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25. Pror Bernhardi
Berliner Gastspielen geöffnet. Der Schwank „Die Frau Prä¬
sidentin“ von Maurice Hennequin und Pierre Veber ließ nur
bedauern, daß das deutsche Publikum bei seinem Urteil über das
französische Theater der Gegenwart auf solche technisch geschickte,
viel belachte, aber doch minderwertige Schwänke angewiesen ist. Es
wäre sehr zu wünschen, daß das Königliche Schauspielhaus einmal
unter den neueren französischen Dramatikern Umschau halten würde.
Ich nenne Henri Lavedan, Maurice Donnay, François de Curel,
de Portoriche, Paul Hervieu, Tristan Bernard usw., die soziale und
psychologische Probleme in stets interessanter Weise behandeln.
Das Residenztheater wurde abgelöst durch das Berliner „Kleine
Theater“, das Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ in
der Originalbesetzung unter der Leitung Viktor Barnowskys mit¬
brachte.
Es ist eine Erholung, nach all den naturalistischen Irrfahrten in
sozialen Tiefen einmal das lebenswahre Milieu einer eng umgrenzten
höheren Kaste zu erleben und den scharfen, gedankenvollen Dialog
geistiger Arbeiter an sein Ohr klingen zu hören. Das Stück spielt
in Wien um 1900 (daher in Österreich verboten!), und alles atmet
so den Geist des Milieus und der Zeit, daß es nur in ganz konkreter
Auffassung gespielt werden kann. Selbst das im Grunde rein mensch¬
liche Problem (ein Arzt verweigert dem Seelsorger den Zutritt zu einer
Sterbenden, die in ihren letzten lichten, glücklichen Augenblicken
den Tod nicht ahnt) müßte in seiner ganzen Gefühlslage an einem
anderen Orte umgebogen werden. Die Handlung ist durchdrungen
von den Rassengegensätzen und den politischen Kämpfen Österreichs,
und von ärztlichen Berufsfragen, die dem Dr. med. Schnitzler natür¬
lich sehr nahe liegen. Die Verbindung der verschiedenen Elemente
ist begründet in dem künstlerischen Erleben des Dichters, das den
Einzelfall erfaßt in seiner unlöslichen Verbindung mit dem Milieu.
Die Dramatik ist psychologisch interessant. Im Brennpunkt der
dichterischen Eingebung standen die großen Szenen, und sie werden
umgrenzt von einem nicht sonderlich packenden Anfang und von
einem Schluß, der wie bei jedem Produkte nervöser Stimmungs¬
künstler im Sande verläuft. Dem Dichter schwebt nicht etwa ein
Ziel vor, irgendein Endschicksal seines Helden, sondern im Mittel¬
punkte seines Interesses steht die Schilderung der Zustände, be¬
leuchtet durch das grelle Streiflicht eines konkreten Falles. Schnitzler
ist auch hier der Dichter der Nuance, der sich selbst immer wieder
mit neuen Wendungen der Handlung überrascht. Damit müssen wir
uns abfinden, wenn wir nicht fruchtlos negieren wollen.
Die ärztlichen Typen sind Gestalten, die aus dem vollen Gegen¬
wartsleben Österreichs heraus mit einem tiefen Verständnis gezeichnet
sind; vor allem Bernhardi in seiner schlichten Menschlichkeit, die
von Märtyrertum nichts wissen will. Die Schwächen des Stückes:
die Breite und die Tendenzreden z. B., vermögen der Spannung ung.
der Wirkung keinen Abbruch zu tun.
Dr. Erich Kochlér.
44
#eme ##ungu sesne
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25. Pror Bernhardi
Berliner Gastspielen geöffnet. Der Schwank „Die Frau Prä¬
sidentin“ von Maurice Hennequin und Pierre Veber ließ nur
bedauern, daß das deutsche Publikum bei seinem Urteil über das
französische Theater der Gegenwart auf solche technisch geschickte,
viel belachte, aber doch minderwertige Schwänke angewiesen ist. Es
wäre sehr zu wünschen, daß das Königliche Schauspielhaus einmal
unter den neueren französischen Dramatikern Umschau halten würde.
Ich nenne Henri Lavedan, Maurice Donnay, François de Curel,
de Portoriche, Paul Hervieu, Tristan Bernard usw., die soziale und
psychologische Probleme in stets interessanter Weise behandeln.
Das Residenztheater wurde abgelöst durch das Berliner „Kleine
Theater“, das Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ in
der Originalbesetzung unter der Leitung Viktor Barnowskys mit¬
brachte.
Es ist eine Erholung, nach all den naturalistischen Irrfahrten in
sozialen Tiefen einmal das lebenswahre Milieu einer eng umgrenzten
höheren Kaste zu erleben und den scharfen, gedankenvollen Dialog
geistiger Arbeiter an sein Ohr klingen zu hören. Das Stück spielt
in Wien um 1900 (daher in Österreich verboten!), und alles atmet
so den Geist des Milieus und der Zeit, daß es nur in ganz konkreter
Auffassung gespielt werden kann. Selbst das im Grunde rein mensch¬
liche Problem (ein Arzt verweigert dem Seelsorger den Zutritt zu einer
Sterbenden, die in ihren letzten lichten, glücklichen Augenblicken
den Tod nicht ahnt) müßte in seiner ganzen Gefühlslage an einem
anderen Orte umgebogen werden. Die Handlung ist durchdrungen
von den Rassengegensätzen und den politischen Kämpfen Österreichs,
und von ärztlichen Berufsfragen, die dem Dr. med. Schnitzler natür¬
lich sehr nahe liegen. Die Verbindung der verschiedenen Elemente
ist begründet in dem künstlerischen Erleben des Dichters, das den
Einzelfall erfaßt in seiner unlöslichen Verbindung mit dem Milieu.
Die Dramatik ist psychologisch interessant. Im Brennpunkt der
dichterischen Eingebung standen die großen Szenen, und sie werden
umgrenzt von einem nicht sonderlich packenden Anfang und von
einem Schluß, der wie bei jedem Produkte nervöser Stimmungs¬
künstler im Sande verläuft. Dem Dichter schwebt nicht etwa ein
Ziel vor, irgendein Endschicksal seines Helden, sondern im Mittel¬
punkte seines Interesses steht die Schilderung der Zustände, be¬
leuchtet durch das grelle Streiflicht eines konkreten Falles. Schnitzler
ist auch hier der Dichter der Nuance, der sich selbst immer wieder
mit neuen Wendungen der Handlung überrascht. Damit müssen wir
uns abfinden, wenn wir nicht fruchtlos negieren wollen.
Die ärztlichen Typen sind Gestalten, die aus dem vollen Gegen¬
wartsleben Österreichs heraus mit einem tiefen Verständnis gezeichnet
sind; vor allem Bernhardi in seiner schlichten Menschlichkeit, die
von Märtyrertum nichts wissen will. Die Schwächen des Stückes:
die Breite und die Tendenzreden z. B., vermögen der Spannung ung.
der Wirkung keinen Abbruch zu tun.
Dr. Erich Kochlér.
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