fast heiter, tritt Professor Bern¬
hardi die Strafe an. Als ein
durch und durch unpolitischer Cha¬
rakter bleibt er kühl und gleich¬
gültig gegen all die politischen
Zettelungen, für die sein „Fall“
den Vorwurf abgeben muß.
Hier schiebt Schnitzler die „große
Szene“ ein, um die es ihm eigent¬
lich zu tun ist, durch die sich sein
Stück als das Stück eines leiden¬
schaftslos überlegenen Kopfes von
allen partei= oder rassepolitischen
Tendenzstücken unterscheiden soll.
Noch wehrt sich der Verurteilte
gegen die gute Absicht seiner
Freunde, dies oder jenes für seine
Sache zu tun, da tritt der Geistliche
herein, um ihm seine menschliche
Sympathie zu erzeigen. Wohlver¬
standen jedoch nur innerhalb der
vier Wände, von wo diese pri¬
vate Kundgebung weiter keine Fol¬
gen zu befürchten hat. Denn ge¬
rade das, was jener Mann der
partei= und tendenzlosen Wissen¬
schaften nicht ist: ein Mann der
Politik und ein über die Mittel
hinweg auf den Zweck sehender
Kämpfer für seine Weltanschau¬
ung, das ist dieser Pfarrer und
Diener der Kirche im ausgepräg¬
testen Maße. Der Mann der
Wissenschaft, der nach dem innern
Gefühl des Augenblicks handelt,
sieht immer nur den Einzelfall
und ist sich schnell schlüssig über
Ja oder Nein; der Diener der
Kirche blickt durch jeden konkreten
Vorfall, so wichtig oder armselig
er sein mag, hindurch auf die
Wage, darin Wohl und Wehe
seiner heiligen Sache ruht. Des¬
halb gibt es folgerichtig und ganz
natürlich zweierlei Moral für ihn:
eine öffentliche, die sich für jedes
Wort und jede Geste ihrer Ver¬
antwortung und Wirkung bewußt
ist, eben die politische, und eine
private, die von der eines Pro¬
58
fessors Bernhardi und seiner
Menschlichkeit nicht allzu weit ent¬
fernt ist. In ähnlicher Form läßt
dem Verurteilten nach seiner Haft¬
entlassung auch der Staat „Gerech¬
tigkeit widerfahren“. Nur daß hier
die Maske ironischen Zynismus
trägt, was dort die Züge einer
fast fanatischen Redlichkeit zeigte.
„Ich habe, ohne irgend wofür. de¬
monstrieren zu wollen, doch nur
das Richtige getan, versichert Pro¬
fessor Bernhardi, der auch jetzt
noch nicht daran denkt, sich mit
Politik zu befassen, so leicht er es
hätte, ein Wiederaufnahmeverfah¬
ren zu erzielen, „ich weiß nicht,
was man von mir will!“ — „Ja,
antwortet ihm da der Staat durch
den Mund eines Hofrats, der ganz
genau weiß, was die Glocke geschla¬
gen hat, „das war eben das Ge¬
fehlte. Wenn man immerfort das
Richtige täte, oder vielmehr, wenn
man nur einmal in der Früh, so
ohne sich's weiter zu überlegen,
anfing, das Richtige zu tun und
so in einem fort den ganzen Tag
lang das Richtige, so säße man
sicher noch vorm Nachtmahl im
Kriminal.“
Es ist die Komitragödie des Un¬
politischen in einem, wie er meint,
von Politik und Parteiungen bis
in die letzte Faser infizierten
Staatsgebilde, die Schnitzler in
seinem „Professor Bernhardi“ hat
gestalten wollen, und zweifellos
hat er zu diesem spezifisch öster¬
reichischen Thema manches Be¬
achtens= und Beherzigenswerte ge¬
sagt. Aber zweierlei hat er im
allzu großen Vertrauen auf seine
behende Dialektik verfehlt und sich
damit um die tiefere Wirkung ge¬
bracht. Erstlich hat er den Fall
durch Hinzutun deutlich erkenn¬
barer persönlicher Züge, insbeson¬
dere durch Betonung des Juden in
Bernhardi, allzusehr überspitzt, und
dann hat er, nach böser Wiener
Sitte, gerade in dem Augenblick,
wo man ein Recht auf die Hoff¬
nung hat, der Held werde sich im
Bewußtsein seines wissenschaftlichen
und menschlichen Rechtes kräftiger
rühren, das Gewicht zu sehr auf
die dialektische Außenseite des Kon¬
flikts verlegt, wo die Wärme sich
schon verflüchtigt hat. Man
braucht zu einem politischen Stück,
zumal zu einer politischen Komödie
kein tendenzgeschwelltes Pathos,
aber man braucht Empfindung und
entschlossenes Mitfühlen — not¬
wendiger jedenfalls als die achsel¬
zuckende Ironie, die nichts Wich¬
tigeres von sich zu fordern weiß
als: „Wasch mir den Pelz, aber
mach ihn nicht naß.
Friedrich Düsel
hardi die Strafe an. Als ein
durch und durch unpolitischer Cha¬
rakter bleibt er kühl und gleich¬
gültig gegen all die politischen
Zettelungen, für die sein „Fall“
den Vorwurf abgeben muß.
Hier schiebt Schnitzler die „große
Szene“ ein, um die es ihm eigent¬
lich zu tun ist, durch die sich sein
Stück als das Stück eines leiden¬
schaftslos überlegenen Kopfes von
allen partei= oder rassepolitischen
Tendenzstücken unterscheiden soll.
Noch wehrt sich der Verurteilte
gegen die gute Absicht seiner
Freunde, dies oder jenes für seine
Sache zu tun, da tritt der Geistliche
herein, um ihm seine menschliche
Sympathie zu erzeigen. Wohlver¬
standen jedoch nur innerhalb der
vier Wände, von wo diese pri¬
vate Kundgebung weiter keine Fol¬
gen zu befürchten hat. Denn ge¬
rade das, was jener Mann der
partei= und tendenzlosen Wissen¬
schaften nicht ist: ein Mann der
Politik und ein über die Mittel
hinweg auf den Zweck sehender
Kämpfer für seine Weltanschau¬
ung, das ist dieser Pfarrer und
Diener der Kirche im ausgepräg¬
testen Maße. Der Mann der
Wissenschaft, der nach dem innern
Gefühl des Augenblicks handelt,
sieht immer nur den Einzelfall
und ist sich schnell schlüssig über
Ja oder Nein; der Diener der
Kirche blickt durch jeden konkreten
Vorfall, so wichtig oder armselig
er sein mag, hindurch auf die
Wage, darin Wohl und Wehe
seiner heiligen Sache ruht. Des¬
halb gibt es folgerichtig und ganz
natürlich zweierlei Moral für ihn:
eine öffentliche, die sich für jedes
Wort und jede Geste ihrer Ver¬
antwortung und Wirkung bewußt
ist, eben die politische, und eine
private, die von der eines Pro¬
58
fessors Bernhardi und seiner
Menschlichkeit nicht allzu weit ent¬
fernt ist. In ähnlicher Form läßt
dem Verurteilten nach seiner Haft¬
entlassung auch der Staat „Gerech¬
tigkeit widerfahren“. Nur daß hier
die Maske ironischen Zynismus
trägt, was dort die Züge einer
fast fanatischen Redlichkeit zeigte.
„Ich habe, ohne irgend wofür. de¬
monstrieren zu wollen, doch nur
das Richtige getan, versichert Pro¬
fessor Bernhardi, der auch jetzt
noch nicht daran denkt, sich mit
Politik zu befassen, so leicht er es
hätte, ein Wiederaufnahmeverfah¬
ren zu erzielen, „ich weiß nicht,
was man von mir will!“ — „Ja,
antwortet ihm da der Staat durch
den Mund eines Hofrats, der ganz
genau weiß, was die Glocke geschla¬
gen hat, „das war eben das Ge¬
fehlte. Wenn man immerfort das
Richtige täte, oder vielmehr, wenn
man nur einmal in der Früh, so
ohne sich's weiter zu überlegen,
anfing, das Richtige zu tun und
so in einem fort den ganzen Tag
lang das Richtige, so säße man
sicher noch vorm Nachtmahl im
Kriminal.“
Es ist die Komitragödie des Un¬
politischen in einem, wie er meint,
von Politik und Parteiungen bis
in die letzte Faser infizierten
Staatsgebilde, die Schnitzler in
seinem „Professor Bernhardi“ hat
gestalten wollen, und zweifellos
hat er zu diesem spezifisch öster¬
reichischen Thema manches Be¬
achtens= und Beherzigenswerte ge¬
sagt. Aber zweierlei hat er im
allzu großen Vertrauen auf seine
behende Dialektik verfehlt und sich
damit um die tiefere Wirkung ge¬
bracht. Erstlich hat er den Fall
durch Hinzutun deutlich erkenn¬
barer persönlicher Züge, insbeson¬
dere durch Betonung des Juden in
Bernhardi, allzusehr überspitzt, und
dann hat er, nach böser Wiener
Sitte, gerade in dem Augenblick,
wo man ein Recht auf die Hoff¬
nung hat, der Held werde sich im
Bewußtsein seines wissenschaftlichen
und menschlichen Rechtes kräftiger
rühren, das Gewicht zu sehr auf
die dialektische Außenseite des Kon¬
flikts verlegt, wo die Wärme sich
schon verflüchtigt hat. Man
braucht zu einem politischen Stück,
zumal zu einer politischen Komödie
kein tendenzgeschwelltes Pathos,
aber man braucht Empfindung und
entschlossenes Mitfühlen — not¬
wendiger jedenfalls als die achsel¬
zuckende Ironie, die nichts Wich¬
tigeres von sich zu fordern weiß
als: „Wasch mir den Pelz, aber
mach ihn nicht naß.
Friedrich Düsel