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25 Professor Bernhardi
Nr. 49
Berliner Salon
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Baritonist Cottoni. Wenn sie etwa in Petersburg gastierten, fanden
sie es höchst verwunderlich, falls jemand sagte: „Ich gehe morgen in
die Oper. Nach ihrer Ansicht hatte es heißen müssen: „Ich gehe zu
Massini oder zu Cottoni.“ Für diese zweifellosen Mängel entschädigt
aber auch Herr Battistini vollauf durch seine immer noch herrliche
Stimme und durch die vollendete Gesangskunst, mit der er sein
blühendes Organ beherrscht.
Im Kleinen Theater Victor Barnowskys geleitete ein doppelt
und, (dreifach gesiebtes Literaturpublikum — sogar auswärtige Gäste
vonl literarischem Rang, Stefan Zweig aus Wien, der Dichter der
„neuerdings viel gespielten Tragödie „Das Haus am Meer“ Karl
Rößler, Hofrat Max Martersteig aus Leipzig, Franz Blei, der
Münchener Aesthet, waren erschienen — Arthur Schnitzlers neueste,
sünfaktige Komödie „Professor Bernhardi“ auf dem Wege eines von
Akt zu Akt fester Fuß fassenden Erfolges. Dieses politische und
ethische Bekenntnis eines Fünfzigjährigen, das den unüberbrückbaren
Anschauungskonflikt zwischen praktischer Wissenschaft und Kirche nicht
beizulegen, wohl aber zu erklären versucht, hat die Wiener Zensur,
für das Wiener Theater wenigstens, mundtot gemächt: und an dem¬
selben Abend, an welchem die Berliner dem auf moralisch=politisches
Gebiet führenden Seitensprunge des Wiener Dichterpsychologen mit
intensivster Anteilnahme folgten, mußte sich in der Heimatsstadt
Schnitzlers ein Rezitator, der Schauspieler Ferdinand Onno (vom
Deutschen Volkstheater in Wien) Mühe geben, vom Vortragspult
aus, die Vorzüge des Werkes ins breiteste Licht zu setzen. Diese
Vorzüge umfassen die klugen, fast den gesamten Komplex moderner
Kultur= und Rassefragen berührenden Aussprachen eines Geistes, der
nicht stets, aber doch gern verneint; daneben auch die von Schnitzler
in seinen letzten Dramen selten geübte Fähigkeit, Menschen und be¬
wegte Vorgänge in den Rahmen der Szeue zu stellen, die nicht am
Schreibtisch erklügelt, sondern dem Leben nachgeschildert sind. Kurz:
es ist durchaus mit Freude zu begrüßen, daß Schnitzler gerade an
der Grenze jenes markanten Einschnittes, den für ihn die Lebens¬
wende des fünfzigsten Geburtstages bedeutet, von den „einsamen
Wegen“ seiner letzten, komplizierten dramatischen Seelenstudien den
Weg ins Freie dieses mit unseren unmittelbarsten Interessen zu¬
sammenhängenden, vielfarbigen und vielgestaltigen Weltbildes fand.
Ebenso plastisch wie das menschenschöpferische Geschick Schnitzlers
arbeitete übrigens die Regie Victor Barnowskys, die aus Stimmungen
und Gestalten (und besonders in der Nachbildung der geschäftsmäßigen
Unruhe eines Krankenhaus=Interieurs) Wirkungseinheiten schuf, wie man
sie seit Stanislawskis Gastspiel hier nur selten gesehen hat. Aber
auch die Aufführung, mit Herrn Decarli, der Barnowsky von Leipzig
ins Lessingtheater begleiten wird, an der Spitze, zeigte eine wahre
Musterkarte darstellerischer Prägnanz. So geleitete dieser Abend von
25 Professor Bernhardi
Nr. 49
Berliner Salon
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Baritonist Cottoni. Wenn sie etwa in Petersburg gastierten, fanden
sie es höchst verwunderlich, falls jemand sagte: „Ich gehe morgen in
die Oper. Nach ihrer Ansicht hatte es heißen müssen: „Ich gehe zu
Massini oder zu Cottoni.“ Für diese zweifellosen Mängel entschädigt
aber auch Herr Battistini vollauf durch seine immer noch herrliche
Stimme und durch die vollendete Gesangskunst, mit der er sein
blühendes Organ beherrscht.
Im Kleinen Theater Victor Barnowskys geleitete ein doppelt
und, (dreifach gesiebtes Literaturpublikum — sogar auswärtige Gäste
vonl literarischem Rang, Stefan Zweig aus Wien, der Dichter der
„neuerdings viel gespielten Tragödie „Das Haus am Meer“ Karl
Rößler, Hofrat Max Martersteig aus Leipzig, Franz Blei, der
Münchener Aesthet, waren erschienen — Arthur Schnitzlers neueste,
sünfaktige Komödie „Professor Bernhardi“ auf dem Wege eines von
Akt zu Akt fester Fuß fassenden Erfolges. Dieses politische und
ethische Bekenntnis eines Fünfzigjährigen, das den unüberbrückbaren
Anschauungskonflikt zwischen praktischer Wissenschaft und Kirche nicht
beizulegen, wohl aber zu erklären versucht, hat die Wiener Zensur,
für das Wiener Theater wenigstens, mundtot gemächt: und an dem¬
selben Abend, an welchem die Berliner dem auf moralisch=politisches
Gebiet führenden Seitensprunge des Wiener Dichterpsychologen mit
intensivster Anteilnahme folgten, mußte sich in der Heimatsstadt
Schnitzlers ein Rezitator, der Schauspieler Ferdinand Onno (vom
Deutschen Volkstheater in Wien) Mühe geben, vom Vortragspult
aus, die Vorzüge des Werkes ins breiteste Licht zu setzen. Diese
Vorzüge umfassen die klugen, fast den gesamten Komplex moderner
Kultur= und Rassefragen berührenden Aussprachen eines Geistes, der
nicht stets, aber doch gern verneint; daneben auch die von Schnitzler
in seinen letzten Dramen selten geübte Fähigkeit, Menschen und be¬
wegte Vorgänge in den Rahmen der Szeue zu stellen, die nicht am
Schreibtisch erklügelt, sondern dem Leben nachgeschildert sind. Kurz:
es ist durchaus mit Freude zu begrüßen, daß Schnitzler gerade an
der Grenze jenes markanten Einschnittes, den für ihn die Lebens¬
wende des fünfzigsten Geburtstages bedeutet, von den „einsamen
Wegen“ seiner letzten, komplizierten dramatischen Seelenstudien den
Weg ins Freie dieses mit unseren unmittelbarsten Interessen zu¬
sammenhängenden, vielfarbigen und vielgestaltigen Weltbildes fand.
Ebenso plastisch wie das menschenschöpferische Geschick Schnitzlers
arbeitete übrigens die Regie Victor Barnowskys, die aus Stimmungen
und Gestalten (und besonders in der Nachbildung der geschäftsmäßigen
Unruhe eines Krankenhaus=Interieurs) Wirkungseinheiten schuf, wie man
sie seit Stanislawskis Gastspiel hier nur selten gesehen hat. Aber
auch die Aufführung, mit Herrn Decarli, der Barnowsky von Leipzig
ins Lessingtheater begleiten wird, an der Spitze, zeigte eine wahre
Musterkarte darstellerischer Prägnanz. So geleitete dieser Abend von