II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 122

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aussichten hatten, und wer seine Tollkühnheit überschätzte, mochte
in solchen Fällen argwöhnen, daß er die ganze unbequeme Rich¬
tung, koste es ihn noch so viel Zeit, Kraft und Geld, um ihr
junges Ansehen bringen wolle. Seine Antipathie gegen bestimmte
Dichter ging bis zum Starrsinn. Daß zu diesen auch das einzige
Genie unter den Dramatikern der Zeit gehörte, daß Brahm in
seinen achtzehn Jahren sich von August Strindberg völlig fern
gehalten hat: das klänge wie eine boshafte Erfindung, wenn es
nicht zur Genüge erklärt würde durch die begründete Furcht des
Ibsen=Apostels, am Ende seinen Norweger durch den unver¬
gleichlich größern Schweden im Preise zu drücken. Bis Ibsen
reichte es; bis zu dem Ibsen, der beim „Bund der Jugend' anfängt.
Für die Schauspielkunst des Brahmschen Ensembles reichte
es bis zu dem Ibsen, der mit „Baumeister Solneß aufhört. Vor
diesem bereits stand die Regie des Lessingtheaters, wie vor
Solneß der Doktor Herdal, der zwar sonderbare Geschichten gerne
hört, aber kein Sterbenswörtchen davon versteht und sich darum
nicht näher darauf einläßt. Bei Brahm ließ man sich auf das,
was man nicht verstand, einfach nicht ein. Das war immerhin
reinlich und bewahrte uns vor Schwindelmanövern. Aber statt
eines falschen Talers gar keinen Taler zu kriegen, macht auch nicht
glücklich. Im „Hannele etwa Tag und Traum durch Ton und
Bild, durch Wechsel zwischen irdischem und himmlischem Licht zu
unterscheiden, wie sie unterschieden werden müssen, wenn keine
Mißverständnisse entstehen sollen: solchen Aufgaben war diese
Regie nicht gewachsen. Diese Regie war spezifisch berlinisch. Nur
durch Gewalt oder durch einen unwiderleglichen Schein von Wirk¬
lichkeit lassen die wirklichkeitsklugen Berliner ihren Widerstand
gegen ein irrationales Element wie die Kunst besiegen. Wenn
Es
sie vor Kunstgebilden aus Ueberzeugung sagen können:
stimmt!— dann fühlen sie sich am stärksten angeregt und befriedigt.
Zu solchen Wirklichkeitsforderungen kehren sie von allen Aus¬
flügen ins Uebersinnliche zurück. Nie zuvor waren diese For¬
derungen so erfüllt worden wie bei Brahm. Vor seiner Zeit hatten
entweder die Mimen oder die Machwerke nicht den Maßstab der
Menschenmöglichkeit vertragen. Jetzt paßte eins zum andern.
Was Dichter und Schauspieler beisteuerten, war wie die Fort¬
setzung der täuschenden Dekorationen; aus der Stimmung des
räumlichen und gesellschaftlichen Milieus wuchsen Menschen und
Vorgänge hervor. Im Ineinanderwirken aller Kräfte lag der
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