25. Professor Bernhardi box 30/1
Die Berliner Theater.
Juni 1913.
Große Versprechungen hatten uns ein fröhliches Geleit in die Spielzeit von
1912 und 1913 gegeben. Nicht nur dem Theater im Freien — „Nachmittage
saßen wir, junges Volk, im Kühlen“ — auch der Verbindung von Zirkus und
Bühne standen keine erheblichen Hindernisse im Wege; eine neue Entwicklung der
theatralischen Kunst und Technik bereitete sich vor, das antike Drama, die mittel¬
alterlichen Mysterien würden sich zu überraschenden Wirkungen verschmelzen. Es
braucht für den Verständigen nicht betont zu werden, daß dies alles ein phan¬
stastischer Traum geblieben. Was die Freilichtbühne betrifft, in einem romantischen
Waldwinkel, so hängt sie so unbedingt von dem Wetter ab, von Windlosigkeit und
warmem Sonnenschein, daß eben nur unerschrockene Gemüter und schnupfenfreie
Menschen sich die „Hussiten vor Bernau“, den Wendenfürsten Jazko bei Pichels¬
werder und das Festspiel, das die Erhebung des Volkes 1813 in Potsdam in
einem patriotischen Stück von Arel Delmar feiert, anzusehen wagen. Mit der
Kunst haben diese Unterhaltungen nichts zu tun, es sind Zerstreuungen noch mehr
für die vielen Hundert der Mitwirkenden, die sich an dem Mummenschanz erfreuen,
als für das Publikum. Das Theater der Fünftausend ist in unseren Himmels¬
strichen nicht so leicht herzustellen, als es sich die Schwärmer dachten. Wo be¬
ständig „ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht“, wie in Griechenland und
Sizilien, ist die Sache bedeutend einfacher, um so mehr, da die Landschaft in ihren
Linien wie in ihren Farben dem Wunsche und dem Bedürfnisse der Kunst entgegen¬
kommt. Wir, in Berlin oder München, können immer nur unter dem Gewölbe,
unter einem künstlichen Firmament Komödie spielen. And wie die Natur, fehlen uns
die Schauspiele der Antike. Der Kothurn, die Maske und die statuarische Haltung
der Schauspieler sind uns fremd. Den Agamemnon des Aschylos den Odipus
des Sophokles kann uns Reinhardt nur dadurch zugänglich und verständlich machen,
daß er sie von Hofmannsthal aus der antiken Starrheit in die moderne Nervosität
umdichten läßt. Mit den anderen Dichtungsstoffen der antiken Dramatik, mit ihren
Helden Herakles, Ajas und Philoktet, hat die moderne Empfindung keine tiefere
Berührung, und auch aus unserer eigenen Kunst empfängt die Zirkusbühne nur einen
spärlichen Zufluß. Wohl gibt es in Shakespeares, Schillers und Goethes Dramen
vortrefflich dafür geeignete Szenen: Wallensteins Lager, das Festmahl in den
Piccolominis“ der Einmarsch der Dappenheimer in den Saal, die Volksszenen im
„Egmont“, der Bauernaufstand im „Götz von Berlichingen“, das Forum in
„Julius Cäsar“, die Galeere des Dompejus in Antonius und Kleopatra“ würden
sich dem Nahmen des Zirkus vortrefflich einfügen, gerade wie man sich für die
Aufführung der Lustspiele „Ein Sommernachtstraum". Der Sturm", „Wie es
euch gefällt“ nichts Schöneres vorzustellen vermag, als eine Freilichtbühne mit einer
kleinen Zutat von Stormscher Romantik zugerichtet. Im allgemeinen aber verlangt
das moderne Schauspiel ein kleines, in sich geschlossenes Theater, ein intimes, auf
die Nähe berechnetes Spiel der Künstler. Darin sind sich Schillers und Goethes,
Shakespeares, Calderons und Molieres Technik gleich. Der rasche Wechsel in
Miene und Gebärde, in Stellung und Gruppierung, die lebhafte Bewegung sind
Die Berliner Theater.
Juni 1913.
Große Versprechungen hatten uns ein fröhliches Geleit in die Spielzeit von
1912 und 1913 gegeben. Nicht nur dem Theater im Freien — „Nachmittage
saßen wir, junges Volk, im Kühlen“ — auch der Verbindung von Zirkus und
Bühne standen keine erheblichen Hindernisse im Wege; eine neue Entwicklung der
theatralischen Kunst und Technik bereitete sich vor, das antike Drama, die mittel¬
alterlichen Mysterien würden sich zu überraschenden Wirkungen verschmelzen. Es
braucht für den Verständigen nicht betont zu werden, daß dies alles ein phan¬
stastischer Traum geblieben. Was die Freilichtbühne betrifft, in einem romantischen
Waldwinkel, so hängt sie so unbedingt von dem Wetter ab, von Windlosigkeit und
warmem Sonnenschein, daß eben nur unerschrockene Gemüter und schnupfenfreie
Menschen sich die „Hussiten vor Bernau“, den Wendenfürsten Jazko bei Pichels¬
werder und das Festspiel, das die Erhebung des Volkes 1813 in Potsdam in
einem patriotischen Stück von Arel Delmar feiert, anzusehen wagen. Mit der
Kunst haben diese Unterhaltungen nichts zu tun, es sind Zerstreuungen noch mehr
für die vielen Hundert der Mitwirkenden, die sich an dem Mummenschanz erfreuen,
als für das Publikum. Das Theater der Fünftausend ist in unseren Himmels¬
strichen nicht so leicht herzustellen, als es sich die Schwärmer dachten. Wo be¬
ständig „ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht“, wie in Griechenland und
Sizilien, ist die Sache bedeutend einfacher, um so mehr, da die Landschaft in ihren
Linien wie in ihren Farben dem Wunsche und dem Bedürfnisse der Kunst entgegen¬
kommt. Wir, in Berlin oder München, können immer nur unter dem Gewölbe,
unter einem künstlichen Firmament Komödie spielen. And wie die Natur, fehlen uns
die Schauspiele der Antike. Der Kothurn, die Maske und die statuarische Haltung
der Schauspieler sind uns fremd. Den Agamemnon des Aschylos den Odipus
des Sophokles kann uns Reinhardt nur dadurch zugänglich und verständlich machen,
daß er sie von Hofmannsthal aus der antiken Starrheit in die moderne Nervosität
umdichten läßt. Mit den anderen Dichtungsstoffen der antiken Dramatik, mit ihren
Helden Herakles, Ajas und Philoktet, hat die moderne Empfindung keine tiefere
Berührung, und auch aus unserer eigenen Kunst empfängt die Zirkusbühne nur einen
spärlichen Zufluß. Wohl gibt es in Shakespeares, Schillers und Goethes Dramen
vortrefflich dafür geeignete Szenen: Wallensteins Lager, das Festmahl in den
Piccolominis“ der Einmarsch der Dappenheimer in den Saal, die Volksszenen im
„Egmont“, der Bauernaufstand im „Götz von Berlichingen“, das Forum in
„Julius Cäsar“, die Galeere des Dompejus in Antonius und Kleopatra“ würden
sich dem Nahmen des Zirkus vortrefflich einfügen, gerade wie man sich für die
Aufführung der Lustspiele „Ein Sommernachtstraum". Der Sturm", „Wie es
euch gefällt“ nichts Schöneres vorzustellen vermag, als eine Freilichtbühne mit einer
kleinen Zutat von Stormscher Romantik zugerichtet. Im allgemeinen aber verlangt
das moderne Schauspiel ein kleines, in sich geschlossenes Theater, ein intimes, auf
die Nähe berechnetes Spiel der Künstler. Darin sind sich Schillers und Goethes,
Shakespeares, Calderons und Molieres Technik gleich. Der rasche Wechsel in
Miene und Gebärde, in Stellung und Gruppierung, die lebhafte Bewegung sind