II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 83

pemee untvertbrarlichen Zorngefühle: das Lacheln
erst ist die letzte Überwindung, die von aller Erdenschwere er¬
löst, und wenn dieses Lächeln fruchtbar wird, so gehiert es eine
Komödie. Schnitzlers Lächeln hat eine Komödie geboren, eine
Komödie des Menschenhasses, politischen Machtdünkels, der
Glaubens= und Rassenhatz, charakterloser Streherei und einer
himmelschreienden Kollegialität. Ein lustiges Stück Leben,
wenn's nicht so verdammt ernsthaft wäre, daß die anderen von
uns, die noch nicht völlig überwunden haben, die Lust an¬
wandelt, mit Ohrfeigen und Rippenstößen unter das Gesindel
zu fahren.
Aber regen wir uns nicht auf. Die Sache spielt in Öster¬
reich. Bei uns in Deutschland kommt „so etwas“ nicht vor.
Professor Bernhardi ist der naip=ehrliche Tor, der ahne Maske
vor dem Antlitz durch die Menschengassen geht, der so redet und
handelt, wie Herz und Überzeugung ihm gebieten und der
vor allem die üble Gewohnheit hat, den Leuten ins Gesicht
zu sagen, was er denkt. Das geht natürlich nicht — in Öster¬
reich. Da wird ihm aus seiner Pflichterfüllung, seinem ehr¬
lichen Stieben, das Rechte zu tun, der Strick gedreht.
Hofrat, ein ganz ausgelaugter Zynikus notabene, trifft den
lieblichen Kexn der Sache.
„Wenn man immerfort das
Richtige täte, oder viel mehr, wenn man nur einmal
Früh, so ohne sick's weiter zu überlegen, anfing, das Richtig
tun und so in einem fort den ganzen Tag lang das Richtige,
säße man sicher noch vorm Nachtmahl im „Kriminal“. Der
Professor, der ein überschätzer der Menschheit ist wie alle die
Ehrlich=Unklugen, die freiwilligen Opfer der Wahrhaftigkeit,
schiebt in blindem Zutrauen dem Hofrat die edle Regung zu,
im gleichen Falle genau so ehrlich und überzeugungstreu ge¬
handelt zu haben, wie er selbst. „Möglich,“ antwortet trocken
der Hofrat, der ein ausgelaugter Zynikus ist, „möglich,
da wär ich halt — entschuldigen schon, Herr Professor,
grad
so ein Viech gewesen wie S
Das ist das Wahre! Man
barf eben kein „Viech“ sein. Und man ist ein „Viech“, wenn
man sagt, was man denkt, und das Richtige tut.
Lassen wir die Marke „Tendenzvrama“ beisette. Der Pro¬
fessor hat nicht im entferntesten daran gedacht, eine „Frage“
lösen zu wollen. Er hat in einem ganz speziellen Falle getan,
was er für das Richtige hi
Aber die Registratoren der
Literatur haben in säuberlichem Diensteifer dem neuen Vo¬
lumen den Aktenschwanz angehängt und „Tendenz“ drauf ge¬
schrieben. So ist das „reine Kunstwerk“ verdächtig. Es ist ein
Lebensfall, wie viele andere auch, geschehen in einer scharf um¬
gkenzten Lebensabteilung mit ihrem eigenen Vorrat an
Meinungen, Erscheinungen und Richtlinien. Daß Politik und
Streberei den Charakter brüchig machen, erleben wir so häufig
aufs neue, daß schon niemand mehr daran denkt, deshalb in
die Moraktrompete zu stoßen. Der geistreiche Dichter nimmt
die Sache amüsant letzten Endes auch beim tüchtigen Professor
Bernhardi, der schließlich darauf verzichtet,
und d
eine köstliche Pointe psychologischer Kunst — dem eillen Ge¬
legenheitsdenker und Phraseur, der den strebernden Kultus¬
minister mimt, die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. Er kann
den Armseligen nicht ernster nehmen, als den ganzen Popu¬
laritätsschwindel mit Ovationen, Leitartikeln, großen Reden
und ähnlichem Klimbim. Schließlich ist gerade das die große
Erlösung an dieser bitterbösen Komödie, daß der gesunde,
lebensstarke und ehrliche Mann ungebrochen und ohne un¬
heilbar ins Herz getroffen zu sein, aus diesem Sumpf der Lüge,
Schwäche und Dummheit sich befreit. Die Dreckspritzer am
äußeren Gewand kümmern ihn nicht, und selbst die werden ihm
seine Feinde noch eigenmäulig ablecken müssen. Das ist der
erquickliche Ausklang der Sache.
Die Bernhardi=Hatz ist stofflich hinlänglich begründet.
Der Mann kann viel, mehr als der strebende Durchschnitt.
Grund genug zu hitzigem Neid und lauerndem Überfall. Er
hält das Haupt hoch in seiner tiefen Überzeugung und sag
was er denkt. Er duckt sich nicht vor Zufallswürden und schließt
keine Kompromisse mit den Mächtigen der Stunde und der
äußeren Stellung. Posierende Feierlichkeit ist ihm ein Ge¬
lächter und sein offenes Auge sieht den faulen Fleck in den
Herzen der Dunkel= und Dünkelmänner.
Nochmals Grund
genug, ihn zu hassen und mit den Mitteln sormeller Macht
erniedern. Der Stoff ist gut und echt — für Österreich. Bleibt
noch ein Wort zum Kunstwerk uns zu sagen. Wie immer bei
Schnitzler: ein ungezwungen natürlicher Dialog, geistreich und
voller Witz ohne Verrenkungen und papierene Deklamations¬
Perioden. Ein Hin und Her in Angriff und Abwehr, voller
Ein= und Ausfälle, pointierter Antithesen, auch mit mächtiger
Leidensch ftlichkeit, wie in dem verblüfsend echten Sitzungsakt.
Die Gefahr witziger Komödien ist die Nivellierung der Charak¬
tere. Das Ballwerfen mit leuchtenden Einfällen, die Lust am
gelstreichen Spiel wird oft Selbstzweck und verdämmert die Art¬
Grenzen der räsonnierenden Menschen. Man sehe sich Oskar
Wilde daraufhin näher an, oder Bernhard Shaw oder den
Dänen Gustav Wied. Figuren mit Geist. Hier: Menschen mit
Geist. Das ist der Unterschied. Jedes Wort ein Ergebnis des
Charakters. Blutecht und kennzeichnend. Schnitzlers Kunst hat
einen Spiegel von tadelloser Reinheit geschliffen, indem die
liebe Natur mit belustigtem Entsetzen sich selbst beschauen muß
Aber ändern kann sie sich nicht.
— Soeben erschien die Januarnummer der von Professor
Di. Warburg, Berlin, und Geh. Regierungsrat Professor
Kohltmann, Halle, herausgegebenen Zeitschrift für
haf —
4— m.
Berliner Börsen Courier, H###
Abeschnitt auf
Morgenausgabe
Tem:
Kn
Cheater und Musik
Zun füinfzigsten Male: Pypfassor Bernhardi.
Klei
Mhahtet.
Mhichofftlc Schnitzlers hat
Gißen A#behih Wio Abend wird es gespielt, bereits!“
ihsten Male, und es gefällt noch immer sehr. ##
Eis Mannerstück, ein politisches Stück, ein Disputie
drama, und das Publikum vergnügt sich. Das un¬
gleichmäßige aber von Witz und Warmne durchströmte i
Werk steht so hoch in Gunst, daß die Direktion es
wagen konnte, die durch den Leipziger Künstler
Decarli trefflich besetzte Hauptrolle einem Mit¬
gliede des Ensembles anzuvertrauen: Den ge¬
sinnungsfesten Professor Bernhardi spielt jetzt Herr
Salfner. Schon durch seine Rasse im wesentlichen
etwas behindert, verschärft er den Gegensatz zu seinem
Vorgänger durch eine Maske, die eher einem Orga¬
nisten als einem semitischen Universitätsprofessor
gleicht. Aber die Rolle gehört hauptsächlich dem
Worte, der mit Brusttönen inflammierten Empfin¬
dung. Und da Herr Salfner von Natur über festlich
(beleuchtete Stimmbänder verfügt, ersetzte er Worte
der Charakteristik durch akustische Wirkungen. Den
interessantesten Partner gibt, wie bei der Premiere,
Herr Abel. Er verkörpert einen Priester, der mit
ungewöhnlicher Sorgfalt Disziplin hält. Und auf
dem Wege der Sparsamkeit zu unge#ein scharfen
Linien durchdringt. Mit dieser Würdigung trage ich
nach, was ich schon gern nach der Premiere gesagtsg
hätte.
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