25. Professor Bernhardi box 30/1
manns. Der „Konflikt“, daß ein junges Frauchen sich, obwohl es
seinen Mann liebt, von seinen Eltern nicht trennen will, und auch
diese — Arthur Vollmer und Frau Butze gaben sie sehr altfränkisch
— kein Verständnis für die „sittliche Forderung“ des Schwiegersohns
haben, ist für diese Zeit kaum noch belächelnswert, und ich nehme
die ständige Phrase meiner wohlbeleibten Nachbarin: „Das durfte
nicht kommen“ — allerdings in einem anderen Sinn, als sie meinte,
für den Orakelspruch einer Pythia. Dagegen muß ich dem aller¬
dings stark psychologisierten altnordischen Schauspiel „Zwischen den
Schlachten“ einen starken dichterischen Wert zugestehen und kann
für die Verständnislosigkeit eines großen Teils der Presse nicht den
Dichter verantwortlich machen. Gewiß ist es uns ziemlich gleich¬
gültig, ob Halvard Gjäla zu König Magnus oder zu dessen furcht¬
barem Gegner, dem mörderischen Priester Sverre hält, aber diese
Frage wird für Gjätas Liebe akut und problematisch, und es ist ein
feiner Dichterzug, daß Inga Halvards Frau heimlich Krieger des
Königs Magnus in die Einöde heraufführt, um ihren wankelmütigen
Gatten bei dem Schützer ihres durch Sverre von Haus und Hof
gejagten greisen Vaters zu halten. Und ebenso fein ist es, daß
Inga Sverre, der sich als Kundschafter seines Feindes eingeschlichen
hat, haßt, obwohl sie nicht weiß, wer er ist. Prachtvoll wächst das
Werk durch den großartigen Monolog Sverres an, der in Herrn
von Ledebur einen prachtvollen, gar nicht schauspielhaushaften Inter¬
preten fand. Auch Herrn Mühlhofers Gjäla ist zu loben; wenig kann
ich mich mit der outrierten Leidenschaftlichkeit von Fräulein Thimig
befreunden.
Das andre noch zu erwähnende Stück war eine völlige Niete.
Es stammt von dem jüdisch-russischen Dichter Schalom Asch, dem
Verfasser des „Gott der Rache“, und nennt sich „Der Bund der
Schwachen“. Es schildert ein Uber-Kreuz-Verhältnis eines Fabrik¬
aufsehers mit der Frau eines völlig verbummelten Stubenmalers,
und dieses Stubenmalers mit der sehr robusten Frau des Fabrik¬
aufsehers. In der Mitte dieses hilflosen Schmarrens ist eine Szene,
die ganz in ihrem anfänglichen kraß naturalistischen Dunkel an die
verpönteste Szene aus Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ erinnert;
aber die Petroleumlampe wird heller, und aus dem Fuhrmann Hen¬
schel wird ein sentimentaler „Bartel Turaser“, der sich schließlich
in Wohlgefallen — wenn auch nicht für den Kritiker — auflöst.
In dem ganzen Stück ist nur eine Person, die Leben hat, Helenka,
das getretene Weib, gemal von Gertrud Eysoldt verkörpert. Den
Andraschl gab George Henrich in Moissiimitation und machte aus
dem Jammerlappen eine Vogelscheuche à la Lebender Leichnam.
Paul Friedrich.
Das Stück versank auf Nimmerwiedersehen.
27
Dresdner Theaterbrief.
Man kann es einer Hofbühhe hicht verübeln, wenn sie sich nicht
auf allzu gewagte literarische Experimente einläßt. Um so erfreu¬
flicher ist es, daß sich das Königliche Schauspiel für ein Werk Frank
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manns. Der „Konflikt“, daß ein junges Frauchen sich, obwohl es
seinen Mann liebt, von seinen Eltern nicht trennen will, und auch
diese — Arthur Vollmer und Frau Butze gaben sie sehr altfränkisch
— kein Verständnis für die „sittliche Forderung“ des Schwiegersohns
haben, ist für diese Zeit kaum noch belächelnswert, und ich nehme
die ständige Phrase meiner wohlbeleibten Nachbarin: „Das durfte
nicht kommen“ — allerdings in einem anderen Sinn, als sie meinte,
für den Orakelspruch einer Pythia. Dagegen muß ich dem aller¬
dings stark psychologisierten altnordischen Schauspiel „Zwischen den
Schlachten“ einen starken dichterischen Wert zugestehen und kann
für die Verständnislosigkeit eines großen Teils der Presse nicht den
Dichter verantwortlich machen. Gewiß ist es uns ziemlich gleich¬
gültig, ob Halvard Gjäla zu König Magnus oder zu dessen furcht¬
barem Gegner, dem mörderischen Priester Sverre hält, aber diese
Frage wird für Gjätas Liebe akut und problematisch, und es ist ein
feiner Dichterzug, daß Inga Halvards Frau heimlich Krieger des
Königs Magnus in die Einöde heraufführt, um ihren wankelmütigen
Gatten bei dem Schützer ihres durch Sverre von Haus und Hof
gejagten greisen Vaters zu halten. Und ebenso fein ist es, daß
Inga Sverre, der sich als Kundschafter seines Feindes eingeschlichen
hat, haßt, obwohl sie nicht weiß, wer er ist. Prachtvoll wächst das
Werk durch den großartigen Monolog Sverres an, der in Herrn
von Ledebur einen prachtvollen, gar nicht schauspielhaushaften Inter¬
preten fand. Auch Herrn Mühlhofers Gjäla ist zu loben; wenig kann
ich mich mit der outrierten Leidenschaftlichkeit von Fräulein Thimig
befreunden.
Das andre noch zu erwähnende Stück war eine völlige Niete.
Es stammt von dem jüdisch-russischen Dichter Schalom Asch, dem
Verfasser des „Gott der Rache“, und nennt sich „Der Bund der
Schwachen“. Es schildert ein Uber-Kreuz-Verhältnis eines Fabrik¬
aufsehers mit der Frau eines völlig verbummelten Stubenmalers,
und dieses Stubenmalers mit der sehr robusten Frau des Fabrik¬
aufsehers. In der Mitte dieses hilflosen Schmarrens ist eine Szene,
die ganz in ihrem anfänglichen kraß naturalistischen Dunkel an die
verpönteste Szene aus Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ erinnert;
aber die Petroleumlampe wird heller, und aus dem Fuhrmann Hen¬
schel wird ein sentimentaler „Bartel Turaser“, der sich schließlich
in Wohlgefallen — wenn auch nicht für den Kritiker — auflöst.
In dem ganzen Stück ist nur eine Person, die Leben hat, Helenka,
das getretene Weib, gemal von Gertrud Eysoldt verkörpert. Den
Andraschl gab George Henrich in Moissiimitation und machte aus
dem Jammerlappen eine Vogelscheuche à la Lebender Leichnam.
Paul Friedrich.
Das Stück versank auf Nimmerwiedersehen.
27
Dresdner Theaterbrief.
Man kann es einer Hofbühhe hicht verübeln, wenn sie sich nicht
auf allzu gewagte literarische Experimente einläßt. Um so erfreu¬
flicher ist es, daß sich das Königliche Schauspiel für ein Werk Frank
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