25 Professer Bernhandi
Schnitzler, Arthur, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten.
Uraufführung im Kleinen Theater zu Berlin am 28. November 1912.
Eine Sterbende, in Euphorie, wie die Aerzte das nennen.
Das junge Mädchen glaubt in einer Stunde aufstehen zu
dürfen, wo sie auch ihr Bräutigam abholen wird. Da
naht, von Ludmilla, der Krankenschwester, gerufen, der
Pfarrer der Kirche zum heiligen Florian, Franz Reder, mit
den Sterbesakramenten. Aber der Professor für interne
Medizin und Direktor des Elisabethinums, Dr. Bernhardi,
läßt den Priester nicht zur Sterbenden, als Arzt wie als
Mensch: man soll das Mädchen nicht aus der vielleicht
seligsten Stunde ihres Lebens reißen: ja sogar der bloße
Anblick des Seelsorgers könnte den Tod nur beschleunigen,
wie schon oftmals vorgekommen. Dem hält der Priester
entgegen, daß ohne Sakrament nicht nur die Seele für ewig
verloren gehe, sondern selbst im Sterben Liegende seien durch
den Trost der Kirche wieder gesund geworden, wie schon
vielmals geschehen. Und während die beiden Weltanschau¬
ungen, wie durch Meere voneinander getrennt, noch so
streiten, ist drinnen der Tod eingetreten. Ich selber kannte
einen Arzt, der mir ein väterlicher Freund gewesen. Und
dessen Sohn, gleichfalls Arzt, ließ in der Sterbestunde seines
Vaters den von der sehr frommen Mutter herbeizitierten
hohen geistlichen Würdenträger und einst sehr bekannten
Politiker genau so lange draußen warten, als bis die Auf¬
lösung erfolgt war. Ich setze das hierher, nicht allein um
das Typische des Falles darzutun oder um zu zeigen, wie
poetisch Schnitzler seinen besonderen Fall mit jener Euphorie
ausgestattet hat, sondern vor allem aus einem andern Grunde:
wer von den Lesern hätte da sogleich daran gedacht, daß
derjenige, der als Arzt wie als Mensch (jener Sohn war
ein Freigeist und Dichter!) dem Priester den Eintritt ver¬
wehrt, um jeden Preis dazu noch ein Jude sein müsse?
Wenigstens der Leser innerhalb des Deutschen Reiches wird
dies Hereinziehen der Judenfrage in die von Tod und
Sterben angefüllte und geheiligte Atmosphäre geschmacklos
finden. Doch die S.sche „Komödie“ spielt ja in Oester¬
reich*), in diesem Kreislerladen von konfessionellen und
nationalen Fragen, wo alles und jedes politisiert. Und so
ist dem Dichter die ganze Sterbeszene, die wir, obwohl sie
hinter der Bühne sich abspielt, so ergriffen miterleben, nur
ein Vorwand zur Aufrollung der Judenfrage und anderer,
insbesondere österreichischer Politik. Zur Aufrollung der
Judenfrage: aber ohne daß „der Weg“ dabei sonderlich
„ins Freie“ führte, wie ich von vornherein kritisch bemerken
möchte. Und anderer, insbesondere österreichischer Politik:
wobei der Dichter nach vier Akten durchgehaltenen Schau¬
spiels im fünften in leichtfertigere, in Simplizissimus= und
beinahe Brettlstimmung umschlägt, was er sehr nachträglich
dann mit dem Untertitel „Komödie“ welcher aber nur auf
den letzten Akt paßt, wieder gutzumachen sucht. Dabei ist
das Ganze voll herrlicher Einzelheiten. All die fünfzehn
Aerzte, Professoren, Dozenten, Assistenten, Kandidaten, ein
Professor der Unterrichtsminister geworden ist, und ein
kleiner Bezirksarzt, all die fünfzehn Medizinmänner sind
mit einzigartiger Technik unterschieden. Und mehrere ge¬
taufte wie ungetaufte Juden gelingen ihm so wie ein paar
Arier, worunter der Hofrat Dr. Winkler, schlechterdings
famos. Nur der Titelheld ist, genau wie sein Name, bei
weitem nicht jüdisch genug geraten. Die Herausbringung
(die Uraufführung geschah an dem Tage und schier in der¬
selben Stunde, da Direktor Dr. Otto Brahm verschied) unter
Direktor Victor Barnowskys Regie war eine meisterhafte
und würde Barnowskys Anwartschaft auf die Nachfolge
*) wo sie verboten ist.
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Brahms restlos und als alleinig berechtigt erwiesen haben,
falls das noch nötig gewesen wäre. In einer der folgen¬
den, wohl täglich ausverkauften Aufführungen, der auch
Schreiber dieses beizuwohnen die Ehre hatte, waren Gerhart
Hauptmann, Georg Hirschfeld und Karl Schönherr zugegen.
nach der Trauerfeier um Brahm abends bei Barnptsky.
Heinrich Lautensack.
Bahr, Hermann, Das Prinzip. Lustspiel in drei Heken.
Erstaufführung im Kgl. Schauspielhaus zu Dresden am 22. Dezember
1912.
Im zweiten Akt des neuesten Bahr wird von der
Köchin Lene Kuh ein Gugelhupf gebacken mit Streuzucker
und Mandeln, aber der Teig wird nur zubereitet, und der
Schaum dazu geschlagen, und wenn der Vorhang zum
zweiten Male fällt, ist das Meisterwerk der Kochkunst noch
nicht vollendet. Dieser Gugelhupf, der in der Pfanne
stecken bleibt, ist ein Symbol für das ganze Stück. Viel
streuzuckrige Witzchen und geistvolle Mandelkernchen, viel
eifrige und gewandte Schaumschlägerei, aber der Teig ist
zähe, und das Backwerck bleibt klitschrig und wird kein
Leckerbissen für Feinschmecker. Ein bischen reichlich viel an
Gutgläubigkeit wird dem Publikum abverlangt. Um des
„Prinzips“ der natürlichen durch keinen Zwang gehemmten
Erziehung willen soll ein sonst ganz normales und ge¬
bildetes Ehepaar nicht nur nichts dagegen haben, daß der
siebzehnjährige Sohn, der Gymnasiast, eine Köchin heiratet,
und die höhere Tochter mit einem pietistischen Gärtner¬
burschen durchgeht, sondern ihnen auch noch zureden und
zu diesem Zweck der resoluten Köchin einen Besuch in der
gräflichen Küche machen. Die Natur ist freilich weiser als
das Prinzip. Sie sorgt dafür, daß Hans seiner Köchin
schon drei Tage später eine Nachfolgerin in seinem leicht
entzündlichen Herzen gibt, und Lene ihren Oberkellner kriegt,
indes der fromme Gärtner die entführte Luz reuevoll wieder
abliefert. Es ist schade um das Problem, das wohl Stoff
zu einer echten Komödie gäbe, hier aber nur zu Situationen
herhalten muß, die stark ans Possenhafte grenzen. Um
gewisse Szenen zu ermöglichen, die an sich ja höchst frei¬
gebig mit Streuzucker und Mandeln durchsetzt sind, müssen
die Figuren, besonders die beiden Eltern, nach des Dichters
Pfeife tanzen; von wirklichen satirischen Charakterbildern
sind diese Mischungen aus Klugheit und Eselhaftigkeit weit
entfernt. Es versteht sich von selbst, daß ein Humorist wie
Bahr, auch wenn er bedenklich ins Schwankmäßige abbiegt,
immer noch genug Anmut des Geistes, besonders in der
Dialogführung, bietet, um nie zu langweilen. Der Schlu߬
akt allerdings ist nach den saftigen Späßen des zweiten zu
matt und banal, und mit dem Namen eines Lustspiels tut
man dem Ganzen doch zuviel Ehre an. Die entzückende
Formvollendung und Feinheit des „Konzerts“ erreicht es
bei weitem nicht. Die Aufführung unter Fischer's Regie
war glänzend, und die Aufnahme der ersten beiden Akte
höchst lebhaft. Daß B. dankbare Rollen zu schreiben ver¬
steht, muß man zugestehn. Besonders erheiterte und ver¬
blüffte Teresina Oster, unsre junge Heroine, als tanzlustige,
derbe Köchin.
Alexander Pache.
Diederich, Benno, Prinzessin Ursula. Ein Weihnachtsmärchen in
fünf Akten. Leipzig, 1912. H. Haessel. (104 S. Kl. 8.) Kart.
M 3.
Uraufführung im Hoftheater zu Gera am 15. Dezember 1912.
Der Lübecker Benno Diederich, der sich nach anfänglich
eindringlicher Beschäftigung mit dem französischen Naturalismus
der Dichtkunst zugewandt und auch ein sehr beachtenswertes
Essaybuch über Hamburger Dichter geschrieben hat, debütierte
K*
Schnitzler, Arthur, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten.
Uraufführung im Kleinen Theater zu Berlin am 28. November 1912.
Eine Sterbende, in Euphorie, wie die Aerzte das nennen.
Das junge Mädchen glaubt in einer Stunde aufstehen zu
dürfen, wo sie auch ihr Bräutigam abholen wird. Da
naht, von Ludmilla, der Krankenschwester, gerufen, der
Pfarrer der Kirche zum heiligen Florian, Franz Reder, mit
den Sterbesakramenten. Aber der Professor für interne
Medizin und Direktor des Elisabethinums, Dr. Bernhardi,
läßt den Priester nicht zur Sterbenden, als Arzt wie als
Mensch: man soll das Mädchen nicht aus der vielleicht
seligsten Stunde ihres Lebens reißen: ja sogar der bloße
Anblick des Seelsorgers könnte den Tod nur beschleunigen,
wie schon oftmals vorgekommen. Dem hält der Priester
entgegen, daß ohne Sakrament nicht nur die Seele für ewig
verloren gehe, sondern selbst im Sterben Liegende seien durch
den Trost der Kirche wieder gesund geworden, wie schon
vielmals geschehen. Und während die beiden Weltanschau¬
ungen, wie durch Meere voneinander getrennt, noch so
streiten, ist drinnen der Tod eingetreten. Ich selber kannte
einen Arzt, der mir ein väterlicher Freund gewesen. Und
dessen Sohn, gleichfalls Arzt, ließ in der Sterbestunde seines
Vaters den von der sehr frommen Mutter herbeizitierten
hohen geistlichen Würdenträger und einst sehr bekannten
Politiker genau so lange draußen warten, als bis die Auf¬
lösung erfolgt war. Ich setze das hierher, nicht allein um
das Typische des Falles darzutun oder um zu zeigen, wie
poetisch Schnitzler seinen besonderen Fall mit jener Euphorie
ausgestattet hat, sondern vor allem aus einem andern Grunde:
wer von den Lesern hätte da sogleich daran gedacht, daß
derjenige, der als Arzt wie als Mensch (jener Sohn war
ein Freigeist und Dichter!) dem Priester den Eintritt ver¬
wehrt, um jeden Preis dazu noch ein Jude sein müsse?
Wenigstens der Leser innerhalb des Deutschen Reiches wird
dies Hereinziehen der Judenfrage in die von Tod und
Sterben angefüllte und geheiligte Atmosphäre geschmacklos
finden. Doch die S.sche „Komödie“ spielt ja in Oester¬
reich*), in diesem Kreislerladen von konfessionellen und
nationalen Fragen, wo alles und jedes politisiert. Und so
ist dem Dichter die ganze Sterbeszene, die wir, obwohl sie
hinter der Bühne sich abspielt, so ergriffen miterleben, nur
ein Vorwand zur Aufrollung der Judenfrage und anderer,
insbesondere österreichischer Politik. Zur Aufrollung der
Judenfrage: aber ohne daß „der Weg“ dabei sonderlich
„ins Freie“ führte, wie ich von vornherein kritisch bemerken
möchte. Und anderer, insbesondere österreichischer Politik:
wobei der Dichter nach vier Akten durchgehaltenen Schau¬
spiels im fünften in leichtfertigere, in Simplizissimus= und
beinahe Brettlstimmung umschlägt, was er sehr nachträglich
dann mit dem Untertitel „Komödie“ welcher aber nur auf
den letzten Akt paßt, wieder gutzumachen sucht. Dabei ist
das Ganze voll herrlicher Einzelheiten. All die fünfzehn
Aerzte, Professoren, Dozenten, Assistenten, Kandidaten, ein
Professor der Unterrichtsminister geworden ist, und ein
kleiner Bezirksarzt, all die fünfzehn Medizinmänner sind
mit einzigartiger Technik unterschieden. Und mehrere ge¬
taufte wie ungetaufte Juden gelingen ihm so wie ein paar
Arier, worunter der Hofrat Dr. Winkler, schlechterdings
famos. Nur der Titelheld ist, genau wie sein Name, bei
weitem nicht jüdisch genug geraten. Die Herausbringung
(die Uraufführung geschah an dem Tage und schier in der¬
selben Stunde, da Direktor Dr. Otto Brahm verschied) unter
Direktor Victor Barnowskys Regie war eine meisterhafte
und würde Barnowskys Anwartschaft auf die Nachfolge
*) wo sie verboten ist.
i vr Gste
11 913
6
box 30/1
W
Brahms restlos und als alleinig berechtigt erwiesen haben,
falls das noch nötig gewesen wäre. In einer der folgen¬
den, wohl täglich ausverkauften Aufführungen, der auch
Schreiber dieses beizuwohnen die Ehre hatte, waren Gerhart
Hauptmann, Georg Hirschfeld und Karl Schönherr zugegen.
nach der Trauerfeier um Brahm abends bei Barnptsky.
Heinrich Lautensack.
Bahr, Hermann, Das Prinzip. Lustspiel in drei Heken.
Erstaufführung im Kgl. Schauspielhaus zu Dresden am 22. Dezember
1912.
Im zweiten Akt des neuesten Bahr wird von der
Köchin Lene Kuh ein Gugelhupf gebacken mit Streuzucker
und Mandeln, aber der Teig wird nur zubereitet, und der
Schaum dazu geschlagen, und wenn der Vorhang zum
zweiten Male fällt, ist das Meisterwerk der Kochkunst noch
nicht vollendet. Dieser Gugelhupf, der in der Pfanne
stecken bleibt, ist ein Symbol für das ganze Stück. Viel
streuzuckrige Witzchen und geistvolle Mandelkernchen, viel
eifrige und gewandte Schaumschlägerei, aber der Teig ist
zähe, und das Backwerck bleibt klitschrig und wird kein
Leckerbissen für Feinschmecker. Ein bischen reichlich viel an
Gutgläubigkeit wird dem Publikum abverlangt. Um des
„Prinzips“ der natürlichen durch keinen Zwang gehemmten
Erziehung willen soll ein sonst ganz normales und ge¬
bildetes Ehepaar nicht nur nichts dagegen haben, daß der
siebzehnjährige Sohn, der Gymnasiast, eine Köchin heiratet,
und die höhere Tochter mit einem pietistischen Gärtner¬
burschen durchgeht, sondern ihnen auch noch zureden und
zu diesem Zweck der resoluten Köchin einen Besuch in der
gräflichen Küche machen. Die Natur ist freilich weiser als
das Prinzip. Sie sorgt dafür, daß Hans seiner Köchin
schon drei Tage später eine Nachfolgerin in seinem leicht
entzündlichen Herzen gibt, und Lene ihren Oberkellner kriegt,
indes der fromme Gärtner die entführte Luz reuevoll wieder
abliefert. Es ist schade um das Problem, das wohl Stoff
zu einer echten Komödie gäbe, hier aber nur zu Situationen
herhalten muß, die stark ans Possenhafte grenzen. Um
gewisse Szenen zu ermöglichen, die an sich ja höchst frei¬
gebig mit Streuzucker und Mandeln durchsetzt sind, müssen
die Figuren, besonders die beiden Eltern, nach des Dichters
Pfeife tanzen; von wirklichen satirischen Charakterbildern
sind diese Mischungen aus Klugheit und Eselhaftigkeit weit
entfernt. Es versteht sich von selbst, daß ein Humorist wie
Bahr, auch wenn er bedenklich ins Schwankmäßige abbiegt,
immer noch genug Anmut des Geistes, besonders in der
Dialogführung, bietet, um nie zu langweilen. Der Schlu߬
akt allerdings ist nach den saftigen Späßen des zweiten zu
matt und banal, und mit dem Namen eines Lustspiels tut
man dem Ganzen doch zuviel Ehre an. Die entzückende
Formvollendung und Feinheit des „Konzerts“ erreicht es
bei weitem nicht. Die Aufführung unter Fischer's Regie
war glänzend, und die Aufnahme der ersten beiden Akte
höchst lebhaft. Daß B. dankbare Rollen zu schreiben ver¬
steht, muß man zugestehn. Besonders erheiterte und ver¬
blüffte Teresina Oster, unsre junge Heroine, als tanzlustige,
derbe Köchin.
Alexander Pache.
Diederich, Benno, Prinzessin Ursula. Ein Weihnachtsmärchen in
fünf Akten. Leipzig, 1912. H. Haessel. (104 S. Kl. 8.) Kart.
M 3.
Uraufführung im Hoftheater zu Gera am 15. Dezember 1912.
Der Lübecker Benno Diederich, der sich nach anfänglich
eindringlicher Beschäftigung mit dem französischen Naturalismus
der Dichtkunst zugewandt und auch ein sehr beachtenswertes
Essaybuch über Hamburger Dichter geschrieben hat, debütierte
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