten; die gerichtliche Untersuchung wird
eingeleitet
und
Bernhardi wird als
Eli sabethinums
Direktor
einstweilen
des,
suspendiert. Durch
falsche Zeugenaussage einer hysterischen Kranken¬
schwester, die behauptet, daß der Professor den Geist¬
lichen mit Gewalt zurückgestoßen habe, verliert Bernharbi den
Prozeß und wird zu zwei Monaten Gefangnis verurteilt. Bern¬
nimmt das Urteil ruhig entgegen und erledigt seine Strafe
ngenehme Angelegenheit, der man sich schlechten
edings nicht
n kann. Die Ovationen bei seiner Entla
us dem
nis sind ihm epenso peinlich, wie der Lär
Pro
seinem
eß voranging. Als die Krankenschwester se
gepei¬
nigt von Gewoissensbissen, ihre falsche Zeugenaus
aglich
eingesteht, schlägt Bernhardt das Wiederaufnahm
ener
gisch aus. Er will nur seine Ruhe haben, will kein
der
politischen Richtung angehören, sondern nur wie
schen
gesund machen. Die bedeutungsvollste Szene des Sti
bildet
der Dialog zwischen Bernhardt und dem Geistlichen im dritten
Akt. Hier stehen sich zwei Bänner der entgegengesetztesten Weltan¬
schauungen gegenüber. Beide wollen das Beste, beide glauben
sich im Recht, sie fühlen, daß sie sich gegenseitig achten müssen, aber
auch, daß eine Welt sie trennt und daß sie niemals einander ver¬
stehen können. Und es ist ein großer Moment, als die beiden sich
dennoch über den Abgrund hinweg die Hand reichen. Um dieser
Szene willen ist höchstwahrscheinlich Schnitzlers Komödie im katho¬
ischen Oesterreich verboten worden.
Bruno Decarli gab mit angenehm berührender Ruhe
und Vornehmheit den Professor Bernhardi als zurückhaltenden:
Gelehrten, Klein=Rhoden, Herzfeld, Salfner, schufen
gute und interessierende Typen. Fein, glatt, klug und elegant
war Max Landa als Unterrichtsminister und Max Adal¬
bert war als „Anarchist“ mit der Hofratswürde zwar keines¬
wegs wienerisch, aber er bewies, daß es keiner so wie er versteht,
kleine allerliebste kecke Niederträchtigkeiten mit trockenem
doch liebenswürdigem Humor auf der Bühne zu sogen. Er allein
trug den Erfolg des fünften Aktes. Abel war ein ernster und
sympathischer junger Priester. Direktor Barnowskys glän¬
zende Regie schuf lebendige, interessierende Ensembleszenen. Die
Aufnahme war nach den ersten beiden Akten kühl.
Nach dem
dritten und letzten Akt aber konnte sich Schnitzler häufig vor
dem applandierenden Publikum verneigen.
25. BrofessoBernhaa
Ausschnitt aus:
ger Curresgandem
vom: 1 191
unser
1e
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Kleines Feujllgton.
raalelt
Man schreibf uns aus Berlin:
rs. Am Todestage Otto Brahms hielt Schnitler mit
seinem neuen Werk, dem diesmal trotz der Tradition das
Lessingtheater nicht zur Verfügung stand, Einzug in Bar¬
kowskys Kleines Theater. Die glänzende Darstellung
Konnte den Dichter überzeugen, daß er auch bei dem künftigen
Direktor des Lessingtheaters nicht schlecht aufgehoben sein wird.
Schnitzlers Männerstück, Profes
Bernhardi ver¬
schmäht jede Liebesepisode und verzichtet fast gänzlich auf das
weibliche Element. Das „süße Wiener Mädel“ spielt diesmal
nur sterbend hinter den Kulissen mit und seine Todesstunde ist
es, die die Leidenschaften entfacht und die Parteien wild um
den zurückhaltenden, vornehm und einfach denkenden Arzt Pro¬
fessor Bernhardi hetzt. Diese Komödie ist eigentlich mehr ein
(Tendenzstück, dessen Konflikt dem Arzt Schnitzler recht nahe ging
und dessen Richtung durch die Atmosphäre des Wiener Anti¬
semitismus verschärft wurde. Professor Bernhardi, der diri¬
gierende Arzt des „Elisabethinums, verwehrt dem Priester den
Eintritt zu seiner Kranken, einem blutjungen Mädchen, das das
bißchen Jugendleichtsinn mit dem Tode bußen muß. Die Kranke
ist längst aufgegeben, befindet sich aber in jenem seltsam hoff¬
nungsvoll glückseligen Zustand, der demTode oft vorangeht. Prof¬
Bernhardi will der Sterbenden den Glauben an ihre baldige
Genesung nicht rauben, will das Mädchen, umgaukelt von schön¬
sten Vorstellungen, hinüberschlummern lassen und bittet deshalb
den Geistlichen, darauf zu verzichten, ihr die letzte Oelung
reichen. Der Konflikt ist gegeben: Wissenschaft und Glaube stehen
einander gegenüber und streiten um das Recht der Pflichterfül¬
lung. Da der Geistliche den bittenden Vorstellungen des Arz¬
tes kein Gehör schenkt, weist Professor Bernhardi auf seine Rechte
als Arzt hir und berührt zur Bekräftigung seiner Worte impul¬
siv die Schulter des Priesters. Der abgewiesene Geistliche geht
ruhig seines Weges: aber Feinde, Neider, antisemitische Gegner
Bernhardis beginnen nun, ihm aus dieser ganz privaten Ange¬
legenheit einen Strick zu drehen. Binnen 24 Stunden wird der
geringfügige Vorfall verzerrt und vergröbert in der Oeffentlich¬
keit breitgetreten und antisemitische und klerikale Zeitungen be¬
nutzen die Geschichte zu Agitationszwecken. Bernhardi verzich¬
tet auf den ihm vom Unterrichtsminister, seinem ehemaligen
Freund und Kollegen, gemachten Vorschlag, den Geistlichen um
Entschuldigung zu bitten; die gerichtliche Untersuchung wird
eingeleitet
und
Bernhardi wird als
Eli sabethinums
Direktor
einstweilen
des,
suspendiert. Durch
falsche Zeugenaussage einer hysterischen Kranken¬
schwester, die behauptet, daß der Professor den Geist¬
lichen mit Gewalt zurückgestoßen habe, verliert Bernharbi den
Prozeß und wird zu zwei Monaten Gefangnis verurteilt. Bern¬
nimmt das Urteil ruhig entgegen und erledigt seine Strafe
ngenehme Angelegenheit, der man sich schlechten
edings nicht
n kann. Die Ovationen bei seiner Entla
us dem
nis sind ihm epenso peinlich, wie der Lär
Pro
seinem
eß voranging. Als die Krankenschwester se
gepei¬
nigt von Gewoissensbissen, ihre falsche Zeugenaus
aglich
eingesteht, schlägt Bernhardt das Wiederaufnahm
ener
gisch aus. Er will nur seine Ruhe haben, will kein
der
politischen Richtung angehören, sondern nur wie
schen
gesund machen. Die bedeutungsvollste Szene des Sti
bildet
der Dialog zwischen Bernhardt und dem Geistlichen im dritten
Akt. Hier stehen sich zwei Bänner der entgegengesetztesten Weltan¬
schauungen gegenüber. Beide wollen das Beste, beide glauben
sich im Recht, sie fühlen, daß sie sich gegenseitig achten müssen, aber
auch, daß eine Welt sie trennt und daß sie niemals einander ver¬
stehen können. Und es ist ein großer Moment, als die beiden sich
dennoch über den Abgrund hinweg die Hand reichen. Um dieser
Szene willen ist höchstwahrscheinlich Schnitzlers Komödie im katho¬
ischen Oesterreich verboten worden.
Bruno Decarli gab mit angenehm berührender Ruhe
und Vornehmheit den Professor Bernhardi als zurückhaltenden:
Gelehrten, Klein=Rhoden, Herzfeld, Salfner, schufen
gute und interessierende Typen. Fein, glatt, klug und elegant
war Max Landa als Unterrichtsminister und Max Adal¬
bert war als „Anarchist“ mit der Hofratswürde zwar keines¬
wegs wienerisch, aber er bewies, daß es keiner so wie er versteht,
kleine allerliebste kecke Niederträchtigkeiten mit trockenem
doch liebenswürdigem Humor auf der Bühne zu sogen. Er allein
trug den Erfolg des fünften Aktes. Abel war ein ernster und
sympathischer junger Priester. Direktor Barnowskys glän¬
zende Regie schuf lebendige, interessierende Ensembleszenen. Die
Aufnahme war nach den ersten beiden Akten kühl.
Nach dem
dritten und letzten Akt aber konnte sich Schnitzler häufig vor
dem applandierenden Publikum verneigen.