II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 66


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von den Berliner Theatern 1912/13.
VII.
Schnitzler der Dichter hat Schnitzler dem Arzte, der in den
Spitälern und Seziersälen der Donaustadt einst so gut Bescheid wußte,
wie heute auf dem Parnaß, schon manches verdankt. So war sein im
Milieu des Krankenhauses sich abspielender Einakter „Die letzten Masken“.
eine seiner packendsten und geistreichsten Schöpfungen. Jetzt, nach einem
Vierteljahrhundert, erwuchs ihm aus der Erinnerung an seine einstige
Tätigkeit als Sekundärarzt am Allgemeinen Krankenhause in Wien
seine starke Männerkomödie „Professor Bernhardi“*), die über
das Gebiet der ärztlichen Berufsfragen und Standeskonflikte weit hin¬
ausgreift und durch geschickte Sviegelung der Außenwelt ein Bild von
dem durch Parteikämpfe zerrissenen und klerikalen Machtgelüsten aus¬
gelieferten Oesterreich unserer Tage gibt. Wenn der Vorhang in dieser
Komödie zum ersten Male fällt, könnte man glauben, daß es Schnitzler,
der den freisinnigen, jüdischen Arzt und den katholischen Priester in
beiderseitiger Ausübung ihres Berufes aufeinanderprallen und keinen
Zweifel übrig läßt, daß dieser Kampf vor einem anderen Forum seine
Fortsetzung erfahren wird, gelüstet habe, so etwas wie ein modernes
Gegenstück zu Gutzkows „Uriel Acosta“ zu schaffen. Aber der Dichter
des „Einsamen Wegs“ und des „Weiten Landes“ überläßt diese ebenso
wirkungsvolle wie wohlfeile Tendenzmache leichten Herzens anderen.
Auch, wo die Gegensätze sich zuspitzen, wo die unüberbrückbaren Abgründe
der Weltanschauungen gleich Wolfsgruben sich auftun, bleibt er Herr
seiner selbst, Meister jener feinen, ironischen Skepsis, der Gefühlswerte
und Gefühlstöne zwar nicht fremd sind, die aber nicht an großen Worten
sich berauscht und auch durch die schönsten Gesten anderer sich nicht über¬
rumpeln läßt. Der Fall, von dem Schnitzler ausgeht, ist einer, der sich
täglich dort ereignen kann, wo ein Heilkundiger, der nicht nur ein Arzt
des Leibes, sondern auch der Seele ist, am Krankenbett seines Amtes
waltet. Professor Bernhardi, der ausgezeichnete Kliniker und Direktor
des Elisabethinums in Wien, will eine rettungslos verlorene Kranke,
die sich in jenem beseligenden Zustand, den die Aerzte als Euphorie be¬
zeichnen, befindet, nicht durch den Besuch des Priesters und den Emp¬
fang der Sterbesakramente in die rauhe Wirklichkeit zurückrufen und
verweigert dem von der Wärterin herbeigerufenen Geistlichen den Ein¬
tritt ins Krankenzimmer. Es handelt sich um ein junges Mädchen, das
das Opfer verbotener Liebe und eines verbotenen Eingriffs geworden
ist, also eine Sünderin, die nach der Meinung der Kirche der Absolution
doppelt bedarf. Die Kranke, durch die brutale Mitteilung der Pflege¬
schwester erschreckt, stirbt, während Arzt und Priester um ihr Seelenheil
*) Buchausgabe Verlag S. Fischer, Berlin, 1912.