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25 Professen Bernhandi
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Bühne und Welt.
streiten. Und von der Leiche dieser gleichgültigen Verlorenen erhebt
sich der Kampf um das Prinzip, beginnt das Kesseltreiben der Ortho¬
doxen und Frischgetauften, der Parteimänner und Streber beider Kon¬
fessionen wider den jüdischen Professor, der nur den Standpunkt des
Arztes vertritt, den es durchaus nicht nach der heroischen Pose und nach
der Märtyrerkrone gelüstete. An die Politik der kleinen Nadelstiche, als
da sind Ballabsagen, Rücktritt der hochgeborenen und hochbetitelten
Patrone des Krankenhauses, schließt sich das schwere Geschütz der parla¬
mentarischen Interpellation, der gerichtlichen Untersuchung. Der Pro¬
fessor hat im Eifer des Wortgefechts den Geistlichen einmal flüchtig mit
der Hand berührt. Daraus wird vor Gericht durch die Aussage der
hysterischen, bigotten Krankenschwester ein brutales Zurückstoßen des
hochwürdigen Herrn, ein Verbrechen wider die Religion, das strenge
Sühne heischt. Ein Schwurgericht ist die zuständige Instanz, und die
Männer aus dem Volke verurteilen den Professor zu zwei Monaten
Kerker, womit zugleich Verlust seiner akademischen und amtlichen Titel
und der Berechtigung zur Ausübung der ärztlichen Praxis verbunden ist.
In früheren Jahrhunderten, sagt ein gern liberal schillernder Prinz,
wäre Professor Bernhardi als Ketzer verbrannt worden. In der Donau¬
monarchie von heute reicht der Arm der Klerikalen immerhin weit
genug, um eine Leuchte der Wissenschaft, einen tadellosen Gentleman,
der ohne jede beleidigende Absicht von seinem Standpunkt als Arzt für
das Wohl der ihm anvertrauten Kranken bis zu ihrem letzten Atemzuge
eintritt, auf einige Wochen hinter schwedische Gardinen zu bringen. Die
Möglichkeit, daß solchem Manne sich die Milch der frommen Denkungs¬
art in gärend Drachengift verwandelt, daß aus dem tiefgekränkten
Jünger der Wissenschaft ein fanatischer Agitator und Protestler wird,
rückt bedenklich nahe, aber Schnitzler verteilt die Erregung bloß unter
die Nebenpersonen. Da wirft sich in der prachtvoll lebendigen Sitzung
des Dozentenkollegiums ein unzweifelhaft germanischer Kollege Bern¬
hardis in flammender Fürsprache für den Juden auf, da platzen der
überzeugte Zionist und der jüngst Getaufte, dessen Glaube um so emp¬
findlicher ist, aufeinander. Geschickt hat Schnitzler es vermieden, den
Unterrichtsminister, der in die Handlung eingreift, nach berühmten
Mustern als deus ex machina figurieren zu lassen. Seine Exzellenz
Herr Professor Dr. Flint ist vielmehr ein Duzfreund und ehemaliger
Kollege Bernhardis, der dem Minister gegenüber kein Blatt vor den
Mund nimmt und nicht zu nehmen braucht, ohne daß jedoch die Exzellenz
in der Manier der Schwarzweißstücke lächerlich oder verächtlich gemacht
würde. Der Zuschauer gewinnt den Eindruck, daß dieser Flint, mag er
auch etwas von der Taktik, die man den Söhnen Loyolas zuschreibt, in
seine Amtsführung übertragen, kein so übler Vertreter seines Ressorts
ist, ein Mann, mit dem im Oesterreich von heute auf jeden Fall auch
die Bernhardis ohne Duzbrüderschaft leben können. Daß diesem Minister
ein Hofrat beigegeben ist, der sich auf den Salonanarchisten hinausspielt,
hat Schnitzlers Wunsch, die Tragikomödie zum Schluß durchaus zur
Komödie umzubiegen, verschuldet. Im vorletzten, vierten, Akt begegnen
wir Sarceys „Grande scène à faire“. Der Priester, der schon in der
Gerichtsverhandlung für den Professor günstig ausgesagt hat, kommt in
später Abendstunde in Bernhardis Wohnung, um ihm ohne Umschweif
zu gestehen, daß der Professor in seiner Eigenschaft als Arzt voll¬
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streiten. Und von der Leiche dieser gleichgültigen Verlorenen erhebt
sich der Kampf um das Prinzip, beginnt das Kesseltreiben der Ortho¬
doxen und Frischgetauften, der Parteimänner und Streber beider Kon¬
fessionen wider den jüdischen Professor, der nur den Standpunkt des
Arztes vertritt, den es durchaus nicht nach der heroischen Pose und nach
der Märtyrerkrone gelüstete. An die Politik der kleinen Nadelstiche, als
da sind Ballabsagen, Rücktritt der hochgeborenen und hochbetitelten
Patrone des Krankenhauses, schließt sich das schwere Geschütz der parla¬
mentarischen Interpellation, der gerichtlichen Untersuchung. Der Pro¬
fessor hat im Eifer des Wortgefechts den Geistlichen einmal flüchtig mit
der Hand berührt. Daraus wird vor Gericht durch die Aussage der
hysterischen, bigotten Krankenschwester ein brutales Zurückstoßen des
hochwürdigen Herrn, ein Verbrechen wider die Religion, das strenge
Sühne heischt. Ein Schwurgericht ist die zuständige Instanz, und die
Männer aus dem Volke verurteilen den Professor zu zwei Monaten
Kerker, womit zugleich Verlust seiner akademischen und amtlichen Titel
und der Berechtigung zur Ausübung der ärztlichen Praxis verbunden ist.
In früheren Jahrhunderten, sagt ein gern liberal schillernder Prinz,
wäre Professor Bernhardi als Ketzer verbrannt worden. In der Donau¬
monarchie von heute reicht der Arm der Klerikalen immerhin weit
genug, um eine Leuchte der Wissenschaft, einen tadellosen Gentleman,
der ohne jede beleidigende Absicht von seinem Standpunkt als Arzt für
das Wohl der ihm anvertrauten Kranken bis zu ihrem letzten Atemzuge
eintritt, auf einige Wochen hinter schwedische Gardinen zu bringen. Die
Möglichkeit, daß solchem Manne sich die Milch der frommen Denkungs¬
art in gärend Drachengift verwandelt, daß aus dem tiefgekränkten
Jünger der Wissenschaft ein fanatischer Agitator und Protestler wird,
rückt bedenklich nahe, aber Schnitzler verteilt die Erregung bloß unter
die Nebenpersonen. Da wirft sich in der prachtvoll lebendigen Sitzung
des Dozentenkollegiums ein unzweifelhaft germanischer Kollege Bern¬
hardis in flammender Fürsprache für den Juden auf, da platzen der
überzeugte Zionist und der jüngst Getaufte, dessen Glaube um so emp¬
findlicher ist, aufeinander. Geschickt hat Schnitzler es vermieden, den
Unterrichtsminister, der in die Handlung eingreift, nach berühmten
Mustern als deus ex machina figurieren zu lassen. Seine Exzellenz
Herr Professor Dr. Flint ist vielmehr ein Duzfreund und ehemaliger
Kollege Bernhardis, der dem Minister gegenüber kein Blatt vor den
Mund nimmt und nicht zu nehmen braucht, ohne daß jedoch die Exzellenz
in der Manier der Schwarzweißstücke lächerlich oder verächtlich gemacht
würde. Der Zuschauer gewinnt den Eindruck, daß dieser Flint, mag er
auch etwas von der Taktik, die man den Söhnen Loyolas zuschreibt, in
seine Amtsführung übertragen, kein so übler Vertreter seines Ressorts
ist, ein Mann, mit dem im Oesterreich von heute auf jeden Fall auch
die Bernhardis ohne Duzbrüderschaft leben können. Daß diesem Minister
ein Hofrat beigegeben ist, der sich auf den Salonanarchisten hinausspielt,
hat Schnitzlers Wunsch, die Tragikomödie zum Schluß durchaus zur
Komödie umzubiegen, verschuldet. Im vorletzten, vierten, Akt begegnen
wir Sarceys „Grande scène à faire“. Der Priester, der schon in der
Gerichtsverhandlung für den Professor günstig ausgesagt hat, kommt in
später Abendstunde in Bernhardis Wohnung, um ihm ohne Umschweif
zu gestehen, daß der Professor in seiner Eigenschaft als Arzt voll¬
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