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25. Proor Bernhandi
nungen der Kunst und mit Ratschlägen, die für den produzierenden
Künstler wertlos sind. Wie einem Bettler will er dem Verkannten ein
Almosen geben. — Das Weib spielt in seinem Leben nur eine Rolle,
soweit Kontrakt und kühle Vernunft es erlauben. Und alle haben
bisher an flüchtigem Liebesrausch ihr Genügen gefunden. Bis die
eine kommt, die sich in blindem Selbstvergessen dem Halbgott an
den Hals wirft und vom Menschen Gerardo nicht lassen kann. Das
offene, brutale Ausspielen seiner Gepflogenheiten hilft dem Kammer¬
sänger bei dieser hysterischen Gattin und Mutter nicht, und ihr un¬
erwarteter Selbstmord stört einen Augenblick sein seelisches Gleich¬
gewicht. Einen Augenblick nur, dann hat der Satan Kontrakt seine
Seele wieder eingefangen, und von dem Leichnam einer, die ihn liebte
fast wie Isolde ihren Tristan, eilt er nach Brüssel, um dem Publikum
das Liebessterben Tristans zu singen.
Das tiefernste Drama, das aber auch Momente eines lebenverstehen¬
den Humors hat, wurde hinreißend gespielt. Becker besaß, was der
Dichter vom Darsteller Gerardos verlangt: Tempo, Leidenschaft¬
lichkeit und Intelligenz. Er gab dem Kammersänger jene feinere
geistige Brutalität, die von dem Flecken des Charakters nichts weiß
und sich selbst mit ironischer Selbstverspottung alles Gefühl aus dem
Herzen redet. Hermine Körner als Helene Marowa und Hanns Fischer
als der vom Leben zerriebene Komponist waren nicht zu übertreffen.
Beide gaben uns den vom Dichter gewollten Einblick in zerstörte
Lebenskreise mit erschütterndem Realismus.
Die einaktige Komödie „Hockenjos“*) von Jakob Wasser¬
mann, die auf den „Kammersänger“ folgte, berührt ein Problem,
das ein anderer zu einer Tragödie hätte gestalten können: den Fall
des Künstlers, der, von der Mitwelt verkannt, im Elend lebt und dem
die Nachwelt billige Lorbeeren pflückt. Oder besser teure: denn
das Denkmal, das der ordenslüsterne Bürgermeister Karinkel der tot¬
gesagten „Größe“ seines Städtchens, dem Maler Hockenjos, setzen
läßt, kostet so viel, daß der Ruhmverklärte davon herrlich und in
Freuden hätte leben können. Grausam aber ist es von Hockenjos,
daß er just die höchste Festesfreude mit prinzlicher Denkmalsweihe
und lobtriefender Festrede des Bürgermeisters durch sein unerwartetes
Wiederauftauchen ernstlich gefährdet. Der Bürgermeister setzt ihn
zur Rede, erkauft sein Schweigen, und während draußen vor dem
Marmorhaupte des Malers die pathosschwangeren Tiraden von den
Lippen des angstschwitzenden Bürgermeisters perlen, wird drinnen
in der Kanzlei dem gefangengesetzten Hockenjos um den teuren Preis
von 30000 M. der tropische Bart glatt abrasiert.
In dieser Situation gipfelt die anspruchslose, aber wirksame Ko¬
mödie, die manches treffende Schlaglicht auf die Regionen wirft, wo
der Nachruhm gemacht wird.
Das Centraltheater hat nach der Variétésaison seine Pforten
*) Erschienen in dem Sammelband „Die ungleichen Schalen“, Fünf einaktige
Dramen von Jakob Wassermann. S. Fischer Verlag, Berlin.
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nungen der Kunst und mit Ratschlägen, die für den produzierenden
Künstler wertlos sind. Wie einem Bettler will er dem Verkannten ein
Almosen geben. — Das Weib spielt in seinem Leben nur eine Rolle,
soweit Kontrakt und kühle Vernunft es erlauben. Und alle haben
bisher an flüchtigem Liebesrausch ihr Genügen gefunden. Bis die
eine kommt, die sich in blindem Selbstvergessen dem Halbgott an
den Hals wirft und vom Menschen Gerardo nicht lassen kann. Das
offene, brutale Ausspielen seiner Gepflogenheiten hilft dem Kammer¬
sänger bei dieser hysterischen Gattin und Mutter nicht, und ihr un¬
erwarteter Selbstmord stört einen Augenblick sein seelisches Gleich¬
gewicht. Einen Augenblick nur, dann hat der Satan Kontrakt seine
Seele wieder eingefangen, und von dem Leichnam einer, die ihn liebte
fast wie Isolde ihren Tristan, eilt er nach Brüssel, um dem Publikum
das Liebessterben Tristans zu singen.
Das tiefernste Drama, das aber auch Momente eines lebenverstehen¬
den Humors hat, wurde hinreißend gespielt. Becker besaß, was der
Dichter vom Darsteller Gerardos verlangt: Tempo, Leidenschaft¬
lichkeit und Intelligenz. Er gab dem Kammersänger jene feinere
geistige Brutalität, die von dem Flecken des Charakters nichts weiß
und sich selbst mit ironischer Selbstverspottung alles Gefühl aus dem
Herzen redet. Hermine Körner als Helene Marowa und Hanns Fischer
als der vom Leben zerriebene Komponist waren nicht zu übertreffen.
Beide gaben uns den vom Dichter gewollten Einblick in zerstörte
Lebenskreise mit erschütterndem Realismus.
Die einaktige Komödie „Hockenjos“*) von Jakob Wasser¬
mann, die auf den „Kammersänger“ folgte, berührt ein Problem,
das ein anderer zu einer Tragödie hätte gestalten können: den Fall
des Künstlers, der, von der Mitwelt verkannt, im Elend lebt und dem
die Nachwelt billige Lorbeeren pflückt. Oder besser teure: denn
das Denkmal, das der ordenslüsterne Bürgermeister Karinkel der tot¬
gesagten „Größe“ seines Städtchens, dem Maler Hockenjos, setzen
läßt, kostet so viel, daß der Ruhmverklärte davon herrlich und in
Freuden hätte leben können. Grausam aber ist es von Hockenjos,
daß er just die höchste Festesfreude mit prinzlicher Denkmalsweihe
und lobtriefender Festrede des Bürgermeisters durch sein unerwartetes
Wiederauftauchen ernstlich gefährdet. Der Bürgermeister setzt ihn
zur Rede, erkauft sein Schweigen, und während draußen vor dem
Marmorhaupte des Malers die pathosschwangeren Tiraden von den
Lippen des angstschwitzenden Bürgermeisters perlen, wird drinnen
in der Kanzlei dem gefangengesetzten Hockenjos um den teuren Preis
von 30000 M. der tropische Bart glatt abrasiert.
In dieser Situation gipfelt die anspruchslose, aber wirksame Ko¬
mödie, die manches treffende Schlaglicht auf die Regionen wirft, wo
der Nachruhm gemacht wird.
Das Centraltheater hat nach der Variétésaison seine Pforten
*) Erschienen in dem Sammelband „Die ungleichen Schalen“, Fünf einaktige
Dramen von Jakob Wassermann. S. Fischer Verlag, Berlin.
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