II, Theaterstücke 25, Professor Bernhardi. Komödie in fünf Akten (Ärztestück, Junggesellenstück), Seite 123

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Zauber. Immer wieder war es ein Hochgenuß, mitanzusehen,
wie durch ein Milien von malerischer Unsauberkeit oder selbst
Sauberkeit die physische Atmosphäre eines naturalistschen Werkes
hervorgerufen und durch fugendichte Geschlossenheit, durch straffe
Abrundung in der Darstellung sein Totalbild für die Bühne
vollendet wurde. Die Mütter, Fuhrmann Henschel, Die Hoffnung
auf Segen: das etwa waren die Höhepunkte dieser klaren, hellen,
grundehrlichen Theaterkunst, drei Ehrenmäler für die Harmonie
und die Schlagkraft eines Ensembles, das für ein Ziel eine
Energie beseelte, in dem es keinen Fremdkörper und nicht die
kleinste Lücke gab. Darüber hinaus ging es in den „Gespenstern“,
als Bassermann, Sauer und die Lehmann ihr reiches Dasein mit
ehrfurchtsvoller Sachlichkeit in den Dienst des folgerichtigen
Dichters gestellt hatten. Am höchsten aber ging es in der „Wild¬
ente'. Das war von Brahms gesamter Theaterarbeit die inhalt¬
schwerste, saftdurchdrungenste, formenschönste Frucht. Eine Vor¬
stellung: paradigmatisch ohne Trockenheit, naturalistisch ohne
Pedanterie, vielstimmig ohne Feierlichkeit, phantastisch ohne
Hokuspokus, ibsentreu ohne Silbensklaverei und von einer köst¬
lich vegetativen Körperwärme. Das Geheimnis? Ein paar er¬
lesene Menschen lebten sich dar; blühten auf und einander zu;
waren sich gegenseitig Resonanz und Kontrast und Basis und
Hintergrund und Licht und Schatten und Schicksal. Als diese
paar Menschen von einander gegangen waren, hatte die Herrlich¬
keit des Brahmschen Theaters ein Ende. Rittner und Basser¬
mann konnten Brahm entbehren; aber Brahms Ensemble schwand
ohne Rittner und Bassermann sichtlich dahin. Trotz Sauer und
Elsen Lehmann (die man überdies beide kaum mehr sah): das
Theater war tot, bevor der Direktor starb.
Ich hoffe, nichts vergessen zu haben, was sich für Brahm,
aber vieles, was sich gegen ihn sagen läßt. In seinen letzten
Jahren habe ichs bekanntlich umgekehrt gehalten. Ich hatte in
diesen Jahren den Eindruck, daß es Brahm genügte, seine Pacht
zu zahlen und im übrigen trivial herumzuexistieren; daß es ihm
nichts machte, für die Theaterkunst Berlins belanglos, ja, schlim¬
mer als das: schädlich zu werden, indem er statt zuckriger Vers¬
satiren und alberner Philisterschwänke, die keinem weh tun, die
Werke von Schönherr und Ernst Hardt spielte, die nicht bloß
ziehen;, sondern auch Dichtungen sein wollen. Ich habe mir ein¬
gebildet, Brahm mit den stärksten Worten beschwören zu müssen.
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