II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 38

Ballast für einen Selbständigen und Freien, der die große Affäre von Kirchentum und Wissenschaft auf. Priester und Arzt reichen
als eine Episode seines Lebens empfindet.
einander „über einem Abgrund“ die Hände. Es ist die stärkste
Es ist nicht der Rechtkampf des Professor Bernhardi allein,
und darum schönste Stelle des Werkes, das hier einen realen Vor¬
nicht die Sensationshandlung, was uns für den neuen Schnitzler
gang zum kühnen Symbol werden läßt. B.=Z. am Mittag, Berlin
so einnimmt. Wahrscheinlich ist es vom Standpunkte des Dramas
gesehen garnicht ein so einwandfreies und durchknetetes Stück, wie
Der Zeit ihren Spiegel vorhalten: das hat Shakespeare
es sich beim ersten Außern gibt. Es wird darin zuviel gesprochen
empfohlen, das hat Arthur Schnitzler gewollt. Es sind öster¬
und verteidigt und aufgerollt, was in Polemiken über Religions= reichische, nicht immer menschliche Zustände, die diese Komödie
und Rassenfragen gehört und sich in seiner rhetorischen Wirkung aufgenommen hat, und die Wiener Zensur hat gefürchtet, daß die
mit der Zeit abschwächen muß. Aber das Übermaß an Worten k. k. Untertanen sich in diesem Spiegel nicht geschmeichelt finden
und kürzer faßbaren Auseinandersetzungen hat Schnitzler nicht würden. Uns geht die Sache mehr von weitem an, und wir
gehindert, lauter gesehene Menschen zu schildern, sie bei ihren konnten uns an dem männlichen Werk eines dichters freuen,
Funktionen aufzunehmen, ihre Liebenswürdigkeit, ihre Verstellungen, der seine Sache ursprünglich mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit
ihr Strebertum, ihre Abhängigkeit, ihre Korruption, ihre Reserve angefaßt hat, um sie durch Besonnenheit zu dämpfen und durch
und ihr Draufgängertum schlagend zu treffen. Er schildert ein Spott zu würzen. Es ist ein männliches werk, auch dadurch
Stück Oesterreich, die Donauresidenz der Konfessionen und Parteien,
gestempelt, daß die Frauen daraus so gut wie ausgeschlossen sind.
der kleinen und großen politischen Händel. Und das gelang ihm
Das Publikum zeigte sich jedenfalls zufrieden und dankte
so gut, daß sich der Grundton seiner aufregenden Komödie wandelte,
dem dichter wiederholt für eine ungewöhnlich gute Unter¬
daß seriöse Konflikte ihren Ausklang in sehr heiteren, sehr bos¬
haltung.
Vossische Zeitung, Berlin
haften Situationen finden. Daß aus einer Erregung ein Gelächter
entsteht über Verhältnisse und Menschlichkeiten.
Allen Respekt vor Schnitzlers Charakterisierungskunst! Eine
den sieghaften Eindruck der Komödie half eine muster¬
Anzahl von Professoren und Dozenten läßt er aufmarschieren, von
giltige Aufführung bestärken, die um tüchtige Dialektiker eine kleine
denen jeder sein eigenes Gepräge hat, keine einzige Schablonen¬
Armee von Maskenkünstlern gruppierte.
figur! Professor Bernhardi selbst eine Prachtfigur; seine Wider¬
der dichter, der oft gerufen wurde, kann Zufrieden sein:
sacher, seine Freunde — lauter famose, fein beobachtete Gestalten
mit seinen darstellern, mit dem Publikum, mit den Energie¬
mit charakteristischen Eigenheiten. Der Priester, der Minister, der
quellen seines Werkes.
Berliner Börsen=Courier Hofrat — alle mit scharfen Strichen gezeichnet; nur eben: sie reden
zu viel. Und doch auch wieder zeigt sich Schnitzler in einer
wie Schnitzlers Theaterinstinkt diese vorgänge für die Reihe geistvoller wortplänkeleien als meister des Dialogs.
Szene zubereitet, ist erstäunlich. Man wird nicht viele in und man hielt sich an das Gute in dem Stück und applau¬
deutschland finden, die das wie er vermöchten, ohne geschmack¬
dierte dem dichter mit Ueberzeugung und herzlichkeit.
los zu werden. Es ist ein Triumph der Bühnentechnik. Der
Volkszeitung, Berlin
Dichter, der selbst von Hause aus Arzt ist, läßt ein medizinisches
Milieu aufleben. Alles rings lebt und bewegt sich aus der Kraft
Der neue Schnitzler, der fünfaktige, und desgleichen der lebendige,
einer unmittelbaren Anschauung, oft fast zu realistisch, zu sehr nicht mehr schlanke Schnitzler mit der langen noch blonden Locke und
Wahrheit und zu wenig Dichtung. Drei Akte lang bleiben die dem blonden Spitzbart wurden mit großer Wärme begrüßt.
Verhandlungen über das thema propositum trotz aller bewunderns¬
Die gute Aufnahme war nicht unverdient ... Auf alle Fälle
werten Klugheit der Szenenführung einigermaßen äußerlich, nicht
bedeutet es nicht wenig — nicht wenig an Bühnengewandtheit wie
eigentlich schnitzlerisch. Aber da kommt im vierten Aufzug eine an geistiger Beweglichkeit und innerer Wärme — daß diese Komödie
Szene zwischen dem Arzt und dem Priester, der den Gegner nach der Erörterungen so stark fesselte und den Eindruck hinterlassen
der Verurteilung aufsucht — und dies Gespräch, in dem zwei konnte, wohl das mannhafteste Stück Arbeit in Arthur Schnitzlers
Weltanschauungen ohne Phrase einen Mensurgang miteinander aus= bisherigem lebenswerk (neben dem „Weg ins Freie“) zu sein.
fechten, hob das Ganze sofort in eine andere, höhere, nun erst
Tägliche Rundschau, Berlin
wirklich Schnitzlers ganz würdige Sphäre. Und der Schlußakt im
Mit dem fünfaktigen Drama Professor Bernhardi, das am
„K. K. Ministerium für Kultus und Unterricht“ steigt, fast uner¬
Donnerstag, den 28. seine Uraufführung im Kleinen Theater erlebte,
wartet, zur Höhe der Komödie auf, wo nicht das wichtig ist, daß
hat Arthur Schnitzler sicher eines seiner merkwürdigsten und
der aus dem Gefängnis heimgekehrte Bernhardi hört, seine verlogen¬
bedeutenasten Stücke geschrieben .. Trotzdem bleibt Schnitzlers
hysterische Belastungszeugin, jene Schwester, habe revoziert, sondern
Professor Bernhardi eine sehr bedeutsame leistung, die erste
die ewig alte, ewig neue Erkenntnis, daß die Welt ein Gaukelspiel
wirkliche Premiere des Berliner Winters. Kölnische Zeitung
ist. So wurde es ein außerordentlicher Erfolg.
Berliner Morgenpost
Auch an ungemein witzigen Worten und Situationen, die das
Mit der ganzen Kunst seiner Charakterskizzierung zeichnet
österreichische Beamtentum, seine lässige Gemütlichkeit auch in tief¬
Schnitzler gleich beim Professorenaufmarsch des ersten Aktes die
ernsten Dingen treffen, fehlt es nicht und sie wurden vollauf ver¬
Biedermänner. Schnitzler, der Arzt ist, ist hier auf einem Boden, den
ständen und herzlich belacht, wie denn der Abend überhaupt zu
er gut kennt. Er hat in seinen Novellen viel Wunderschönes zur
einem lebhaften Erfolg wurde. der dichter erschien über ein
Psychologie der Sterbestunde beigesteuert; diesmal läßt er aus dem
Dutzendmal.
Pester Lloyd, Budapest
Verscheiden eines Mädchens, dem durch das Erscheinen eines
Priesters nicht die letzten Hoffnungsminuten zur Todesgewißheit
Professor Bernhardi, das neue Drama von Arthur Schnitzler,
werden sollen, einen Gewissenskonflikt von tragischer Schärfe auf¬
hatte im Kleinen Theater einen großen Erfolg. Es ist sehr be¬
steigen. Der Arzt will seiner Kranken ein glückliches Sterben ver¬
dauerlich, daß es diesem Stück versagt ist, in Wien aufgeführt zu
schaffen, der Priester will sie nicht ohne den Zuspruch der Religion
werden ... Aber es ist ein starker beweis für die künsi¬
ins Jenseits lassen. Zwei Weltanschauungen stehen gegen einander; lerischen qualitäten des neuen Schnitzlerschen Dramas, daß es
Ethik gegen Ethik Und wenn, nach erfolgter Verurteilung, der auch ein Berliner Publikum für sich gewonnen hat, dem die
Priester bei Bernhardi erscheint, um ihm zu sagen, daß er sein verhältnisse und die menschen, die er schildert, ziemlich fremd
Verhalten verstehe, daß er aber vor Gericht nicht so sprechen sind. Es gab beifall nach jedem Akt, manchmal sehr starken
durfte, — da rollt der Dichter mit einem Schlage den Gegensatz beifall.
Neue Freie Presse, Wien